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Kommunale Haushalte

Kommunen vor dem Kollaps: Wo man die Krise direkt spürt

Die Kassen von Städten und Gemeinden sind fast überall leer. Auch in Bad Liebenzell kratzen sie jeden Euro zusammen - und können doch keinen Haushalt vorlegen, der genehmigt wird. Woran liegt das?

Die Infrastruktur stellt die Kommunen vor finanzielle Herausforderungen.

IMAGO/Fotostand)

Bad Liebenzell. Aus dem Ziegenzaun am Burgberg in Bad Liebenzell wird nichts, die Bibliothek muss auf die Bücherklappe verzichten, das Feuerwehrhaus bekommt keine neuen Türen und die Sanierung der Schule fällt kleiner aus als gedacht. Jeder Euro zählt in der einst blühenden Kurstadt im Tal der Nagold.

Denn Bad Liebenzell hält einen ungeliebten Rekord: Es haben sich dort pro Einwohner mehr Schulden angehäuft als in allen anderen Städten und Gemeinden in Baden-Württemberg – und fast viermal so viel wie im Landesdurchschnitt. An allen Ecken und Enden muss gespart werden.

Die Schwarzwald-Gemeinde steht mit ihren roten Zahlen keineswegs allein: Kommunen im Südwesten verzeichnen für das vergangene Jahr ein Defizit von drei Milliarden Euro, wie Daten des Statistischen Bundesamtes zeigen. „Die Finanzlage der Städte ist dramatisch. Die Einnahmen sinken, während die Ausgaben ungebremst steigen“, sagt der Präsident des Städtetags, der Karlsruher Oberbürgermeister Frank Mentrup (SPD).

Rathäuser sparen an allen Ecken und Enden

In Bad Liebenzell kommen auf jeden der rund 9.700 Einwohner 8.422 Euro Schulden. Auch Mannheim , Altensteig und Oppenau , Heidelberg und Feldberg sind in der unrühmlichen Liste vorn mit dabei. In den Rathäusern geht es schon lange ans Eingemachte. Wo streicht ein Kämmerer, wenn es kaum noch etwas zu streichen gibt?

In Bad Liebenzell geht es oft auch um Kleckerbeträge, die sich erst in Summe auf den Haushalt auswirken. Hier streicht der Gemeinderat seine Klausurtagung, dort wird ein Teil des Zuschusses für das Jahrbuch des Heimat- und Geschichtsvereins eingestampft. Die Digitalisierung der Bauakten wird auf mehrere Jahre gesplittet und ein Energiegutachten gestrichen, ein Brunnen soll erst später saniert werden. Außerdem drücken die millionenschweren Kosten für die Sanierungen eines Kindergartens und vor allem des Kurhauses.

Bad Liebenzell lebt überwiegend von der Substanz. Und die wird immer kleiner. „Wir durchforsten alle laufenden Kosten und müssen bedenken, dass es bei Investitionen immer auch Folgekosten gibt“, sagt der stellvertretende Bürgermeister Sebastian Kopp. Große Hoffnungen macht er sich nicht: „Egal, wie gut wir sind, wir schaffen keinen Haushalt, der auch nur ansatzweise genehmigungsfähig ist.“ Dann sei die Kommunalaufsicht – das Regierungspräsidium – am Zug. Bad Liebenzells Gemeinderat wird nachsitzen müssen.

Schuldenberg wird deutlich wachsen

Der Etat der kleinen Stadt im Tal der Nagold weist allein für dieses Jahr ein Defizit von 6,3 Millionen Euro aus, insgesamt hat sich der Schuldenberg der Kommune inzwischen auf deutlich über 80 Millionen Euro erhöht. Bis 2028 dürften es mehr als 110 Millionen Euro werden, sollten die Planungen überhaupt zu halten sein.

Das ist sicher ein Klacks im Vergleich zu den knapp 2,6 Milliarden Euro, die die Stadt Mannheim inzwischen angehäuft hat. Aber auf Bad Liebenzell, auf Investitionen und Gestaltung wirkt diese Schuldenlast wie eine Wegfahrsperre. Zumal die Aussichten nicht nur für Bad Liebenzell düster sind: „2026 wird die Haushaltslage noch schlimmer“, sagt Kopp.

Neun von zehn Kommunen können Haushalt wohl nicht ausgleichen

Der baden-württembergische Gemeindetag sieht das nicht anders. Für die bevorstehenden Jahre seien die Aussichten düster, sagt dessen Präsident Steffen Jäger. „Die Alarmsignale schrillen auf Höchststufe.“ Laut Kreisfinanzbericht können 80 Prozent der Kreise keinen ausgeglichenen Haushalt vorlegen. Der Städtetag sprach zuletzt sogar von fast 90 Prozent der Städte, die im Haushalt 2025 mit einem negativen ordentlichen Ergebnis planen. Verantwortlich seien vor allem die Ausgaben für Personal, Sachaufwendungen, Sozialleistungen und Zinsen, sagt Jäger.

Auch Bad Liebenzells Stadtkämmerer Rene Kaufmann und Bürgermeister-Vize Kopp verweisen auf diese Kostentreiber. Außerdem werde von Bund und Land vieles abgedrückt auf die Kommunen als letztes und schwächstes Glied. „Die Abfallversorgung und die Schulen, die Kita-Vorgaben und die Energie. In Stuttgart oder Berlin brüstet sich dann jemand und wir müssen es machen“, sagt Kopp.

Überdies drohe Bad Liebenzell durch den Zensus rund 500 Einwohner einzubüßen – mit Folgen für die Zuweisungen über den kommunalen Finanzausgleich. „Mir wird da angst und bange“, sagt Kopp.

Kaum Spielraum fürs Gestalten

Zumal es der Kommune weiteren Spielraum nimmt, um kreativ und aus eigener Kraft aus dem Schlamassel zu kommen. „Wir arbeiten nur Sachen ab, ohne gestalten oder etwas aufbauen zu können“, sagt Kämmerer Kaufmann. „Irgendwann wächst eine Gemeinde heran, die keinen Spielraum mehr hat und sich nur noch verwaltet.“

Nun seien die Menschen in Bad Liebenzell gefragt, sagen Kopp und Kaufmann. „Es wird mehr kommen müssen von den Menschen, von Fördervereinen und Dorfgemeinschaften. Die Leute müssen überlegen, was sie für den Staat machen müssen.“

Kritik an Haushaltsplanung

Allerdings gehen die Meinungen auf der Suche nach den Ursachen für die finanzielle Lage auseinander. „Ein Rückzug auf die Pflichtaufgaben, Einsparungen nach dem „Gießkannenprinzip“ und singuläre Akzente ohne Nachhaltigkeit eröffnen keine Perspektiven für eine zukunftsfähige Entwicklung“, sagt Hans-Dieter Teske vom Bürger- & Kulturverein Bad Liebenzell.

Er stellt zudem den Kurbetrieb infrage: „Dort wird Geld investiert, das uns für die Infrastruktur in der Gemeinde fehlt“, sagt Teske. „Wenn wir uns aber dafür entscheiden, dann dürfen wir nicht kürzen etwa beim Weihnachtsmarkt und beim Lichterfest, im Gegenteil. Dann müssen wir fördern, um auch Touristen stärker anzuziehen.“ (dpa/lsw)

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