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Landesgartenschau

Die Landesgartenschau schafft für Wangen neue Perspektiven

Die Landesgartenschau in Wangen ist ein echtes Städtebauprojekt für die Kleinstadt im Allgäu. Industrieruinen werden neu genutzt und mit der Innenstadt verknüpft. Noch einen Monat ist die bestens besuchte Schau geöffnet: Endspurt also.

Prägende Bestandtteile der Landesgartenschau in Wangen sind die alte Spinnereihalle mit dem Schornstein und davor der Augarten.

Peter Schwab)

Wangen. Eine aufgelassene Spinnerei und ein kaum beachteter Fluss, das war die Ausgangslage der Landesgartenschau in Wangen. Das Festival, das bis zum 6. Oktober andauert, hat schon jetzt 720 000 Besucher angelockt, 120 000 mehr, als erwartet, sagt der Gartenschau-Geschäftsführer Karl-Eugen Ebertshäuser.

Industrie-Stadtteil verfiel

Die Schau ist eng mit dem Vergehen der Baumwollspinnerei ERBA – Erlangen-Bamberg – verknüpft. Einst bildete das Unternehmen einen eigenen Stadtteil südöstlich des mittelalterlich geprägten Wangen (Kreis Ravensburg). 1963, zum 100-Jahr-Jubiläum, arbeiteten 1100 Menschen dort, darunter waren viele Migranten. Viele wohnten in den nahen Werkswohnungen. 1992 kam der Konkurs: Der Stadtteil verfiel.

Inflation könnte die Kosten der Gartenschau noch etwas treiben

Entscheidend war das Jahr 2009: Damals kaufte die Stadt das Areal und bewarb sich beim Land um die Gartenschau. Den Zuschlag bekam Wangen erst für 2024. „Eigentlich hat sich die Stadt für die Landesgartenschau 2016 beworben. Doch der späte Termin hat sich für die Stadt als Glücksfall herausgestellt“, sagt Ebertshäuser. Das gab mehr Zeit für die Konzepte. Es ging um eine Investition von 89 Millionen Euro, von denen die Stadt 36 Millionen Euro bezahlt und der Rest durch Grundstücksverkäufe und Landesmittel gedeckt wird. Ob die Summe gehalten wird, da ist Ebertshäuser noch skeptisch. Durch die jüngsten Teuerungen könnten Firmen Nachforderungen stellen.

Modernität eines knapp 150 Jahre alten Gebäudes

Wohnen und Gewerbe gehören zum Gartenschaukonzept. In der alten Spinnerei, einem langen Gebäude von 1861, gibt es oben begehrte Wohnungen. In den unteren Geschossen hat die Firma SET, ein Halbleiter-Tester, Geschäftsräume. Vice-President Frank Heidemann lobt die Modernität des Gebäudes, das nach 30 Jahren Leerstand in zweieinhalb Jahren trotz vieler alten Teile auf Neubaustandard gehievt wurde.

Unzerbrechliche Säulen

Dazu gehören die gusseisernen Säulen, die zwischen den Öfen und Prüfschränken die Halle strukturieren. Als der Statiker die Tragfähigkeit monierte, wurde eine Säule ausgebaut. Tester brachten das alte Eisen nicht zum Bersten – ein Detail, das Heidemann ins Schwärmen bringt.

40 Kinder in der Nachbarschaft

Auf dem Gartenschaugelände entstehen insgesamt 500 Arbeitsplätze, neben Hightech auch medizinische Angebote oder Handwerk. Steinmetzin Steffi Schneider arbeitet im Kesselhaus der Spinnerei. Lärmkonflikte gebe es hier trotz der Nähe zu den Wohnhäusern nicht. Wenn sie auf Baustellen sei, werde es in der Werkstatt ohnehin still. „Außerdem sind in der Nachbarschaft 40 Kinder, die sind auch nicht leise“, grinst sie.

Viele Spielarten des Wohnungsbaus

Es entstanden 383 neue Wohnungen für 1500 Menschen. Gebaut haben Projektträger, Baugruppen, Genossenschaften. „Die Landesgartenschau hat auch viel mit Stadtentwicklung zu tun“, sagt Ebershäuser. Holzbauten, Sanierungsprojekte sowie zu je einem Drittel geförderte Wohnungen, Eigentum und Miete, auf dem Gelände finden sich viele Spielarten des Wohnungsbaus. Für Ebertshäuser hat die Gartenschau einen wichtigen Effekt auf die Anwesen: „Wir können das Außengelände optimal auf die Gebäude abstimmen.“

