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Wie das Ende der Atomkraft die Gemeindekasse leert
NECKARWESTHEIM. „Das Image als Atomdorf wird verblassen, aber der Müll wird noch lange da sein“, fasst Bürgermeister Jochen Winkler (parteilos) die Zäsur in Neckarwestheim zusammen. Statt sprudelnder Gewerbesteuereinnahmen aus dem Akw-Betrieb wird es nun eine relativ niedrige Vergütung des Zwischenlagers durch den Bund geben. Bis ein Endlager für Atommüll gefunden ist, werden rund 140 Castoren in der Kommune im Landkreis Heilbronn bleiben.
Neues Haushaltsrecht setzt die Verwaltung unter Druck
Der Rückbau von Block II durch die EnBW wird rund 15 Jahre dauern. So lange wird das Gelände, rund einen Kilometer vom Ortskern entfernt, nicht genutzt werden können. Und dann ist eine weitere Nutzung problematisch, weil es das Zwischenlager auf dem Gelände noch gibt und die Suche nach einem Endlager für Atommüll noch lange dauern wird. Die Genehmigung für das Zwischenlager läuft bis 2046.
Es ist ein langer Abschied für Jochen Winkler. In guten Jahren brachten die Atommeiler bis zu zehn Millionen Euro an Gewerbesteuereinnahmen ein. Am Ende werde noch rund ein Viertel davon übrigbleiben. Die Einnahmen brechen nicht sofort weg und auch einige Arbeitsplätze halten sich noch vor Ort. Schon seit Jahren konsolidiert die Gemeinde den Haushalt: Gebühren wurden erhöht und die Vergnügungsteuer eingeführt. Das Ergebnis konnte um zwei Millionen Euro verbessert werden.
Gleichstromleitung endet in Philippsburg
Im Jahr 2019 ging das AKW in Philippsburg vom Netz. 2020 wurde auf dem ehemaligen Kernkraftwerksgelände der Grundstein für einen Konverter gelegt, der Gleichstrom in Wechselstrom umwandelt. Das rund 500 Millionen Euro teure Umspannwerk soll 2024 fertiggestellt sein. Es ist der südliche Endpunkt des Gleichstromleitungs-Projekts Ultranet, das von Emden nach Philippsburg führt und künftig Strom aus erneuerbaren Energien aus dem Norden Deutschlands nach Süden bringen soll.
Das neue Haushaltsrecht setze die Verwaltung zusätzlich unter Druck: Denn damit muss die Kommune auch die Abschreibungen für die Infrastruktur erwirtschaften. Und die hat sich in den Zeiten guter Einnahmen auch gut entwickelt: So wurde eine Halle und ein Kulturzentrum gebaut. Nun muss Winkler 1,9 Millionen Euro an Abschreibungen pro Jahr zurückstellen. „Wir werden uns künftig auf einem anderen Niveau bewegen, aber eines, auf dem eine 4000-Einwohner-Gemeinde auch leben kann“, sagt er. Hoffnung setzt Winkler in ein neues Gewerbegebiet.
Welche Energiequellen treten an die Stelle der Kernkraft? Neckarwestheim betreibt PV-Anlagen auf Freiflächen und Dächern, auch die Diskussion um Windenergieanlagen komme „mit großen Schritten“, so Winkler. Doch bis die Energieleistung des Atommeilers erreicht werde, müssten viele Windräder gebaut werden. „Jetzt hoffe ich, dass die Bürger, die gegen Kernenergie demonstrierten, auch die Windkraftanlagen akzeptieren“.
Pläne für das Gelände in Obrigheim noch nicht konkret
Gut 40 Kilometer flussabwärts von Neckarwestheim wurde bereits vor fast zwei Jahrzehnten das Aus des Atommeilers in Obrigheim im Neckar-Odenwald-Kreis eingeläutet. 2005 endete der Betrieb des seinerzeit dienstältesten Kraftwerks (KWO) der Republik. Nun ist die Kommune Vorreiter beim Rückbau. Dort könnte es relativ zügig gehen, auch weil die Brennstäbe 2017 per Schiff in das Zwischenlager nach Neckarwestheim gebracht wurden. Verläuft alles nach Plan, fällt das Gelände in zwei Jahren aus dem Atomrecht.
2008 wurde auf einer angrenzenden Fläche ein Biomassekraftwerk eröffnet. Mit der Kernenergie kann die Anlage freilich nicht mithalten: Sechs Megawatt beträgt die Leistung, das KWO schaffte 357. Hatte das Kernkraftwerk 400 Mitarbeiter, sind in der Biomasseanlage zwölf Personen beschäftigt. Das ehemalige Kernkraftwerksgelände soll nach dem Abriss weiter genutzt werden. Die Pläne seien aber noch nicht konkret, so Bürgermeister Achim Walter (FDP).