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Finanzdefizit

Verbände warnen vor Kliniksterben im Südwesten

Die Kliniken im Land kämpfen trotz bisheriger Schließungen mit nie dagewesenen Defiziten. Die öffentlichen und privaten Träger fordern nun den Bund und das Land zum Handeln auf, damit die medizinische Versorgung nicht gefährdet wird.

Um die Notfallversorgung in Wertheim zu sichern, will die Stadt die insolvente Rotkreuzklinik kaufen.

Stadt Wertheim / Peter Frischmuth)

Stuttgart. „Wir sehen momentan in den Krankenhäusern Defizite über alle Trägergruppen hinweg, die wir noch nie gesehen haben“, sagt der Hauptgeschäftsführer der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft (BWKG), Matthias Einwag. Landesweit befürchten 85 Prozent der Krankenhäuser hohe Defizite. Nimmt man das vergangene Jahr hinzu, steht ein Minus von 1,5 Milliarden Euro in den Wirtschaftsplänen, so die BWKG.

Zum Vergleich: Der Gesamtumsatz der Krankenhäuser im Jahr 2023 lag bei rund neun Milliarden Euro.

Bitter ist laut Einwag, dass auch Häuser betroffen sind, die sich bereits verkleinert haben und neu strukturiert wurden – und dennoch befürchten nun viele, dass sie nicht über die Runden kommen. Beispielsweise wurden im Landkreis Sigmaringen im Jahr 2022 die Standorte Pfullendorf und Bad Saulgau geschlossen, und trotzdem kämpft der Träger mit hohen Defiziten. Ebenso hat der Schwarzwald-Baar-Kreis 2013 sieben Häuser auf zwei reduziert.

Stadt Wertheim will Rotkreuzklinik kaufen

Seit 2001 wurden im Land 71 öffentliche, private und konfessionelle Kliniken geschlossen, so die BWKG. Darunter befanden sich kleine Häuser, deren Leistungen in größere Einheiten gebündelt wurden. Auch Einrichtungen wie die Rotkreuzkliniken in Wertheim (Main-Tauber-Kreis) gehören ganz aktuell dazu. Um die Notfallversorgung in Wertheim zu sichern, will die Stadt das Haus kaufen. Der Gemeinderat soll darüber in einer Sondersitzung im August entscheiden. Auch ein evangelisches Krankenhaus in Heidelberg musste 2024 aufgeben, wobei Leistungen und das Personal von einem anderen Haus übernommen werden.

Als weiteren Beleg für die angepasste Struktur führen die Verbände an, dass in Baden-Württemberg die geringste Bettendichte bundesweit vorherrscht. „Umso ärgerlicher ist es, dass wir die schlankste Struktur und die höchsten Defizite im Bundesvergleich haben“, sagt Einwag.

Der größte Krisenauslöser waren die hohen Inflationsraten

Einweg nennt drei wesentliche Gründe, warum trotz der Verschlankung vielerorts rote Zahlen stehen: Der stärkste Auslöser seien die hohen Inflationsraten der Jahre 2022 und 2023. Gleichzeitig seien aber nicht die Erlöse mit gleichem Maß gestiegen, was zu einer Lücke von mindestens vier Prozent geführt habe.

Ebenfalls zu Buche habe geschlagen, dass der Bund die Vergütung für das Jahr 2023 neu regelte und dabei 400 Millionen Euro weniger den Krankenhäusern zur Verfügung stellt, in Baden-Württemberg fehlen deshalb 45 Millionen Euro. Weiteres Problem sei die geringere Vergütung der Fallzahlen.

Rund zwei Drittel der Kliniken im Land befinden sich in öffentlicher Trägerschaft. Der Landkreistag adressiert seine Forderungen auch an das Land und fordert höhere Investitionsmittel. Zwar liege die Hauptverantwortung für die desolate Finanzlage der Krankenhäuser klar beim Bund: „Gleichwohl hat auch das Land bei der Finanzierung der Investitionskosten in den vergangenen Jahren nur etwa die Hälfte dessen finanziert, was notwendig gewesen wäre“, kritisiert der Präsident des Landkreistags und Landrat des Kreises Tübingen, Joachim Walter (CDU).

Höhere Kreisumlage sorgt für viel Frust

Bund und Land hätten sich über lange Zeit darauf verlassen, dass die Kreise die Finanzierungslücke mit kommunalen Mitteln schließen. „Das mag eine Weile gut gegangen sein – aber das wird angesichts der inzwischen extrem angespannten Kreishaushalte zukünftig so nicht mehr möglich sein“, so Walter. So haben sich die Zuschüsse aus den Haushalten der Stadt- und Landkreise innerhalb der vergangenen vier Jahre mehr als verdoppelt: von 306 Millionen Euro 2020 auf 794 Millionen Euro im Jahr 2024.

Der Kommunalverband kritisiert, dass die Kreise in der Folge die Kreisumlage erhöhen müssen. Das sei systemwidrig und schmälere die finanziellen Spielräume der kreisangehörigen Städte und Gemeinden. Das Anheben der Abgabe an den Landkreis sorgt wiederum vielerorts für viel Frust. Aktuelles Beispiel ist der Ostalbkreis, der aufgrund eines Klinikdefizits von 60 Millionen Euro die Kreisumlage angehoben hat (siehe Staatsanzeiger 28/2024).

Verbände befürchten kalten Strukturwandel

Langfristig werde sich die prekäre Situation der deutsche Kliniken nur durch Fusionen lösen lassen. Zu dem Ergebnis kommt die im Juli veröffentlichte Krankenhausstudie der Wirtschaftsprüfer von Roland Berger. Auch im Ostalbkreis steht eine Neustrukturierung der Kliniklandschaft an. Doch bis ein Zentralklinikum steht, könnten zehn Jahre vergehen. Insgesamt habe die Krankenhausreform des Bundes weniger Häuser zum Ziel. „Dass wir einen Strukturwandel haben, ist selbstverständlich, doch den haben wir aber auch schon ohne die Reform, zumindest in Baden-Württemberg“, sagt Einwag.

Die Verbände warnen daher vor dem kalten Strukturwandel, bei dem die schwächsten Häuser aufgeben müssten – ohne dass der Wandel gesteuert erfolgt. Mit der Reform des Bundes sei derzeit keine Besserung in Sicht, heißt es auch beim Landkreistag. Dabei wäre eine gelingende Krankenhausreform dringlicher denn je.

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