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Stuttgart klagt gegen Eisenbahngesetz in Karlsruhe
Stuttgart. Nach dem Ampel-Aus überschlugen sich am Donnerstag die Ereignisse im Verkehrsressort. Es hat mit Volker Wissing mittlerweile einen parteilosen Chef, der auch Justizminister ist. Da trifft es sich gut, dass die Landeshauptstadt Stuttgart nach zahlreichen Protestnoten nach Berlin das Schicksal des Rosenstein-Quartiers selbst in die Hand nehmen will. Am Donnerstagabend stimmte der Gemeinderat mehrheitlich bei acht Gegenstimmen für eine Kommunalverfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht. Die Stadtverwaltung sieht durch die Gesetznovelle des Allgemeinen Eisenbahngesetzes ihr Recht auf kommunale Selbstverwaltung aus Artikel 28 Grundgesetz verletzt. Eine renommierte Kanzlei bescheinigt der Klage gute Aussichten auf Erfolg.
Der Antrag der Verwaltung traf schon vor der Abstimmung auf eine Mehrheit im Gemeinderat. Unter anderem die CDU-Fraktion, Grüne, SPD/Volt, Freie Wähler und FDP unterstützen den Vorstoß.
Vor der Sitzung positionierten sich erneut die Projektgegner von S21. Hannes Rockenbauch, Fraktionschef der Linke und SÖS (fünf Sitze von 60), hält die Klage für „absurd und überhaupt nicht angebracht“. Er verweist auf die ungeklärten Fragen von Stuttgart 21: Der Ausbau und die Funktionsweise der Digitalisierung, der Brandschutz beim Tunnelbahnhof und des Tunnels seien vollkommen unzureichend. Zudem sei die Gäubahn-Anbindung und der Pfaffensteigtunnel ungeklärt.
„Grüne stehen bereit, in dieser Legislatur eine Lösung zu finden“
Die Neufassung des AEG Ende 2023 hat bundesweit hohe Wellen geschlagen. Das Eisenbahnbundesamt kann nach Paragraf 23 nur noch Bahnflächen freistellen, wenn ein überwiegendes öffentliches Interesse vorliegt. Etwa dann, wenn die Flächen für die Landesverteidigung, für Bundes-Fernstraßen oder für Erneuerbare genutzt werden – der Bau von Wohnungen fällt nicht darunter.
Die Landeshauptstadt plant bekanntlich ein Stadtviertel auf den Gleisen am Hauptbahnhof, die nach der Fertigstellung von Stuttgart 21 frei werden. Im Rosenstein-Quartier sollen bis zu 5700 Wohneinheiten entstehen. Die Stadt setzt sich seit Monaten beim Bund für eine Reform der AEG-Reform ein.
Der Aufschrei der Kommunen ist in Berlin nicht ungehört verhallt: Der Bundesrat und die Union hatten Vorschläge zur Änderung gemacht. Eigentlich wollten sich Grüne, FDP und SPD am Donnerstag zusammensetzen und über eine AEG-Änderung beraten. Nach dem Aus der Ampel-Koalition kam das Treffen aber nicht mehr zustande, teilt der Bundestagsabgeordnete Matthias Gastel auf Anfrage mit. „Wir Grüne stehen bereit, noch in dieser Legislatur eine gute Lösung zu finden“, betont Gastel, der den Wahlkreis Nürtingen/Filder vertritt.
Alle demokratischen Parteien seien sich einig, dass die Schiene deutlich wachsen muss. Mit einer solchen klaren Leitlinie könne man abwägen, welche Flächen nicht mehr gebraucht werden. Aber: „Der Vorschlag der Union, die Rückkehr zur bisherigen Regelung, fällt auf die jahrzehntelange fatale Logik des Schienenrückbaus zurück“, teilt Gastel mit.
Pläne landen im Papierkorb, Fördergelder werden versenkt
Doch die Zeit drängt: Bundesweit können lange geplante Projekte derzeit nicht gebaut werden. Allein in Berlin sind nach Angaben des Deutschen Städtetags neun Vorhaben betroffen, mit denen rund 5800 Wohneinheiten geschaffen werden. In Düsseldorf steht das „Glasmacherviertel“ auf der Kippe. Mit rund 1700 geplanten Wohneinheiten ist es das größte Wohnbauprojekt in der Stadt. In Braunschweig sollen auf Bahnbrachen Gewerbe-, Büro- und Forschungsstandorte mit einem Wohngebiet für mehrere Tausend Bewohner entstehen.
Im Südwesten sind laut dem Städtetag Baden-Württemberg ebenfalls mehrere Kommunen betroffen. In einem Rundschreiben an alle Mitglieder wird der „abrupte Stillstand“ bei zum Teil schon seit Jahren laufenden Projekten beklagt. Darunter fällt das Bahnstadt-Projekt in Nürtingen (Kreis Esslingen) mit 200 geplanten Wohneinheiten. Wird das Gesetz nicht geändert, hätte das laut einem Stadtsprecher gravierende Folgen: Jahrelange Planungen unter Beteiligung der Bürger würden im Papierkorb landen, Fördergelder versenkt.
Bund und Land torpedierten die Wohnungsbaupläne Nürtingens, einer Kommune mit angespanntem Wohnungsmarkt. Zudem wären stadtplanerische Ziele behindert. Eine Änderung des geplanten Konzeptes wäre nur schwerlich möglich, so der Sprecher weiter. Die bislang investierten Kosten wären allenfalls in geringem Maß übertragbar.
Auch in Ulm stünde ein Bauprojekt ohne die Reform der AEG-Reform vor dem Aus. Die Stadt hatte ein Grundstück von der Bahn gekauft, das diese noch bis 2027 benötigt. Danach will sie ein Gewerbe- und Wohnquartier entwickeln.