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Geschäftsgebaren von EnBW-Tochter

Kommunaler Netzstreit sorgt für politische Hochspannung

Wenn zwei sich streiten, schaut bisweilen das halbe Land zu. So ging es zwei Netzanbietern, die um Stromanschlüsse im südbadischen Kandertal kämpften, und das mit harten Bandagen. Weil die EnBW involviert ist, meinen Betroffene, das Land lasse einen Streit gegen die Kommunen zu.

Verteilnetze sind oft heiß begehrt von Netzbetreibern. Um solche unterirdischen Kabel gibt es nun einen Streit in Südbaden.

dpa/ JOKER / Karl-Heinz Hick)

Binzen. Es ist ein Verfahren, das spätestens alle 20 Jahre jeder Kommune blüht. Sie muss entscheiden, welches Unternehmen die Energienetze betreibt. Vor dieser Frage standen 2017 auch Binzen (Kreis Lörrach) und weitere fünf Kleinkommunen des Gemeindeverwaltungsverbands Vorderes Kandertal sowie Efringen-Kirchen, Inzlingen und aufgrund mehrerer Ortsteile die Städte Kandern und Neuenburg. Es geht um rund 25 000 Stromverbraucher. 2019 war klar, der bisherige Netzbetreiber Naturenergie Netze hatte ein schlechteres Angebot abgegeben als die Badenova Netze aus Freiburg. Das habe die von einem externen Experten angefertigte Anforderungsmatrix klar ergeben, so Binzens parteiloser Bürgermeister Andreas Schneucker. Die Badenova bekam den Zuschlag für das Verteilnetz der zehn Kommunen. Allein in Binzen wurden für 900 Hausanschlüsse plus Gewerbeabnehmer 11 000 Euro Verfahrenskosten fällig. Dabei sollte es aber nicht bleiben.

Naturenergie zog vor Gericht und rügte die Entscheidung. Mittlerweile liegt ein rechtskräftiges Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe vor, das die Rüge des Schweizer Unternehmens abgewiesen hat. An Binzen blieben noch einmal 20 000 Euro nicht erstattungsfähige Gerichtskosten hängen. Der Vertrag mit Badenova ist mittlerweile unterschrieben. Trotzdem will Naturenergie das Netz nicht hergeben.

Naturenergie kritisiert weiterhin die Bewertung im Vergabeverfahren

Das Unternehmen, an dem mehrheitlich die EnBW beteiligt ist, moniert, dass die Kommunen Zusagen der Badenova Netze positiv berücksichtigt hätten, obwohl diese laut deren eigenen Vergabekriterien weder abgefragt noch relevant für die Bewertung gewesen seien. Außerdem gebe es neben dem Rüge- noch ein Klageverfahren. Ob der Netzbetreiber das anstrengen möchte, ließ er auf Anfrage des Staatsanzeigers offen.

Entschieden ist die Badenova. Sie plant laut einem Sprecher eine Herausgabeklage des Netzes. Dass der Konkurrent neue Argumente gegen die Vergabe vorbringen werde, bezweifelt man in Freiburg – was auch in Stuttgart geteilt wird.

Tobias Bringmann, Geschäftsführer des Landesverbandes Kommunaler Unternehmen, zu dem auch etliche Stadtwerke gehören, vermutet einen ganz anderen Grund hinter dem Gebaren: Es gehe um Marktmacht und Einschüchterung. „Ich kenne Gemeinden, die in ihrer freien Entscheidung mit der Drohkulisse beeinflusst wurden, dass Verfahrenskosten die zu erwartenden Konzessionseinnahmengebühren über eine Laufzeit von 20 Jahren übersteigen“, sagt Bringmann. Er fragt sich daher, wie das Auftreten der EnBW mit der jüngsten Kapitalerhöhung von drei Milliarden Euro aus Steuergeldern zu vereinbaren sei: „Ich vermisse Verhältnismäßigkeit und Vernunft.“

Gemeinden machen ihrem Frust Luft

Die betroffenen Kommunen haben ihren Frust über die EnBW-Tochter in einer Pressemitteilung formuliert: „Dieses Vorgehen der Naturenergie Netze GmbH zeugt von einer bemerkenswerten Ignoranz sowohl gegenüber den Städten und Gemeinden als auch den staatlichen Gerichten.“ Der Kreis der Kritiker hat sich für einen Beschwerdebrief auf 50 Rathauschefs erweitert, die Ministerpräsident Kretschmann als Vertreter des Landes, einem der zwei EnBW-Großaktionäre, zum Eingreifen auffordern. Dieser sieht sich nicht in der Lage dazu, es gehe ums operative Geschäft eines privatrechtlich organisierten Unternehmens, das dem Aufsichtsrat verwehrt sei – was etwa Verbandsvertreter Bringmann aus Good-Governance-Gründen bezweifelt. Auch der andere Großaktionär, der aus neun Landkreisen bestehende Zweckverband der Oberschwäbischen Elektrizitätswerke OEW, beruft sich auf Kretschmanns Argumentation. Das grün geführte Umweltministerium vermeidet als oberste Kartellbehörde eine konkrete Bewertung.

Parlamentsanfrage erhöht die politische Brisanz

Brisanz gewann der Fall durch eine Landtagsanfrage der Freiburger SPD-Abgeordneten Gabriele Rolland, für die jene Kartellbehörde feststellte, dass seit 2021 von den 39 konzessionsrechtlichen Klagen gegen Kommunen im Land 35 von der EnBW oder deren Töchter erhoben wurden. „Das kann der Landesregierung nicht egal sein, wenn ein Unternehmen mit Landesbeteiligung gegen mindestens 35 Kommunen klagt“, sagt Freiburgs OB Martin Horn, Autor des Brandbriefs an Kretschmann: „Ich halte das Vorgehen für ein Eigentor für die dringend notwendige Energiewende.“

Das möchte OB Horn, selbst Aufsichtsratschef der Badenova, nun mit Kretschmann und der EnBW-Chefetage besprechen. Und auch im Kreis Lörrach laufen Gespräche mit der Badenova, so Naturenergie. Ob das Binzens Bürgermeister Schneucker zufriedenstellen kann? Er möchte das Netz übergeben wissen: „Nach einem Verfahren, das sechs Jahre gedauert hat, sollte das doch möglich sein.“

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