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Streuobstflächen

Verbände: Trotz Gesetz wird auf Wiesen zu oft gebaut

Die Naturschutzverbände kritisieren, dass noch immer zu viele Streuobstwiesen Bauprojekten zum Opfer fallen würden. Grund sei auch die Genehmigungspraxis der Landratsämter.

Streuobstwiesen sind gesetzlich geschützt. Naturschutzverbände wollen ihren Erhalt zur Not auch vor Gericht durchsetzen.

Andreas Vitting)

Stuttgart. Werden zu viele Streuobstwiesen zu Bauland? Die Naturschutzverbände sagen ja und betonen, wie wichtig die Grünflächen sind: Sie liefern regionales Obst, sind Lebensraum für Tiere und Pflanzen und kühlen ihre Umgebung an heißen Tagen. Der Naturschutzbund (Nabu), der Bund für Umwelt und Naturschutz und der Landesnaturschutzverband haben deshalb ein waches Auge auf die noch übrigen Streuobstwiesen im Land, denn viele sind bereits verschwunden.

Einige Kommunen schienen bewusst auf die Pflege alter Bestände zu verzichten, „um dann mit dem Argument, die Bestände seien ja sowieso nicht gepflegt, ihre Überbauung zu rechtfertigen“, so der Nabu-Landesvorsitzende Johannes Enssle.

Nabu: Naturschutzbehörden genehmigen zu viele Anträge

Eigentlich sind Streuobstflächen ab 1500 Quadratmeter durch das Biodiversitätsstärkungsgesetz geschützt. Die Naturschutzbehörden der Landratsämter dürfen die Umwandlung seit Juli 2020 nur genehmigen, wenn sie unterschiedliche Interessen abgewogen haben. Falls Bäume den Gebäuden weichen, müssen die Kommunen Ausgleichsflächen schaffen.

Die Naturschützer bemängeln dennoch, dass Städte und Gemeinden zu viele Anträge stellen würden, um Wiesen in Bauflächen zu verwandeln – und die Naturschutzbehörden würden zu viele genehmigen. Seit April 2023 habe es 104 Umwandlungsanträge gegeben, 37 wurden genehmigt, viele seien noch offen (siehe Grafik). Nur ein Fünftel davon bewerten die Verbände weniger kritisch, die Flächen seien klein oder der Obstbestand sei nicht hochwertig. Die genehmigte Umwandlung betrifft rund 250 000 Quadratmeter (25 Hektar) Streuobstfläche und rund 1700 Bäume, erklärt Enssle. Zum Vergleich: Von 2020 bis 2023 waren den Naturschützern 145 Anträge bekannt. Die allermeisten seien genehmigt worden, so Enssle.

Kreis Böblingen ist bei Anträgen „trauriger Spitzenreiter“

„Trauriger Spitzenreiter beim Antragsstellen“ sei aktuell der Kreis Böblingen mit elf Umwandlungsanträgen, gefolgt vom Kreis Calw mit neun. Gleichzeitig würden die beiden Landkreise das Bauen auf ökologisch besonders wertvolle Gebiete erlauben, kritisieren die Verbände.

Beide Landkreise betonen jedoch auf Anfrage, dass die Wiesen benötigt würden, um Wohnraum zu schaffen, zudem seien ein Nahversorger und ein Feuerwehrgerätehaus im Kreis Calw geplant. Im Landkreis Böblingen sollen auf den Flächen ein Gewerbegebiet sowie „Einzelprojekte mit hoher gesellschaftlicher Bedeutung“ entstehen.

Aber: Seit dem Jahr 2022 müssen alle Antragsteller im Kreis Calw eine Checkliste zur Umwandlung abarbeiten. Diese Kriterien würden immer wieder angepasst. Das Landratsamt prüfte unter anderem den Wohnflächenbedarf und die Warteliste bauwilliger Interessenten. Der Kreis Böblingen verweist auf die Kriterien des Umweltministeriums.

Seit April 2023 hat es laut dem Naturschutzbund Baden-Württemberg 104 Umwandlungsanträge gegeben, 37 wurden genehmigt, viele sind noch offen.

