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Interview: Junge Bürgermeister: „Wir müssen die großen Themen priorisieren“
Staatsanzeiger: Warum engagieren Sie sich im Netzwerk Junger Bürgermeister?
Michael Salomo: Jeder junge Bürgermeister muss erstmal ein Stück weit seine Rolle finden. Hier wollen wir die Kollegen abholen, die neu ins Amt kommen. Uns ist diese Form des Austauschs wichtig. Andererseits wollen wir neue Denkansätze in die Politik einbringen. Wir bearbeiten Themen flexibel und anlassbezogen im Kreis des Netzwerkes, das heißt, wir grün den Arbeitsgruppen beispielsweise zum Bau eines Feuerwehrhauses für die Kolleginnen und Kollegen, die mit dieser Thematik aktuell befasst sind.
Michael Salomo (SPD),
Oberbürgermeister der
Stadt Heidenheim
Warum machen Sie das nicht unterm Dach des Deutschen Städte- und Gemeindebunds oder Städtetags?
Ich glaube, wir haben dieselben Themen zu bearbeiten, aber wir gehen anders heran, priorisieren anders als die älteren Kollegen. Wir haben keine hauptamtlichen Strukturen, arbeiten themenbezogen in Projektgruppen. In einem Staat, in dem gerade so viel im Umbruch ist, ist es wichtig, verschiedene Sichtweisen und Blickwinkel in die Diskussion einzubringen. Wir treten hier in keine Konkurrenz zu den etablierten Verbänden, schon gar nicht, weil wir alle – und das sind in Deutschland rund 700 Bürgermeister – maximal 40 Jahre alt sind. Aber diese junge Sicht auf die Dinge ist wichtig und legitim. Wir beteiligen uns selbstverständlich auch in den etablierten Verbänden.
Sie sagten kürzlich, dass der Bürger vor Ort zu viele Beteiligungsmöglichkeiten hat. Warum?
Die Willensbildung in unserem Staat baut auf Parteien auf. Wer sich einbringen will, müsste sich also aufstellen und in einen Gemeinderat wählen lassen. Aber es gibt immer weniger Menschen, die sich dieser Wahl stellen, weil sie fünf Jahre Verantwortung für alle Themen im Stadtgebiet übernehmen. Hier sind die Spielregeln klar. Wer bei einem Thema etwa als Angrenzer eines Bauprojekts persönlich befangen ist, darf nicht mitreden. Aber beim Bürgerbeteiligungsverfahren habe ich alle anderen, die auch Angrenzer sind, mit am Tisch. Sie verstehen dieses Verfahren manchmal aber nicht dazu, ein Projekt zu verbessern, sondern versuchen manchmal eher, es zu verhindern. So entsteht zuweilen das Problem, dass es bei Bürgerbeteiligung nicht ums große Ganze geht, sondern um Einzelinteressen.
Warum ist das für Sie schwierig?
Ich habe einfach Angst, dass wir immer mehr Menschen in unserer Demokratie verlieren. Aus Frust, weil bei ihnen der Eindruck entsteht, dass sowieso egal ist, was sie einwenden. Weil der Rat dann doch anders entscheidet. Je konkreter ein Projekt ist, desto kritischer wird das. Das ist oft gut gemeint, hinterlässt aber großen Flurschaden. Beteiligungsverfahren in der Stadtentwicklung dagegen halte ich für gut, da spricht man auf der Metaebene. Obwohl ich jeden Stadtentwickler und Verkehrsplaner im Rathaus verstehe, der nicht mehr bereit ist, sich auf solchen Veranstaltungen massiv angreifen zu lassen.
Sie kritisieren offen die Förderpolitik von Bund und Ländern.
Ein Beispiel: Das Land hat’s gut gemeint und in der Corona-Pandemie ein Zuschussprogramm für Lüftungsanlagen in Klassenzimmer aufgelegt. Es gibt also einen Fördertopf und begrenzte Mittel, die nach dem Windhundprinzip vergeben werden. Dann entsteht Druck, und jede Kommune versucht loszurennen. Die Stadt, die das nicht macht, riskiert schon fast einen Bürgeraufstand. Wir in Heidenheim haben uns gegen die Lüfter entschieden und wurden mit der Aussage konfrontiert, uns sei das Kindeswohl egal. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen! Aber die Kollegen, die auf den Zug aufgesprungen sind, haben heute die Folgekosten vom Hausmeister über den Filterwechsel bis zu den enorm gestiegenen Stromkosten.
Was ist Ihre Konsequenz?
Mache ich bei 20 Förderprogrammen mit, weil ich das will oder wegen des öffentlichen Drucks muss, habe ich 20 zusätzliche Aufgaben, aber nicht die dauerhafte Finanzierung dafür. Also muss ich bei meinen Bestandsaufgaben Personal und Finanzen abziehen. Das ist verheerend. Deshalb bin ich für eine klare Aufgabenkritik. Wir müssen die großen Themen priorisieren und nicht weiter im Klein-Klein agieren. Die dritte Toilette in der Gastronomie ist da im Moment vielleicht nicht gerade der Fokus.
Sie vertreten die Ansicht, dass es auf Bundesebene eine dritte Kammer bräuchte, um die Interessen der Kommunen wirkungsvoll zu vertreten.
Diejenigen, die Bundes- und Landespolitik vor Ort umsetzen müssen, reden nicht mit. Wir kommen in der Praxis bei der Fülle an Aufgaben und Problemen nicht mehr hinterher. Es gibt einen Gap zwischen dem, was politisch gewollt und realistisch umsetzbar ist. Vielleicht ist ein Schritt zurück nötig, um wieder das große Ganze zu sehen. Ich kriege meine Pflichtaufgaben nur noch mit Mühe und Not umgesetzt.
Quelle/Autor: Katy Cuko