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Interview

Rainer Wieland: „Ich hoffe, dass wir bei der S-Bahn preiswert bleiben“

Seit dem 18. September ist Rainer Wieland Vorsitzender der Region Stuttgart. Der Christdemokrat hatte die Wiederwahl als EU-Abgeordneter im Frühjahr verpasst. In Brüssel amtierte er zuletzt als einer der zwölf Vizepräsidenten des Parlaments. Nun will Wieland mit seinem Blick auf Europa seinem neuen Amt beim Regionalverband eine weitere Perspektive geben. 

Rainer Wieland erwartet nicht, dass der alte Bundestag das Eisenbahngesetz zugunsten des Wohnungsbaus auf ehemaligen Schienengeländen nochmals zurückdreht.

Achim Zweygarth)
Staatsanzeiger : Was ist für Sie in der Region gerade das wichtigste Thema?

Rainer Wieland: Da gibt es unterschiedliche Themen, vom Digitalen Knoten, über die Neuausschreibung der S-Bahn, dem Paragrafen 23 des Eisenbahngesetzes und seine Konsequenzen für die Region bis zur erneuerbaren Energie. Diese Themen spiegeln sich noch wenig in den Tagesordnungen. Und wir haben wie in jedem Herbst den Haushalt vor der Brust.

Haben Sie damit auch solche Probleme wie die Regierung in Berlin?

In der Region geht es zwar etwas politischer zu als im Gemeinderat, aber die Parteizugehörigkeit spielt hier eine viel kleinere Rolle als im Land- oder im Bundestag.

Zum Eisenbahngesetz hat Stuttgart beschlossen, beim Bundesverfassungsgericht Kommunalverfassungsbeschwerde zu erheben, weil eine Regel im Gesetz den Wohnungsbau im Rosensteinviertel verhindert. Wie steht die Region dazu?

Ich höre von Zahlen von bis zu 200 Kommunen in Deutschland, die durch die Regelungen betroffen sein könnten. Wir von der Region müssen das nicht juristisch bewerten, aber ich denke, dass Stuttgart gute Gründe zu klagen hat. Entscheidend ist, dass sich die Mehrheit im Stuttgarter Gemeinderat für die Klage ausgesprochen hat, die ohne die Grünen nicht denkbar wäre. Diese Haltung teilen die Grünen in der Regionalversammlung und im Landtag. Gleichzeitig ist man ins hohe Gras gekommen, weil der grüne Landwirtschaftsminister einen Leitungsvorbehalt gegen die Rückabwicklung des Gesetzes geltend gemacht hat und unterdessen die Bundesregierung auseinander geflogen ist. So können wir leicht ein halbes Jahr verlieren.

Kann der amtierende Bundestag noch das Eisenbahngesetz ändern?

Grundsätzlich sehe ich Einigungsmöglichkeiten, aber wenn ich mir die anderen Vorhaben anschaue, die noch zu entscheiden sind, könnte das Eisenbahngesetz aus Berliner Sicht ein bisschen kleinteilig wirken.

Wie ist der Stand bei der S-Bahn-Ausschreibung?

Die S-Bahn in der Region Stuttgart wird für 2032 neu ausgeschrieben. Ich bin gespannt, ob sich angesichts der Marktlage genügend Akteure an so ein großvolumiges Vorhaben wagen. Rahmenbedingungen und Schienenentgelte bleiben gleich, das Wagenmaterial und das Personal wird aber für alle teurer. Die Kosten fürs Personal wird man kaum reduzieren können, ich sehe da keine riesigen Margen. Keiner wird ein geheimes Aggregat haben, das ihn zum unschlagbaren Anbieter macht.

Müssen die Fahrgäste mit höheren Preisen für die S-Bahn rechnen?

Das hängt von vielen Fragen ab. Wie bepreisen wir die Verlässlichkeit, wie gestalten wir die Fahrzeiten, wir wollen Betriebszeiten ja ausdehnen. Welchen Service bieten wir im Wagen? Wir wollen die Zukunft vorwegnehmen und eine Strecke für autonomes Fahren ermöglichen. Was passiert mit den Deutschlandticket und wie können wir die Kosten auf die Verkehrsträger zuschreiben?

Das beantwortet aber meine Frage nach den Fahrpreisen nicht.

Ich hoffe, dass wir preiswert bleiben. Versprechen, dass es billiger wird, werden kaum einzuhalten sein.

Dazu kommen die Querelen mit der Bahn um den Digitalen Knoten bei Stuttgart 21 und der S-Bahn.

Ich finde es bemerkenswert, dass der Vorstand eines Weltunternehmens solche Hinhalte- und Rückzugsgefechte führt, während Eigner und Aufsichtsräte klar sagen, was sie wollen. Noch weniger kann ich mir so ein Verhalten vorstellen, wenn der Eigner der Staat ist, und wenn ich mir dasselbe Szenario nach Frankreich versetzt vorstelle, dann hätte der Vorstand sein „Nein“ zu den Wünschen nicht fertig ausgesprochen, bis sein Vertrag aufgelöst wäre.

