Interview

Ryyan Alshebl: „Ich bin von Herrn Hagel enttäuscht“

Die Debatte rund um syrische Geflüchteten verfolgt Ryyan Alshebl mit Sorge. Der syrischstämmige Bürgermeister von Ostelsheim erklärt im Interview auch, wie er die Lage in seinem Herkunftsland nach dem Sturz des Assad-Regimes einschätzt. 

Seit 2023 ist Alshebl Bürgermeister von Ostelsheim (Kreis Calw).

dpa/ REUTERS/ Lukas Barth)

Im Jahr 2015 floh der damals 21-jährige Ryyan Alshebl aus Syrien nach Baden-Württemberg. Seit 2023 ist er Bürgermeister von Ostelsheim (Kreis Calw) und damit der erste syrischstämmige Rathauschef in Deutschland. Der Grüne hat sich regelmäßig zu Flüchtlingsthemen geäußert und sieht die Asylpolitik Deutschlands kritisch. Auch zur aktuellen Debatte rund um Geflüchtete hat er eine klare Meinung.

Wie haben Sie den Sturz Assads verfolgt?

Ich verfolge die Nachrichten seit letztem Mittwoch sehr intensiv. Freunde hatten mich auf die Entwicklungen hingewiesen. Als die Nachricht vom Sturz des Regimes kam, war ich überwältigt. Am Sonntag hat sich doch gezeigt, dass es tatsächlich ein Syrien ohne dieses Regime geben kann. Das Assad-Regime gibt es seit 60 Jahren, es ist im Bewusstsein der Syrer schon fast eine Selbstverständlichkeit geworden.

Wie schätzen Sie die Lage in Syrien mit ein paar Tagen Abstand ein?

Das Wichtigste ist, dass das Assad-Regime gestürzt ist. Seit zehn Jahren gibt es in Syrien aber Gruppierungen, deren Gesinnung und politische Vorhaben die überwiegende Mehrheit der Syrerinnen und Syrer nicht teilt. Ich meine damit auch die HTS, die ja faktisch die Macht vor Ort ergriffen hat. Das sind aber auch diejenigen, die gekämpft haben. Jetzt gilt es, nach vorn zu schauen. Die Resolution der UN muss so schnell wie möglich umgesetzt werden. Alles andere wird die Bevölkerung nicht akzeptieren.

Direkt nach dem Assad-Sturz kam hierzulande die Debatte über syrische Geflüchtete auf. Manche zweifelten, dass sich Geflüchtete nun auf einen Fluchtgrund berufen können. Jens Spahn schlug ein Handgeld vor.

Die Debatte ist ziemlich schäbig. Mich stört an der konservativen Politik, dass sie so provinziell ist, obwohl Deutschland doch ein großartiges Land ist. Die Tatsache, dass viele Syrer hier in Deutschland leben und Schutz gesucht haben, hängt unmittelbar damit zusammen, dass es dem Assad-Regime erlaubt wurde, einen brutalen Krieg gegen die eigene Bevölkerung zu führen, der später von Iran und Russland unterstützt wurde. Wenn Stabilität und Ruhe ins Land einkehren, werden die Flüchtlinge entscheiden, ob sie hierbleiben oder zurückgehen. Ich verstehe gar nicht, warum jetzt solche Angebote unterbreitet werden, von wegen „hier habt ihr 1000 Euro und haut ab“.

Auf der anderen Seite wird auf die syrischen Ärzte geschaut. Der Bundesgesundheitsminister sagt, sie seien unverzichtbar.

Wenn die den Eindruck haben, dass sie hier nicht willkommen sind, werden sie schauen, ob sie in Kanada oder den USA ein besseres Angebot bekommen. So klug ist die Debatte doch nicht. Das dient der bereits vorhandenen gesellschaftlichen Spaltung . Wenn ein potenzieller Spitzenkandidat für das Amt des Ministerpräsidenten wie Manuel Hagel fordert, dass Syrer jetzt nicht mehr eingebürgert werden sollen, ist das ein Schlag ins Gesicht vieler Menschen, die hier eine Heimat gesucht und gefunden haben. Ihnen wird der Eindruck vermittelt, es sei ein Fehler gewesen, sie einzubürgern, und nun sei es an der Zeit, dies zu stoppen. Das Staatsangehörigkeitsgesetz gilt unabhängig von Kriegen in Syrien oder anderswo. Selbst Alice Weidel hat meines Erachtens nicht gewagt, so etwas zu fordern – ich bin nur enttäuscht von Herrn Hagel.

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