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Compliance-Verfahren im Klinikum Friedrichshafen: Interne Untersuchung mit externen Spezialisten
Friedrichshafen. Die Vorwürfe wiegen schwer. Wegen Körperverletzung, fahrlässiger Tötung und Abrechnungsbetrug am Klinikum Friedrichshafen ermitteln die Staatsanwaltschaften Ravensburg und Stuttgart seit März gegen einen Chefarzt und zwei Assistenzärzte. Die Ermittlungsgruppe „Cura“ der Kriminalpolizei soll aufarbeiten, ob die beschuldigten Mediziner durch Fehlverhalten oder Unvermögen mindestens dazu beigetragen haben, dass ihnen anvertraute Patienten zu Schaden kamen.
Oberbürgermeiste ist qua Amt gleichzeitig Vorsitzender des Aufsichtsrates
Genau darauf hatte eine Oberärztin der Intensivstation seit 2021 intern mehrfach hingewiesen, auch mit sogenannten Gefährdungsanzeigen. Sie hatte dem Chefarzt vorgeworfen, das Patientenwohl zu gefährden, indem er Komplikationen bei der Behandlung verheimlicht habe. Zudem seien Assistenzärzte auf der Intensivstation überfordert gewesen, kritisierte sie. Am 1. Dezember 2023 nahm sie sich das Leben, exakt an dem Tag, an dem ihr die Kündigung zugestellt wurde. Der Chefarzt bestreitet alle Vorwürfe.
Das Klinikum Friedrichshafen gehört zum Medizin Campus Bodensee (MCB), einem kommunalen Klinikverbund, dessen Hauptgesellschafter die Stadt Friedrichshafen ist. Oberbürgermeister Andreas Brand ist qua Amt gleichzeitig Vorsitzender des Aufsichtsrates. Wie geht man mit solch einem Skandal, über den bundesweit berichtet wird, als kommunaler Eigner um?
Dem Chefarzt wurde inzwischen fristlos gekündigt
Nachdem Polizei und Staatsanwaltschaft umfangreich Daten und Akten im Klinikum gesichert hatten, beschloss der Aufsichtsrat, die Vorgänge auch in eigener Regie aufzuklären. Im Januar dieses Jahres wurde die auf Compliance-Verfahren spezialisierte Kanzlei Feigen Graf in München beauftragt, „die erhobenen Vorwürfe umfassend aufzuklären, eventuelle Missstände aufzudecken und für eine transparente und vertrauensvolle Unternehmenskultur am Klinikum Friedrichshafen zu sorgen“. So fasste OB Andreas Brand den Auftrag Mitte Juli noch einmal zusammen, als erste Ergebnisse dieser internen Untersuchung vorlagen.
In deren Konsequenz wurde dem betroffenen Chefarzt, der bereits seit März freigestellt war und auch seine Funktion als Medizinischer Direktor ruhen ließ, inzwischen fristlos gekündigt. Mit den vorliegenden Ergebnissen sei allerdings keine strafrechtliche Bewertung verbunden, betonte Brand in einer Pressekonferenz.
Gesetzliche Verfahrensregelung für Compliance-Untersuchungen gibt es nicht
Der Begriff Compliance beschreibt die Einhaltung von Regeln und Normen innerhalb eines Unternehmens. Compliance soll sicherstellen, dass sich alle Mitarbeiter an die gesetzlichen Vorschriften halten. „Kommunale Unternehmen unterliegen aufgrund ihrer öffentlichen Aufgaben und der damit verbundenen Verantwortung für Steuergelder besonderen Anforderungen. Compliance-Verfahren bieten hier ein strukturiertes Vorgehen, um mögliche Rechtsverstöße frühzeitig zu erkennen, zu untersuchen und zu beheben“, sagt Andreas Minkoff, Rechtsanwalt der beauftragten Kanzlei, der die Untersuchung am Klinikum Friedrichshafen leitet. In der Privatwirtschaft sei dies bereits nicht mehr wegzudenken. „Aber auch für kommunale Unternehmen besteht so die Möglichkeit, proaktiv und wirksam eine rechtmäßige Organisation sicherzustellen.“
Eine gesetzliche Verfahrensregelung für Compliance-Untersuchungen gebe es in Deutschland nicht, dafür aber etablierte Standards und Maßgaben, nach denen sich seine Kanzlei richte. Dabei würden gesetzliche Vorgaben aus dem Betriebsverfassungsrecht, dem Datenschutzrecht, dem Strafrecht sowie dem Arbeitsrecht beachtet.
Abgeschlossene Fälle „ergeben ein differenziertes Bild“
Die Untersuchung im Auftrag des Aufsichtsrats sollte zuerst feststellen, ob die erhobenen Vorwürfe zutreffen. Zudem sollte ermittelt werden, welche Reaktionen durch Vorgesetzte und die Klinikleitung auf die Vorwürfe der verstorbenen Oberärztin erfolgten und ob diese zulässig waren. Zu diesem Zweck hatte die Kanzlei Zugriff auf elektronische Daten und Akten in Papierform, um diese auszuwerten. Ein wesentliches Element der internen Untersuchung waren zudem Aufklärungsgespräche mit Mitarbeitern. Dazu befragte die Kanzlei unter anderem Ärzte, Mitarbeitende der Pflege sowie weitere Beschäftigte. Jede befragte Person konnte sich von Zeugenbeiständen begleiten lassen, deren Kosten man übernehme, bot das Klinikum an. Im Nachgang wurden die Gesprächsprotokolle mit der Bitte um Autorisierung zugestellt. So wurden nach Angaben des Klinikums in den vergangenen Monaten mehr als 100 Aufklärungsgespräche mit Mitarbeitenden des Klinikums, aber auch Externen geführt.
Auswertung ergibt „ein differenziertes Bild“
Nach Auswertung der Daten und Gespräche bezog die Kanzlei einen medizinischen Sachverständigen hinzu. Nach Angaben von Andreas Minkoff stütze sich die vorläufige Bewertung auf neun inzwischen abgeschlossene Fälle. Diese „ergeben ein differenziertes Bild“, so Minkoff. In zwei Fällen erhärteten die medizinischen Gutachten den dringenden Verdacht ärztlicher und arbeitsrechtlicher Pflichtverletzungen gegen den betroffenen Chefarzt. Andere Vorwürfe gegen den Chefarzt hätten sich nicht bestätigt. Der Aufsichtsrat habe dem Mediziner die Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Seine Einlassungen hätten ihn nur punktuell entlasten können. Deshalb beschloss der Aufsichtsrat die Entlassung nach Anhörung des Betriebsrats.
Der Aufsichtsrat stand während des gesamten Prozesses im Austausch mit dem Team der Kanzlei Feigen Graf und hatte sich überdies für eine Kooperation mit der ebenfalls in dieser Causa ermittelnden Staatsanwaltschaft Ravensburg ausgesprochen. Abgeschlossen ist das Compliance-Verfahren noch nicht. So soll im nächsten Schritt genau untersucht werden, wie die Geschäftsführung des Klinikums auf die Vorwürfe der Oberärztin reagiert hat.