In Harz getränkter Flachs als Baustoff der Zukunft

Es gibt es auch Experimentelles zu bestaunen, etwa der Landkreispavillon , eine Holzkonstruktion, deren Tragwerk aus in Harz getränktem Flachs besehen. Das Wissen dazu haben Experten an der Universität Stuttgart geliefert. Der Pavillon bleibt auch nach der Gartenschau stehen. „Wir wollen ja wissen, wie lange die Konstruktion hält“, sagt Ebertshäuser. Auf der anderen Seite greift die Gartenschau in die Nostalgiekiste. Aus Wangen stammt der Milchpilz, ein Kiosk in Form eines Fliegenpilzes. In der Nachkriegszeit weit verbreitet, gab es bis zuletzt nur noch wenige Exemplare. Die Firma Waldner, heute in der Lebensmitteltechnik zu Hause, hat den Sympathieträger dank der Gartenschau-Anfrage aufleben lassen.

Fliegenpilz-Kioske nach historischem Vorbild sind ein Gartenschau-Wahrzeichen. Foto: Peter Schwab

Vielfalt auf dem Gelände

Das Gelände, 40 Hektar groß, präsentiert sich vielfältig. Naturoasen treffen hier auf Blumenflor, wie er für Gartenschauen typisch und beim Publikum nach wie vor beliebt ist. Jetzt im Spätsommer sind Dahlien, Löwenmäulchen oder Sonnenhüte in den sattesten Tönen zu sehen. Fensterrahmen aus den Werkshallen der Spinnerei dienen als Blumenspalier. Der obere Teil eines Kessels bildet aus Säulen gestellt, einen Pavillon, die Industriebezüge sind allgegenwärtig.

Hochwasser schafft Missverständnisse

Doch auch der freie Naturraum gehört zum Konzept. Die obere Argen soll in ihrem natürlichen Bett erlebbar werden. Das lassen sich zahlreiche Menschen nicht zweimal sagen und staksen über die glitschigen Kiesel im kühlen Nass. Die fünf neuen Brücken wurden bereits auf eine erste Probe gestellt. An Pfingsten erlebte die Gartenschau zweimal hintereinander Hochwasser, es stieg bis zur Kante des Flussbettes. Amhaltend war bloß das Missverständnis: „Wir hatten die Spuren des Hochwassers innerhalb eines Tages beseitigt, aber uns haben Leute noch Wochen später angerufen und gefragt, ob die Gartenschau nach dem Hochwasser wieder offen ist“, sagt Geschäftsführer Ebertshäuser.

Den Blick in die Ferne schweifen lassen

Die Argen bildet das Rückgrat des Parks, der durch Nadelöhre gekennzeichnet ist. Die Flächen sind geteilt durch Straßen, an deren Übergänge Freiwillige mit guter Laune die Stempel auf den Handrücken der Gäste kontrollieren. Diesen Weg sollen die Wangener nach der Gartenschau kontrollfrei nehmen. Um die Verbindung zwischen Spinnereisiedlung und Stadt zu gewährleisten soll der Auenpark auch nach dem 6. Oktober die Menschen locken. Eines ihrer  Ziele steht oberhalb des Talgrunds, der 22 Meter hohe Aussichtsturm. Der Lärchenholzbau dreht sich in die Höhe, die Krümmung förderte der Verbau von getrocknetem und nassem Holz. Der Turm steht auf der grünen Wiese, Glockengeläut und Geruch verraten die Nähe von Kühen. Vom Turm schweift der Blick vom Argental in den Süden, wo Säntis und Hochgrat bei gutem Wetter grüßen.

Wenn der Rasenmäher am Rundling auf erstaunte Besucher trifft. Foto: Peter Schwab

Typisch Landesgartenschau

Seit 1980 werden in Baden-Württemberg Landesgartenschauen abgehalten, bis zum Jahr 2000 im Jahresrhythmus, danach alle zwei Jahre, seither unterbrochen durch je eine kleiner dimensionierte Gartenschau. In dieser Zeit hat sich das Konzept entwickelt und ermöglicht heute neben der Stadtverschönerung auch Infrastruktur- und Wohnbaumaßnahmen. Die nächste Landesgartenschau findet 2026 in Ellwangen statt, danach in Rottweil, Ulm, Offenburg, Bad Mergentheim und 2036 in Rastatt.

Die Skulptur Fokus eröffnet den Blick auf die Neubebauung im Park. Foto: Peter Schwab
Der Aussichtsturm am Rande des Gartenschaugeländes, er erinnert an einen verdrehten Fußballpokal, erlaubt nicht nur Einblicke auf das Gelände. Von dort oben sieht am weit ins Allgäu hinein und kann die Alpengipfel zählen. Foto: Peter Schwab
Ohne Blütenpracht keine Landesgartenschau – das gilt auch für Wangen. Foto: Peter Schwab

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