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Letzte Generation: Stuttgart reagiert mit Bußgeldern auf den Klimaprotest
STUTTGART. Kurz vor der Gemeinderatssitzung am 6. Juli trudelte auf den Handys und Laptops der Stadträte die Nachricht ein: Die Landeshauptstadt verbietet mit einer Allgemeinverfügung den Klimaprotest, bei dem sich Menschen unangemeldet auf Straßen kleben. Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) reagierte damit auf eine Aktion der „Letzten Generation“ am 1. Juli. „Wir können nicht zulassen, dass unsere Straßen unangemeldet nach dem Gutdünken Einzelner blockiert werden – völlig unabhängig davon, dass Klimaschutz ein wichtiges Anliegen ist“, sagt der OB zur Allgemeinverfügung, der sie selbst erlassen kann. Der Gemeinderat entscheidet hier nicht.
Räte des linken Lagers kritisieren Unverhältnismäßigkeit
Umso überraschender kam die Veröffentlichung. Spontan setzen sich Räte des Linksbündnisses „Die Fraktion“ in Stuttgart auf die Straße und verbreiteten ihren Protest gegen das Protestverbot über Soziale Medien. Die juristische Prüfung haben sie am gestrigen Donnerstag mit ihrem Widerspruch eingeleitet. Die Räte der Linkspartei, der linken Bürgerliste SÖS, der Piraten- und Tierschutzpartei stoßen sich an der Gültigkeit bis Jahresende. Die Stadt solle weniger schwere Maßnahmen ergreifen.
- Ja 75%, 119 Stimmen119 Stimmen 75%119 Stimmen - 75% aller Stimmen
- Nein 25%, 39 Stimmen39 Stimmen 25%39 Stimmen - 25% aller Stimmen
Außerdem erinnern sie sich noch an die Einschätzung des städtischen Rechtsamts im Frühjahr. Damals hatte dessen Leiterin den Räten noch vorgerechnet, dass mit einem Verbot solcher Versammlungen bloß die Aufforderung der Polizei entfallen würde, andernorts zu demonstrieren, bevor sie die Demo auflöst und Lösungsmittel für den Kleber einsetzt. Das bringe dem Autoverkehr 15 Minuten, so die Einschätzung damals.
Daran erinnert sich auch SPD-Fraktionssprecherin Jasmin Meergans. Die Verfügung sei unverhältnismäßig, die Art des Protests stehe schon unter Strafe. Dem pflichtet der Sprecher der größten Fraktion im Stuttgarter Gemeinderat zu. Laut dem Grünen Andreas Winter seien die 16 Stadträte aber noch in der Abwägung bezüglich rechtlicher Schritte. Man wolle am kommenden Mittwoch im Verwaltungsausschuss erst OB Nopper hören. Winter missfällt, dass der OB nicht einmal den Ältestenrat vorab informiert habe. „So geht man nicht mit dem gemeindlichen Zentralorgan um.“
Glasklar dagegen ist die CDU. Fraktionssprecher Alexander Kotz begrüßt die Allgemeinverfügung, immerhin gehörte sie zu den Forderungen der Fraktion, mit denen sie schon vor den Aktionen Anfang Juli dem Protest begegnen wollte. Ob sich allerdings Protestierende durch die Bußgeldandrohungen vom Ankleben abhalten lassen, mochte Kotz nicht vorhersagen. SPD-Frau Meergans glaubt das zum Beispiel nicht. Eine entsprechende Anfrage des Staatsanzeigers ließ die „Letzte Generation“ unbeantwortet, ein Aktivist erklärte aber im SWR, es werde trotz der Allgemeinverfügung Proteste geben.
190 Straßen und Plätze sind für Klebe-Protest tabu
Dafür lässt Stuttgart aber wenig Platz. Das Rathaus hat 190 Straßen und Plätze unter Klebeverbot gestellt. Andere Städte sind da zurückhaltender. Passau etwa hat aktuell zwei Verbotsverfügungen laufen, bei denen insgesamt 21 Straßenabschnitte, Brücken und Plätze in der Innenstadt genannt sind. Die niederbayerische Unistadt ist allerdings auch deutlich kleiner. Dort wohnen knapp 54 000 Menschen, in Stuttgart sind es mit fast 633 000 zwölf Mal so viele.
Zusätzlich hatte Passaus sozialdemokratischer OB Jürgen Dupper 17 Protestierenden, die wiederholt in der Drei-Flüsse-Stadt Straßen blockiert hatten, die verkehrswidrige Straßennutzung verboten. Bei zwei Protestierenden seien mittlerweile Zwangsgelder von je 50 000 Euro angefallen. „Zwangsgeld ist ein sehr probates Mittel, zumal es mehrfach fällig werden kann“, erklärte eine Sprecherin.
In Baden-Württemberg nimmt die Landeshauptstadt eine Sonderrolle ein. Laut Gemeindetag gebe es keine weitere Kommune mit solch einer Verfügung. In Freiburg und Karlsruhe wird es wohl so bald auch keine geben. Beide Uni-Städte planen keine Einschränkungen, obwohl es dort zu Protesten gekommen ist.
Tübingen kenne keine Protestaktionen, so eine Rathaussprecherin. OB Boris Palmer (parteilos) hatte sich einige Ziele der „Letzten Generation“ nach einem Gespräch im Frühjahr zu eigen gemacht. Ähnlich hielt es Hannovers Grünen-OB Belit Onay, was Kritik ausgelöst hatte: Sie hätten einer Erpressung nachgegeben. In Ulm kam es trotz eines Gesprächsangebots der „Letzten Generation“ zu keinem Kontakt zum Rathaus.