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Landrat Roland Bernhard: „Es braucht mehr Mut in der Politik beim Bürokratieabbau“
Roland Bernhard: Ich verspüre noch viel Kraft in mir, und die Freude überwiegt. Auch wenn nicht immer alles vergnügungsteuerpflichtig ist. Der Landkreis Böblingen ist wirtschaftsstark, es gibt eine hervorragende Infrastruktur und ein gutes Miteinander mit den Bürgermeistern und Kreisräten. Das motiviert mich.
Wie lange wollen Sie dieses stressige Amt noch ausüben?Für Landräte ist mit Vollendung des 73. Lebensjahres Schluss.
Die Lage der Kliniken ist dramatisch, die Defizite wachsen. Wie sehen Sie Ihren Klinikverbund Südwest aufgestellt?Wir haben unsere Hausaufgaben erfüllt. Wir konzentrieren die Standorte, indem wir die Kliniken Böblingen und Sindelfingen auf dem Flugfeld zusammenlegen. Das Krankenhaus Herrenberg wird in ein integriertes Gesundheitszentrum umgewandelt. Diese Entscheidung war nicht einfach, aber richtig. Und Leonberg wird als Haus der Grund- und Regelversorgung neu zugeschnitten. Das sind große Zäsuren an allen Standorten, aber mit Blick auf die Lauterbach’sche Krankenhausreform liegen wir mit unserem Medizinkonzept richtig.
Der Klinikverbund umfasst zwei Landkreise, Böblingen und Calw …Wir haben die Krankenhausgesellschaften der beiden Landkreise, die bislang in einer Holding zusammengeführt wurden, fusioniert. Jetzt gibt es nur noch eine Gesellschaft statt drei mit je drei Aufsichtsräten. Mit dieser Bündelung können wir schlagkräftig auftreten.
Aber es muss kräftig gespart werden …Die dritte Säule unserer Reform neben Medizinkonzept und Fusion ist das sogenannte Ergebnisverbesserungsprogramm. Der Geschäftsführer hat die Aufgabe, zehn Millionen Euro jährlich in den Häusern beider Landkreise einzusparen. Bis 2030 wollen wir die Schwarze Null erreichen, das ist unser Ziel.
Das Flugfeldklinikum ist einer der größten Neubauten im Land, wie steht es?Bei den meisten Gewerken geht es gut voran. Leider gibt es aktuell Schwierigkeiten, weil der Planer insolvent ist, der für die technischen Gewerke zuständig ist. Wir suchen derzeit eine Ersatzlösung und sind auf einem guten Weg. Es ist noch zu früh, einen Termin für die Fertigstellung zu nennen, aber je schneller das neue Klinikum in Betrieb geht, desto schneller sinken die Defizite.
Wie ist die Lage in der Flüchtlingsunterbringung im Landkreis?Ambivalent. Das Landratsamt ist bei der vorläufigen Unterbringung entlastet, die Flüchtlingsströme sind etwa durch die Grenzkontrollen zurückgegangen; das spüren wir. Aber die Kommunen sind noch immer sehr belastet mit der Anschlussunterbringung. Da geht es nämlich auch um Integration, Schulen und Kitaplätze; die Lage bleibt dort angespannt. Wir müssen endlich die illegale Migration in den Griff bekommen. Um es klar zu sagen: Wir brauchen Zuwanderung, aber legal, begrenzt und gezielt für den Arbeitsmarkt.
Eine LEA im Kreis ist vom Tisch?Das derzeitige Klinik-Areal in Böblingen war im Blickfeld der Landesregierung für eine LEA. Das Thema ist entschieden. Der Kreistag hatte mich beauftragt, mit der Stadt Böblingen über das alte Krankenhausgelände zu verhandeln. Der Kaufpreis beträgt 40 Millionen. Die Stadt hat als künftiger Eigentümer freie Hand, was dort entsteht, wenn der Krankenhausbetrieb in die Flugfeldklinik umgezogen ist.
Irgendwo müssen aber LEAs in Baden-Württemberg eingerichtet werden …Da schlagen zwei Seelen in meiner Brust. Ich habe sieben Jahre im Innenministerium gearbeitet und war verantwortlich für die Flüchtlingsunterbringung. Das Land findet keine Lösung für einen Standort. Es ist absolut unbefriedigend, dass die Landesregierung bei den Landkreisen betteln muss. Aber ich sehe auch, dass dieses Areal ein Filetstück ist und die Stadt Böblingen wenig andere Flächen und Möglichkeiten hat, sich weiter zu entwickeln.
Kaum ein Landkreis hängt so am Automobil wie Böblingen, herrscht Krise?Noch sind die Gewerbesteuern hoch, aber es gibt natürlich keine Garantie, dass es so bleibt. In jedem Fall sinkt durch Elektromobilität die Zahl der Arbeitsplätze. Die Sicherung unseres Wohlstandes ist daher für mich die Hauptsache. Wir können dazu nur mittelbar Einfluss nehmen, etwa durch den Ausbau der Glasfaserkabel und der Infrastruktur. Auch der Ausbau der Autobahn 81 mit dem Lärmschutzdeckel bei Böblingen/Sindelfingen, die der Landkreis mitfinanziert, ist wichtig für die Wirtschaft. Das gilt auch für den sogenannten Lückenschluss der Bundesstraßen B 295 und B 464, der schon viel zu lange auf sich warten lässt.
