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Kirchhof: „Die Südwest-Grundsteuer wackelt erheblich“
Stuttgart. Eine Auswertung des Bunds der Steuerzahler zeigt, dass durch die Grundsteuerreform für Gewerbeflächen oft weniger, für Wohngrundstücke oft höhere Abgaben anfallen. So steige der Anteil an der Steuerlast für Wohngrundstücke in Mannheim von 56 auf 63 Prozent, in Freiburg von 61 auf 70 Prozent und in Ravensburg von 54 auf 70 Prozent. Insbesondere die Eigentümer von Ein- und Zweifamilienhäusern müssten künftig tiefer in die Tasche greifen, manche um ein Vielfaches.
Baden-Württemberg setzt auf ein Bodenwertmodell
Damit Wohngrundstücke denselben Aufkommensanteil wie vor der Reform beisteuern, müsste es eine Lösung für die Kommunen geben, etwa gesplittete Hebesätze für Wohnen und Gewerbe, so der Steuerzahlerbund. Dies wäre allerdings auch nur eine Symptombehandlung. „Die verfassungsrechtlich zweifelhaften Belastungswirkungen der Bodenwertsteuer werden hier ersichtlich“.
Baden-Württemberg setzt auf ein Bodenwertmodell, bei dem es nur auf den Wert und die Größe des Grundstücks ankommt. Der Steuerrechtler Gregor Kirchhof erklärt die Verschiebungen vom Gewerbe zum Wohnen mit den Bodenrichtwerten. Diese seien bei Gewerbegebieten am Ortsrand niedriger als bei Wohngebieten in guter Lage, so der Professor, der für den Steuerzahlerbund und Haus & Grund ein Gutachten zum Südwest-Modell vorgelegt hatte. Zwei Faktoren machten dieses ungenau: „Die von den Gutachterausschüssen ermittelten Bodenrichtwerte sind – wie es der Name bereits sagt – reine Richtwerte, die Grundstücke in Zonen zusammenfassen und bewerten.“ Diese Zonen beinhalteten Abweichungen von bis zu 30 Prozent, weil wichtige Merkmale eines Grundstücks, wie der Zuschnitt und auch hohe Lasten zum Beispiel des Denkmalschutzes, nicht berücksichtigt würden.
„Unterschied, ob auf dem Grundstück eine Bruchbude oder ein Hochhaus steht“
Juristisch sei nun zu bewerten, ob die Werte um bis zu 30 oder 40 Prozent bei der Bemessungsgrundlage abweichen dürfen. Laut dem Gesetz in Baden-Württemberg greift ein Gegenwertbeweis erst ab einer Abweichung von 30 Prozent. Beim Bundesmodell liegt die Schwelle bei 40 Prozent. Die Rechtsprechung gehe aber davon aus, dass die Wertdifferenzen höchstens 20 Prozent betragen dürfen, so Kirchhof.
Der zweite Ungenauigkeitsfaktor sei, dass die Gebäude nicht berücksichtigt würden. „Es macht einen riesigen Unterschied, ob auf dem Grundstück eine denkmalgeschützte Bruchbude oder ein Hochhaus steht“. Nun stehen Klagen gegen die Modelle der Länder und des Bundes an. „Bayern, Hamburg, Hessen und Niedersachsen haben grob vereinfacht, aber die Gebäudegröße und Lage berücksichtigt. Das ist gleichheitsgerecht“. Das Bundesmodell sieht der Jurist zum Scheitern verurteilt wegen der ungenauen Bodenrichtwerte von bis zu 40 Prozent. „Das wackligste Modell aber ist das in Baden-Württemberg. Hier liegen ungenaue Bodenrichtwerte zugrunde und es lässt Immobilien unberücksichtigt.“
Mieterbund will „grob unsozialen Fehler bei der Reform“ korrigieren
Laut den Daten des Steuerzahlerbunds gibt es keine eindeutige Tendenz bei Grundstücken mit Mehrfamilienhäusern. Während deren Aufkommensanteil in Pforzheim um zwei Prozentpunkte sinke, steige er in Reutlingen um fünf. Die Aussage der Reformbefürworter, Mieter würden entlastet werden, könne nicht allgemein bestätigt werden. Der Mieterbund fordert deshalb, den „grob unsozialen Fehler bei der Reform“ zu korrigieren.
Für das Finanzministerium ist es unvermeidlich, dass es bei der Grundsteuer zu Belastungsverschiebungen kommt. Ein Sprecher erinnert daran, dass die Grundsteuerwerte über Jahrzehnte nicht aktualisiert wurden. Nun gebe es zum Teil deutliche Sprünge nach oben. Auch in einem Modell, das das Gebäude miteinbezieht, sei das so.
Ministerium: Kommunen können auf Steuerzahlungen verzichten
Für ein Fazit sei es zu früh: „Noch sind in vielen Kommunen nicht einmal die Grundsteuerbescheide rausgegangen“, so der Sprecher. Das Ministerium gehe davon aus, dass „Wohnen – unter Einbeziehung aller zu Wohnzwecken genutzten Grundstücksarten – durch die Reform nicht wesentlich mehr belastet“ wird.
Mit Blick auf mögliche Härtefallregelungen für die starke Mehrbelastung einzelner Eigentümer verweist das Ministerium auf die Kommunen: Sie könnten in Einzelfällen Steuerzahlungen stunden und ganz, oder teilweise erlassen. Das ist laut Susanne Nusser, stellvertretende Geschäftsführerin beim Städtetag, rechtlich kaum möglich, weil die Billigkeitsregelungen sehr restriktiv sind. Die Verschiebungen seien dem Steuermodell geschuldet, das Nusser aber durchaus für verfassungskonform hält. Die Städte wollten dafür politisch nicht in Haftung genommen werden. Wenn alle Daten auf dem Tisch liegen, brauche es eine offene Debatte über mögliche Anpassungen.