Naturschützer und Kommunen tragen Streit gerichtlich aus

Vielerorts streiten die Verbände mit den Ämtern seit Jahren darum, wie die Vorgaben für eine Umwandlung auszulegen sind. Bundesweit für Aufsehen sorgte die Klage des BUND gegen ein Baugebiet auf einer Streuobstwiese in Gaiberg (Rhein-Neckar-Kreis), die das beschleunigte Bauen im Außenbereich und ohne Umweltprüfung vor dem Bundesverwaltungsgericht zu Fall gebracht hatte .

Und der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim hat im Februar 2024 die Beschwerde des Nabu gegen ein Neubaugebiet die Gemeinde Neidlingen (Kreis Esslingen) abgelehnt .

Bei den Verfahren geht es oft um die Frage, wann ein öffentliches Interesse für den Erhalt der Wiese vorliegt, denn in diesem Fall sollen sie von Kettensäge und Bagger verschont bleiben. Um herauszufinden, ob das Streuobst für die Natur oder die Artenvielfalt wesentlich wichtig ist, braucht es Gutachten.

Auf der anderen Seite, so argumentieren viele Kommunen, sei der Wohnraum knapp und die Mittel der Nachverdichtung ausgeschöpft – das öffentliche Interesse für den Bau überwiege das des Natur- und Artenschutzes. Auch diese Argumente muss die Gemeinden stichhaltig darlegen, das hat der Verwaltungsgerichtshof im Frühjahr betont und das Umweltministerium hat an die Kriterien im Sommer in Form einer Checkliste erinnert.

Landkreistag: Genehmigungen haben vor Gericht gehalten

Dass die Ämter viele Umwandlungsanträge genehmigen, überrascht den Landkreistag nicht. In aller Regel tauschten sich die Gemeinde und das Landratsamt bereits im Vorfeld aus, die Gemeinden werden dabei beraten, so Hauptgeschäftsführer Alexis von Komorowski. Anträge, die beispielsweise wegen der naturschutzfachlichen Wertigkeit der Streuobstwiese nicht durchgehen würden, würden erst gar nicht gestellt.

Von Komorowski betont, „dass unserer Kenntnis nach bisher alle seitens der Naturschutzverbände beklagten Umwandlungsgenehmigungen der Landratsämter vor Gericht gehalten haben“. Das untermauere die Rechtmäßigkeit des Handelns der unteren Naturschutzbehörden.

Die Mehrheit der Streuobstwiesen ist schlecht gepflegt und überaltert

Im Kreis Calw laufen derzeit zwei Widerspruchsverfahren, bislang hat das Landratsamt zehn Anträge auf Umwandlung genehmigt, 320 Obstbäume müssen weichen auf einer Fläche von rund 4,5 Hektar.

Elfi Mösle-Reisch, Diversitätsberaterin für Streuobstwiesen beim Landratsamt, führt noch ein anderes Argument für das Streuobst-Sterben an. Die Ursache liege ihm fehlenden wirtschaftlichen Anreiz. Die Mehrheit der Bestände sei schlecht gepflegt und überaltert. So würden mehr Bäume ohne Ausgleich verloren gehen als durch genehmigte Umwandlungen. Ausgleichsflächen würden zur Verjüngung beitragen.

Johannes Enssle vom Nabu stimmt dem zu – zumindest teilweise. Die Pflege der Wiesen sei unerlässlich und es brauche einen Anreiz dafür. Dennoch seien gerade alte Bäume oft besonders wertvolle Lebensräume. Ausgleichsflächen brauchten dafür Zeit.

Die Streuobstkonzeption 2030 soll Wiesen retten

Laut den Naturschutzverbänden gingen seit 1965 die Baumzahlen um rund 60 Prozent zurück. Im Jahr 2020 wurde noch ein Bestand von rund 7,1 Millionen Streuobstbäumen ermittelt. Um die übrigen Streuobstflächen von geschätzten 89 000 bis 111 000 Hektar besser zu schützen, hat das Land im Juli die Streuobstkonzeption 2030 verabschiedet. Damit sollen Menschen unterstützt werden, die sich in der Baumpflege engagieren. Eigenen Angaben zufolge hat das Land die größten Streuobstbestände in der EU.

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