Droht ein Strukturwandel in der so wichtigen Automobilwirtschaft im Kreis?Ich schätze die Unternehmen im Landkreis als agil und wandlungsfähig ein. Es gibt neben den Konzernen einen starken Mittelstand mit vielen klugen Köpfen. Dort spürt man den richtigen Spirit. In der Automobilindustrie benötigen wir für die Übergangszeit Verbrennertechnologie. Daran hängen viele Arbeitsplätze, das dürfen wir nicht ausblenden.
Sie müssen die Kreisumlage weiter erhöhen, wie verlaufen die Debatten?Der kommunale Frieden hält. Die Haushaltslage ist sehr schwierig. Es tröstet mich nicht, dass sie in anderen Landkreisen noch schwieriger ist (lacht ). Es gibt fast schon eine Art negativen Überbietungswettbewerb. In Böblingen mussten wir die Kreisumlage um 2,5 Hebesatzpunkte auf 34,5 Prozent anheben. Zudem mussten wir drei Sparrunden drehen mit schmerzhaften Einschnitten beim Personal; auch einen Stellenabbau haben wir vereinbart. Das sind wir in der Verwaltung nicht gewohnt, es sind harte Zeiten.
Es gibt Wechsel bei den Oberbürgermeistern. Der umstrittene OB in Leonberg hört auf, Bernd Vöhringer (CDU) tritt in Sindelfingen nicht mehr an, Thomas Sprißler wurde in Herrenberg durch Nico Reith ersetzt. Verändert das das Miteinander?Natürlich kämpft jeder um seine politischen Positionen, aber menschlich gibt es keine Verwerfungen. Es geht manchmal hart zur Sache, aber wir tragen die Konflikte nicht in der Öffentlichkeit aus. Und wir können uns immer in die Augen schauen. Die jungen Bürgermeister bringen frischen Wind herein. Es tut auch gut, dass in vier Kommunen Frauen Bürgermeisterin geworden sind.
CDU-Landeschef Manuel Hagel schlägt eine große Verwaltungsreform vor …Ich warne vor einer Gebietsreform. Die letzte ist zwar schon 50 Jahre her, aber das ist nicht die Lösung des Problems. Es gibt viele kleine und mittlere Kommunen, die sehr leistungsstark und agil sind, die vor Ort schnelle Lösungen finden. Allerdings müssen wir die Instrumente geben, etwa bei der Digitalisierung oder dem Einsatz von KI. Ich sehe eher dort den Bedarf, die Verwaltung zu optimieren. Innovation ist der Schlüssel.
Dazu gehört auch der Bürokratieabbau – reicht Ihnen, was beschlossen wurde?Es geht erstens in die richtige Richtung, und zweitens: Es reicht noch nicht (lacht). Die Entlastungspakete sind durch den Druck der Verbände zustande gekommen. Wir dürfen allerdings nicht nachlassen, denn richtige Dickschiffe fehlen noch. Es braucht mehr Mut in der Politik, auch mal Fünfe gerade sein zu lassen. Vielleicht ist es zu viel verlangt, mit der Kettensäge das berühmte „Brombeergestrüpp“ anzugehen, aber wenigstens mit der Machete. Der Gesetzgeber sollte mehr Ziele vorgeben, anstatt in der Umsetzung alles haarklein vorzuschreiben und zu regeln.
Bleibt das einzigartige Mülltrennungssystem im Kreis Böblingen bestehen?Wir sind Weltmeister in der Kehrwoche und Mülltrennung (lacht) . Es ist bei uns eine Abfall-Kultur entstanden. Die Amerikaner nehmen es als skurrile Erfahrung mit, wenn sie uns besuchen. Das zeigt unsere schwäbische Seele. Wer die Debatten um die Müllverbrennung in den 90ern noch erlebt hat, ist davon überzeugt. Die Wertstoffhöfe sollen erhalten bleiben. Es ist aber der Wunsch jüngerer Generationen, die Elemente eines Abholsystems zu stärken.
Aber die Freude am Amt überwiegt?Auf jeden Fall. Zu Hause wäre es mir langweilig. Ich fühle mich topfit, warum sollte ich meinen Lieblingsjob nicht weiterführen? Er ist neben dem Papst der schönste Beruf.
Das Gespräch führte Rafael Binkowski
Zur Person
Roland Bernhard ist seit 2008 parteiloser Landrat des Kreises Böblingen. Er studierte Jura in Tübingen und begann seine Laufbahn 1986 im Landratsamt Böblingen. Nach Tätigkeiten im Innenministerium wurde er 1996 Erster Landesbeamter und Vize-Landrat in Calw. 2008 setzte er sich im Böblinger Kreistag gegen den Denkendorfer Bürgermeister Peter Jahn mit 40 zu 33 Stimmen durch, 2018 und 2024 wurde er mit großer Mehrheit bestätigt. Bernhard ist verheiratet und Vater von sechs Kindern.