Sind die Erwägungen, den digitalen Knoten bei Stuttgart 21 nicht oder nur eingeschränkt einzurichten Spielchen, mit denen die Bahn versucht, von der öffentlichen Hand mehr Geld zu erhalten?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Bahnvorstand so Druck auf den Bund entwickelt, aber noch weniger kann ich mir vorstellen, dass man Gelder fürs Digitale umwidmen kann für analoge Anwendungen. Es gibt aber noch einen anderen Aspekt. In Brüssel beginnen die Vorgespräche zum Finanzrahmen 2028 bis 2034, während wir in Deutschland, wenn es schlecht läuft, bis zum Sommer keine neue Bundesregierung haben und unklar bleibt, wer Verkehrsminister wird und wie er die Dinge in Brüssel vorantreibt. In Baden-Württemberg steht ein Wahlkampf an, bis im Sommer 2026 eine neue Regierung im Amt sein dürfte. Drei Viertel der Zeit für die Vorverhandlungen ist dann vorbei bis es 2027 richtig losgeht. Ich sehe aber Chancen, das Thema Digitale Schiene Europa im Finanzrahmen unterzubringen. So ein Projekt entwickelt man nicht von der Peripherie, sondern vom Zentrum Europas aus, in Deutschland. Dann hätten die Nachbarländer auch etwas von der digitalen Schiene. Hier täten also alle gut daran, egal von welcher Partei, über Lippenbekenntnisse hinaus sich unterzuhaken und zu schauen, wie man das organisiert.

In der Rede vor Ihrer Wahl haben Sie den Fachkräftemangel in der Region angesprochen. Mittlerweile könnten sich aber die Vorzeichen angesichts der schlechten Entwicklung in der Autobranche hier umkehren.

Ich höre Unterschiedliches. Bei der S-Bahn in Plochingen werden ganze Elektrikerteams abgeworben. Andererseits nehmen Bewerber weniger Gehalt in Kauf für mehr Sicherheit als beim Automobilhersteller. Es gibt hier Arbeitgeber, die in weiten geografischen Kreisen rekrutieren. Der demografische Wandel verschiebt auf alle Fälle die tektonischen Platten. Arbeitgeber bemühen sich um attraktive Arbeitszeitausgestaltung, um die Vorstellungen der Menschen etwa von der Work-Life-Balance zu erfüllen. Wir hier in der Region könnten aber die Leistungen und guten Voraussetzungen unserer Infrastruktur besser sichtbar machen. Es geht darum, neuen Fachkräften die Lebensplanung zu erleichtern, wenn sie in die Region kommen. Ich könnte mir zum Beispiel eine Plattform im Internet vorstellen, die von der Region betrieben, aber von den Kommunen mit ihren Angeboten zur Daseinsvorsorge bestückt wird, Schulen, Kitas und so weiter. So können Kommunen ihre Profile besser abbilden. Gleiches könnte ich mir für Popup-Gewerbeflächen für Startups denken, wenn ein Unternehmen etwa ungenutzten Gewerberaum zur Verfügung hat.

Was unterscheidet Sie von ihrem Vorgänger Thomas Bopp?

Ich bin kein Architekt, das ist Vorteil und Nachteil, ich bin Rechtsanwalt, das ist ein Vorteil und ebenso ein Nachteil.

Für Thomas Bopp war die Internationale Bauausstellung IBA 2027 sehr wichtig. Sie haben die IBA in ihrer Antrittsrede nur mit einem Nebensatz erwähnt.

Die IBA ist für uns von herausragender Bedeutung und bei uns in guten Händen, deshalb arbeitet Thomas Bopp dort weiter mit. Das Jahr 2027 wird angesichts der Genehmigungs- und Bauzeiten wahrscheinlich kein Endpunkt, sondern Meilenstein sein.

Der Wechsel von Herrn Bopp zu Ihnen verlief trotzdem nicht freiwillig. Die CDU hat ihren langjährigen Vorgänger nicht mehr zur Regionalwahl aufgestellt. Warum wurden Sie Nachfolger?

Ich bringe politische Erfahrung mit und habe ein Netzwerk, das weit über die Region hinausreicht. Klar habe ich noch nicht alle Kontakte in der Region selbst, aber da arbeite ich daran. Ich bringe auch eine andere Perspektive mit. Die Überlegung, den Digitalen Knoten von der EU fördern zu lassen, drängte sich bei den bisher Handelnden eher nicht auf. Außerdem war schon seit Beginn meiner politischen Karriere sichtbar, dass ich mich für die Region engagiere, weil ich gesehen habe, wie viel besser die Region Dinge regeln kann, die über Kreisgrenzen hinweg schwierig sind. In Brüssel habe ich mich um die Magistrale gekümmert und um die Vertretung der Region bei der EU.

Zum Abschluss eine Spezialfrage für den Europäer: Es dürfte Sie schmerzen, dass EU-Bürger bei der Region nicht mitwählen dürfen. Wollen Sie das ändern?

Da sprechen Sie das Selbstverständnis des Regionalverbands an. Dessen Versammlung gilt nicht als regionales Parlament. Deshalb gibt die europäische Richtlinie EU-Bürgern nicht das Recht zur Regionalwahl. Falls wir über das Wesen des Regionalverbandes neu verhandeln, wird die Wahlfrage im Anschluss neu zu beantworten sein.

Zur Person

Europa und die Region sind die Politikfelder von Rainer Wieland. Der 67-jährige CDU-Politiker war von 1997 bis zur Neukonstituierung nach der Wahl dieses Jahr Mitglied des Europaparlaments. Gleichzeitig war der Rechtsanwalt seit ihrer Gründung 1994 Mitglied der Regionalversammlung, was er mit Thomas Bopp teilt. Dessen Nachfolger als Verbandsvorsitzender wurde er im September. Wieland ist der siebte Vorsitzende seit 1994, das Ehrenamt hatten stets Christdemokraten inne. Angesichts der vielen Aufgaben hat die Region als einziger Verband in Baden-Württemberg eine Regionalversammlung.

Das Abschiedsinterview von Thomas Bopp lesen Sie hier.

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