Themen des Artikels

Um Themen abonnieren und Artikel speichern zu können, benötigen Sie ein Staatsanzeiger-Abonnement.Meine Account-Präferenzen

Kommunale Strategie 

Schädlich wie 15 Zigaretten täglich: Warum Stuttgart die Einsamkeit bekämpft

Die Landeshauptstadt hat als bundesweit erste Kommune eine Strategie gegen Einsamkeit vorgelegt. Die zweite Konferenz zum Thema warf ein Schlaglicht auf die individuellen und die gesellschaftlichen Folgen. 

Drei Gruppen sind überproportional einsam: Menschen in Armut, mit schlechter Gesundheit und mit Migrationshintergrund.

dpa/imageBROKER/uwe umstätter)

Stuttgart. Allein in Stuttgart sind 58.000 Menschen von Einsamkeit betroffen. Das entspricht 11,6 Prozent der Bevölkerung. Alle zwei Jahre erhebt die Landeshauptstadt über eine Bürgerumfrage die Lebenssituation ihrer Einwohner. Und das aus triftigem Grund: Einsamkeit hat weitrechende Folgen für die psychische und physische Gesundheit. Wer chronisch einsam ist, hat ein erhöhtes Risiko etwa für Bluthochdruck, Angststörungen und Depressionen. Studien zeigen, dass Einsamkeit ebenso gesundheitsschädlich ist wie der Konsum von 15 Zigaretten täglich – und sie ist sogar doppelt so schädlich wie Adipositas.

Betroffen sind vor allem drei Gruppen: Menschen, die in Armut leben, gesundheitlich eingeschränkt sind oder einen Migrationshintergrund haben, erklärt Gabriele Reichhardt von der Strategischen Sozialplanung der Stadt Stuttgart.

Ein gesellschaftliches Problem

Doch Einsamkeit wirkt sich nicht nur individuell, sondern auch gesellschaftlich aus. Menschen, die sich dauerhaft isoliert fühlen, verlieren oft das Vertrauen in staatliche Institutionen und beteiligen sich seltener am politischen Leben. Die Stadt Stuttgart war 2022 die erste Kommune bundesweit, die eine eigene Strategie gegen Einsamkeit entwickelte – dank der Unterstützung des Gemeinderats. „Ein Ansatz bestand darin, bestehende Angebote weiterzuentwickeln und stärker auf das Thema Einsamkeit auszurichten“, sagt Reichhardt. Dabei setzt die Stadt auf bestehende soziale, sportliche und kulturelle Strukturen.

Seitdem ist ein Netzwerk aus unterschiedlichen Akteuren entstanden. Wichtig sei, so Reichhardt, einsame Menschen zu erreichen, über Nachbarn oder zum Beispiel über aufmerksames Personal in Apotheken, im Supermarkt oder beim Bäcker. Begegnung soll vor allem dort stattfinden, wo Menschen ohnehin leben: im Wohnumfeld. Kirchen und andere Einrichtungen könnten Räume für solche Angebote bereitstellen.

Den Auftakt der Initiative bildete 2022 ein Treffen aller beteiligten Organisationen. Bei der zweiten Stuttgarter Konferenz gegen Einsamkeit, die am Mittwoch im Rathaus stattfand, rückten die gesellschaftlichen Folgen noch stärker in den Fokus. Denn Studien belegen, dass soziale Isolation nicht nur das Wohlbefinden mindert, sondern auch das Vertrauen in demokratische Strukturen schwächt. Besonders besorgniserregend: Einsame Menschen können anfälliger für Verschwörungsideologien und antidemokratische Tendenzen sein – darauf weist auch die Kampagnenseite der Stadt hin.

Wie erreicht man die Unerreichbaren?

Der Soziologe Rainald Manthe hob in seiner Keynote hervor, wie wichtig alltägliche Begegnungen zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft, Altersgruppen und Bildungshintergründe sind. Solche Kontakte irritieren oft die eigene Erwartung, weil Klischees dabei oft nicht bestätigt werden. Das wiederum fördere ein besseres Verständnis für andere. 

Gleichzeitig betonte er, dass sich viele Menschen in der modernen Gesellschaft zunehmend in homogenen Gruppen bewegen. In der Folge gebe es viele Menschen, die sich aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen hätten. Dieses „unsichtbare Drittel“, so der Soziologe und Buchautor, habe nur ein sehr geringes Vertrauen in staatliche Institutionen und Medien. Um dieser Vereinzelung etwas entgegenzusetzen, brauche es Orte der Begegnung, etwa multifunktionale Plätze.   

Lokale Lösungen im Quartier     

Wie einsame Menschen konkret erreicht werden können, diskutierten fünf Fachforen am Vormittag der Konferenz. Gabriele Reichhardt betonte die Rolle von Multiplikatoren wie Nachbarn und sozial engagierten Personen vor Ort. Ziel sei es, bestehende Angebote besser zu vernetzen und die quartiersbezogene Arbeit auszubauen.

Strategie der Bundesregierung gegen Einsamkeit 

Das Bundesfamilienministerium arbeitet seit 2022 an der Strategie der Bundesregierung gegen Einsamkeit, die Ende 2023 beschlossen wurde und Maßnahmen zur Linderung und Prävention von Einsamkeit enthält. Im Jahr 2021 konnte nach Daten des sozio-ökonomischen Panels bei 11,3 Prozent der Gesamtbevölkerung ab 18 Jahren in Deutschland eine erhöhte Einsamkeitsbelastung festgestellt werden. Sie waren also häufiger als manchmal einsam.

Nutzen Sie die Vorteile unseres

Premium-Abos. Lesen Sie alle Artikel aus Print und Online für

0 € 4 Wochen / danach 199 € jährlich Nachrichten aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung in Baden-Württemberg Jetzt abonnieren

Lesen Sie auch