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Recht auf Ganztagsbetreuung: Einen Aufschub wird es wohl nicht geben
STUTTGART. Weil nur wenige Kinder in Baden-Württemberg Ganztagsgrundschulen besuchen und der Nachholbedarf im Ausbau des Angebots groß ist, kommt der Rechtsanspruch ab 2026 im Land unter Druck. Neue bundesweite Zahlen zeigen aber, dass die Idee der Verschiebung kaum Aussicht auf Erfolg hat. Die Kultusministerkonferenz (KMK) hat die aktuelle Statistik zum Ganztagsbetrieb für alle Schularten und alle Bundesländer vorgelegt.
Mit nur 28,9 Prozent der Erst- bis Viertklässler trägt Baden-Württemberg die rote Laterne. Auch, weil das Interesse, trotz des niedrigen Niveaus, in den vergangenen vier Jahren nur um vier Prozent gestiegen ist. Zum Vergleich: Sogar in Bayern besuchten 2021 knapp 66 Prozent der Kinder eine Ganztagsgrundschule, in sechs Ländern liegen die Zahlen deutlich über 80 und 90, in Thüringen sogar bei 100 Prozent. Der bundesweite Durchschnitt ist 72 Prozent.
Die Kommunen wollen jetzt mitreden
Einen Grund für die Entwicklung sieht der Städtetag Baden-Württemberg in einem Kompromiss, der 2014 bei der Einführung der Ganztagsgrundschulen vereinbart worden war. Danach sollten die Schulkonferenzen über die Umstellung entscheiden. „Wir sind der Überzeugung, dass die Wahlmöglichkeiten, die innerhalb unseres Konzepts bestehen, auch die Chance bieten, vor Ort, und zwar in großer Verantwortung des Schulträgers, in der Schulkonferenz gemeinsam mit den Eltern die richtigen Angebote zu machen“, so der damalige Kultusminister Andreas Stoch (SPD), der von vielen Seiten zu dieser Einbindung gedrängt wurde.
Jetzt will der Städtetag erreichen, dass die kommunalen Schulträger „künftig maßgeblich über die Einführung mitbestimmen können“. Nur gut 20 Prozent der Grundschulen seien heute Ganztagsschulen, heißt es in einem Schreiben an Stochs Nachnachfolgerin Theresa Schopper (Grüne), „70 Prozent sollten es nach dem Willen und den Prognosen des Gesetzgebers 2014 im Schuljahr 2022/23 sein“. Allein dies müsse den Gesetzgeber dringend veranlassen, im Schulgesetz nachzujustieren.
Südwesten ruft fast alle Bundesmittel ab
Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition auf Bundesebene wurde in der vergangenen Legislaturperiode vereinbart, bis 2025 einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Kinder im Grundschulalter einzuführen. Für den erforderlichen Infrastrukturausbau stellt der Bund den Ländern bis zu 3,5 Milliarden Euro zur Verfügung. In einem ersten Schritt wurden Finanzhilfen in Höhe von 750 Millionen Euro gewährt. Auf Baden-Württemberg entfallen 97,6 Millionen Euro, davon sind 96,4 M
An eine Streckung oder gar Verschiebung der Einführung des ab 2026 und der ersten Klasse aufwachsenden Rechtsanspruchs glaubt Norbert Brugger nicht, schon allein, weil jene anderen Bundesländer mit gutem Versorgungsgrad und Elterninteresse gar keinen Grund dafür erkennen können.
Der zuständige Dezernent des Städtetags lenkt den Blick auf die Ausgestaltung. „Über die jetzigen vier Varianten der Ganztagsgrundschule hinaus müssen den kommunalen Schulträgern und Schulen auch die Ganztagsgrundschulvarianten von sieben oder acht Zeitstunden und an fünf Tagen rechtlich offenstehen“, heißt es auch in dem Brief an Schopper.
Das sei „eine konsequente Antwort des Landes auf den Rechtsanspruch und vor allem ein wichtiges Signal an die Eltern, weil sich ihr maximaler Rechtsanspruch dann während der Schulzeiten gegebenenfalls vollständig in einer Einrichtung realisieren lässt.“
Der Gemeindetag befürchtet einen Vertrauensverlust
Außerdem wird ein Signal für eine bessere Unterstützung der Schulleitungen bei der Ganztagsschuleinführung durch das Land dringend angemahnt, denn die sei viel zu gering und insofern der zweite große Hemmschuh bei der Ganztagsentwicklung.
Auch Steffen Jäger, Präsident des Gemeindetags, will der Ganztagsbetreuung an Grundschulen „sicher keine generelle Absage erteilen, den Rechtsanspruch stellen wir aber in seiner Realisierbarkeit infrage“. Denn de facto wisse niemand, wie dieser Anspruch erfüllt werden könne. Er fürchte, „dass es den Vertrauensverlust in Politik und Staat verstärkt, wenn auch dieser Rechtsanspruch nur auf dem Papier steht, und davon müssen wir heute leider ausgehen“.
Quelle/Autor: Brigitte Johanna Henkel-Waidhofer