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Landtags-SPD veranstaltet Sprechstunde für Ärztekritik

Dass Notfallpraxen in Baden-Württemberg geschlossen werden, scheint kaum mehr abzuwenden zu sein. Bei einer Diskussionsveranstaltung der Landes-SPD trafen unterschiedliche Sichtweisen aufeinandern.
dpa/Bernd Weißbrod)Stuttgart. Zwischenrufe wie „Geschwätz“, Abwinken und demonstrativer Applaus für kritische Fragen: Doris Reinhardt von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) hatte im fast voll besetzten Plenum des Landtags zu kämpfen. Der überaus größte Teil des Publikums rekrutierte sich aus Gegnern der Pläne, 18 Notfallpraxen im Land zu schließen – das war keine Fankurve für die KV, wie Florian Wahl, gesundheitspolitischer Sprecher mutmaßte, als er zum Notfallgipfel seiner SPD-Fraktion begrüßte.
Mit ihren Schließungsplänen hat die Selbstverwaltungsorganisation der 23 000 Vertragsärzte zwei Gruppen gegen sich aufgebracht: Die Kollegen der Notfallambulanzen und Notaufnahmen der Krankenhäuser sowie Patienten, gerade im ländlichen Raum. Doch Reinhardt stand nicht alleine vor dem aufgebrachten Forum. Zwei Standeskollegen gaben die Sicht der belasteten Ärzte wider, eine sprach von einer Instrumentalisierung der Angst seitens der Politik.
Sorge vor jenen, welche die einfachen Lösungen predigen
Der SPD-Fraktionsvorsitzende Andreas Stoch widersprach: Es sei Aufgabe der Politik, berechtigte Sorgen der Bevölkerung aufzugreifen und zu beheben, sonst wendeten sich die Menschen an jene Politiker, die einfache Lösungen predigten. Doch auch die SPD will aus dem Protest politische Münze prägen. Die Kritik am grünen Gesundheitsminister Manne Lucha, warum er als Rechtsaufsicht die KV nicht stoppe, wo doch gleichwertige Lebensverhältnisse gefährdet seien, ist Oppositionsgeschäft.
Der Abend aber zeigte auch, warum es vielleicht doch einen höheren Ordnungswillen im Ärztewesen braucht, denn die benachbarten Notfalldisziplinen fürchten eine noch stärkere Belastung, wenn die niedergelassenen Ärzte ihre ambulante Notfallversorgung eindampfen. Andreas Pitz, Professor für Sozial-, Gesundheits-und Non-Profit Recht von der Hochschule Mannheim warnte vor Insellösungen und brachte eine bessere Patientensteuerung ins Spiel: „Der Patient bekommt nicht mehr das, was er will, sondern das, was er braucht.“ Beispiele böten Leitstellen in den Niederlanden.
Entscheidungsfreiheit der Ärzteorganisation
Notfallmediziner Stefan Kühner, Chefarzt an den Reutlinger Kreiskliniken, bemängelte die Entlohnung: „Wenn die Notfallversorgung ausreichend bezahlt wäre, hätte die Kassenärztliche Vereinigung Interesse an der Versorgung.“ MdL Wahl sprach von einem Minus von 88 Euro je Ambulanz-Patienten für Notaufnahmen.
KV-Sprecherin Reinhardt hatte eine ganz andere Sicht. Sie pochte auf die Entscheidungsfreiheit ihrer öffentlich-rechtlichen Anstalt. Den Rotstift bei den Bereitschaftspraxen begründete sie damit, dass die niedergelassenen Ärzte durch den Wegfall von Sonderschichten abends und an Wochenenden für den Regeldienst zu den Praxiszeiten geschont werden. Das wolle man aber nicht hören. Die reduzierte Notfallversorgung stärke die Regelversorgung, die ohnehin durch 1000 vakanten Arztsitze im Land belastet sei. Daher habe man sehr sorgfältig und offen die Praxen ausgewählt, die geschlossen werden.
„Die Auswahl war schlampig“, formulierte Martin Löffler, SPD-Bürgermeister von Mülheim. Die Stadt im Kreis Breisgau-Hochschwarzwald gehört zu den 13 Kommunen, die gegen die Schließungen der Notfallpraxen klagen, auch um Akteneinsicht zu erhalten. Erste Einblicke rechtfertigten seine Einschätzung, so Löffler.
„Wir wurden zwar informiert, aber nie beteiligt.“
Bei ihm, wie bei anderen Kommunalvertretern war der Frust über eine fehlende Kommunikation im Vorfeld deutlich zu spüren, so etwa bei Maximilian Friedrich, OB in Backnang (Rems-Murr-Kreis). Der Freie Wähler geißelte einen eklatanten Vertrauensverlust: „Wir wurden zwar informiert, aber nie beteiligt.“ Ärztesprecherin Reinhardt konterte, es habe vertrauliche Gespräche, allerdings auf Kreisebene, gegeben, um eine bestmögliche Auswahl zu gewährleisten.
Immerhin, eine Lösung scheint in Sicht: Das Gesetz über die Reform des Notfallwesens blieb trotz der ersten Lesung im Bundestag nach dem Ampel-Aus in der Pipeline stecken. Da auf Landesebene der Interessenausgleich zwischen den Kassenärzten, den anderen Notfallakteuren und den Patienten scheitert, muss wohl die neue Bundesregierung ran.
Was die Kassenärzte planen
Nach einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, Pool-Ärzte, die Dienste bei den Notfallpraxen übernommen haben, sozialversicherungspflichtig zu stellen, hatte die Kassenärztliche Vereinigung 2023 in einer ersten Welle acht Notfallpraxen stillgelegt, nun stehen 18 weitere zur Disposition. Die restlichen 57 Praxen sollen innerhalb höchstens 45-minütigen Autofahrten erreichbar sein. Mobile Ärzte und Telemedizin sollen die ambulante Notfallversorgung sicherstellen.
Lesen Sie hier, warum Kommunen gegen die KV klagen. Hier finden Sie die Berichterstattung, was im Landtag debattiert wurde.