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Unechte Teilortswahl: Wahlverfahren wird nicht überall abgeschafft

Viele Jahrzehnte war es eine Entscheidung, die von den Gemeinderäten durchgewunken wurde – ohne Diskussionen und sehr oft einstimmig. Die Frage aber, ob mit Blick die nächste Kommunalwahl bei der unechten Teilortswahl die Verhältnisse in Gemeinde- und Ortschaftsräten noch stimmen, hat an Brisanz gewonnen.
Wähler bei der Stimmabgabe im Wahlbüro

Welches Gewicht bei der Kommunalwahl eine Stimme hat, bestimmt die unechte Teilortswahl.

dpa/Eibner-Pressefoto/Fleig)

STUTTGART. Ein Urteil mit Signalwirkung ist die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs in Mannheim zum Fall Tauberbischofsheim. Das betraf nicht nur die Kommunalwahl selbst, die Anfang Februar wiederholt werden musste, weil die Bevölkerungsverteilung in den Ortsteilen nicht mehr den Sitzverhältnissen im Gemeinderat entsprach. Die Signalwirkung wird vor allem an der Reaktion vieler Kommunen deutlich, die intensiver als bisher in den vergangenen Jahren darüber diskutieren, ob die unechte Teilortswahl noch zeitgemäß ist. In Crailsheim (Kreis Schwäbisch Hall) ist nun ein Streit regelrecht eskaliert.

Oberbürgermeister legt bei Dauerthema Veto ein

Dort ist die Frage der Abschaffung der besonderen Wahlform seit März dieses Jahres Dauerthema und schon 14 Mal in verschiedenen Gremien diskutiert worden. Ein Ende der Diskussion ist noch nicht in Sicht. Zuletzt hatte die Verwaltung Mitte des Monats vorgeschlagen, für die Ortschaftsräte die unechte Teilortswahl abzuschaffen. Crailsheim ist eine der wenigen Kommunen in Baden-Württemberg, die dieses Instrument nicht nur im Gemeinderat anwendet, sondern zusätzlich auch noch in den Ortsteilen. Und auch auf dieser Ebene gibt es nach Ansicht der Verwaltung unzulässige Über- oder Unterrepräsentationen. Das bedeutet, Ortsteile mit wenig Einwohnern haben anteilsmäßig einen zu hohen Anteil an Sitzen. Umgekehrt kann es auch sein, dass Ortsteile mit vielen Einwohnern anteilsmäßig zu wenige Vertreter entsenden.

Oberbürgermeister Christoph Grimmer (parteilos) wollte deswegen in allen Ortschaftsräten die feste Zuteilung an Sitzen für verschiedene Teilorte auflösen. Sein Hauptargument: Selbst mit einer Angleichung wäre die Stadt Crailsheim rechtlich nicht auf der sicheren Seite. Die Sitzzuteilung wäre auch danach aus seiner Sicht angreifbar – mit der Folge, dass auch in Crailsheim eine Wahlwiederholung drohe. Das Gremium aber folgte dem Oberbürgermeister nicht und entschied sich mit 21 zu 20 Stimmen letztlich für die Beibehaltung der unechten Teilortswahl in allen Ortschaftsräten – noch dazu mit unveränderten Sitzanteilen.

Grimmer legte daraufhin Widerspruch ein. Ende des Monats gibt es eine Sondersitzung. Gleichzeitig wurde ein Antrag der Grünen abgelehnt, der die Abschaffung auch für den Gemeinderat selbst manifestieren sollte. Die Verwaltung hatte hier den Kompromiss vorgeschlagen, es bei der unechten Teilortswahl zu belassen und den Gemeinderat dafür von 32 auf 40 Personen zu vergrößern, um die Verhältnisse adäquat abbilden zu können. Auch das fand keine Mehrheit.

Bleibt es auch in der Sondersitzung bei den bekannten Verhältnissen und Grimmer müsste von seiner Warte aus gesehen noch einmal Widerspruch einlegen, würde das Regierungspräsidium über die Frage entscheiden müssen.

In anderen Orten laufen die Entscheidungen zwar mitunter nicht weniger emotional, dafür mit geringerem Eskalationspotenzial ab. So wurden in Ellwangen, Boxberg, Rutesheim, Freudenstadt oder Eberbach in den vergangenen Wochen mit teils großen Mehrheiten die unechte Teilortswahl abgeschafft.
Es sollte nach der Gemeindereform in den 1970er Jahren den eingemeindeten Orten eine sichere Repräsentanz verschaffen. Heute entpuppt sich die Variante als fehleranfällig und schwer nachvollziehbar für die Wähler. So ist der Anteil an ungültigen Stimmen in diesem Bereich höher als in Orten ohne unechte Teilortswahl. Gleichzeitig haben die Parteien und Wählervereinigungen in den kleineren Orten teilweise große Probleme, noch Kandidaten zu finden.

Nicht alle Orte entscheiden sich gegen die Teilortswahl

Bis zur Kommunalwahl 2019 hatten noch 384 von 1101 Kommunen die unechte Teilortswahl. Bei der nächsten Wahl im kommenden Jahr dürfte die Zahl noch einmal deutlich geringer sein. Allerdings entscheiden sich nicht alle für die Abschaffung. In Meßkirch, Müllheim, Ellenberg, Argenbühl oder Tettnang haben die Gemeinderäte entschieden, den Ortsteilen auch weiterhin feste Sitze zuzuteilen. Dort wird argumentiert, es sei besser, wenn die Teilorte sicher vertreten seien.

In Tettnang wird der Gemeinderat sogar größer werden, weil die Bevölkerungszahl insgesamt gestiegen ist. Das bringt auch Veränderungen im Verhältnis Bevölkerungs- und Sitzanteile mit sich. Bisher gab es in Tettnang 22 Mandatsträger, ab dem Jahr 2024 werden es 26 Personen sein.

Bis zu 20 Prozent Überrepräsentation sind tragbar

Aus der Rechtsprechung zum Thema unechte Teilortswahl wird ersichtlich, dass eine Über- oder Unterrepräsentation im Verhältnis Bevölkerung und Sitze von bis 20 Prozent noch als tragbar erscheint. Das hat auch das Innenministerium in den vergangenen Jahren gegenüber den Kommunen immer wieder so kommuniziert. Die Verwaltungen, die nun die Gemeinderäte mit dem Vorschlag konfrontieren, die unechte Teilortswahl müsste eigentlich abgeschafft werden, stellen teilweise eine Überrepräsentation von Orten mit bis zu 70 Prozent fest. Ein solcher Wert lässt sich aus Sicht der Verwaltungen mit sogenannten örtlichen Verhältnissen in der Regel nicht mehr rechtfertigen.

Quelle/Autor: Marcus Dischinger

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