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Im Rathaus in Staufen hat eine Geothermie-Bohrung Spuren hinterlassen
Staufen. Mephisto reißt den Doktor Faustus in die Hölle, zurück bleibt der Fußabdruck des Teufels und ein Hufeisen, wo er die Seele des Alchemisten abgeholt hat: Im obersten Stock des Treppenturms, der das Rathaus in Staufen erschließt, ist man nah an der Geschichte der Fauststadt. Dass der Effekt etwas verpufft, weil Johann Georg Faust wohl in Staufen 1539 durch eine Explosion im Gasthaus Löwen gestorben ist, das Rathaus aber erst 1546 und der Treppenturm erst 1606 errichtet wurde – geschenkt: Wenn es nicht wahr ist, so ist es doch gut erfunden. Und Bürgermeister Michael Benitz (parteilos) betont: „Im Rathaus selbst ist nichts Faustisches.“ Doch welches weitere Rathaus im Südwesten könnte eine ähnliche Kuriosität bieten.
Relikt aus revolutionären Zeiten steckt zwischen zwei Büchern
Ganz handfest ist die verirrte Bleikugel, die zwischen zwei Bänden der Rathausbibliothek steckengeblieben ist und einen weiteren Aspekt der Geschichte dokumentiert: die Niederschlagung des Struve-Putschs im September 1848. Die Freischärler wurden nach der Ausrufung der Republik in Lörrach in Staufen von den Badischen Truppen niedergerungen.
Im 21. Jahrhundert zieht die Stadt im Kreis Breisgau-Hochschwarzwald weniger Alchemisten und Revolutionäre als Touristen an, die die als Gesamtensemble denkmalgeschützte Altstadt und das Renaissance-Rathaus mit seinem Barockgiebel besuchen. Bleiglasfenster und die rot-weißen Geranien an den Fenstern runden den pittoresken Eindruck ab. Die rund eine Million Tagesgäste im Jahr bei 170 000 Übernachtungen schauen meist nur auf die Fassade.
„Das Rathaus reicht nicht aus für die rund 80 Mitarbeiter“, meint Benitz . „Obwohl das eine recht schlanke Verwaltung mit überschaubaren Personalkosten ist.“ Nicht alle Mitarbeiter sind im historischen Gebäude untergebracht. „Früher gab es ein technisches Rathaus. Heute ist etwa das Archivgut auf fünf Stellen in der Stadt verteilt“ – was die Arbeit nicht gerade erleichtert. „Früher“ ist die Zeit vor 2007, als die Welt in Staufen noch im Lot und Bürgermeister Benitz noch nicht Experte für den geologischen Untergrund und seine Kapriolen war, die durch Geothermie-Bohrungen ausgelöst wurden. „Staufen darf nicht zerbrechen“ steht noch heute an der Fassade des Rathauses. „Obwohl das 17 Jahre her ist, sind wir nach wie vor eine Verwaltung im Ausnahmezustand“, sagt Benitz. „Die Mitarbeiter sind verständnisvoll, aber wir haben beispielsweise keinen Sozialraum. Es sind suboptimale Bedingungen, wir sehnen uns nach räumlicher Normalität.“ Doch Benitz sagt auch: „Wir sind ein gutes Rathausteam, die Situation hat uns zusammengeschweißt, wir sind mehr zusammengerückt.“
Aktuell werden der Treppenturm mit seiner Wendeltreppe aufwendig saniert. Auch im Zimmer des Bürgermeisters klaffen Spalten an den Wänden. „Die Risse haben sich tiefgreifend ins Gebäude gefressen“, sagt Benitz, „wir arbeiten in räumlich besonderen Umständen, aber Ende des Jahres soll innen soweit renoviert sein.“
Dann ist man wieder dort, wo man 2005 bis 2007 hinwollte: zu einem generalsanierten Gebäude. Es sollte mittels Oberflächen-Geothermie im Sommer gekühlt werden, da ein außenliegender Sonnenschutz aus Denkmalschutzgründen nicht möglich ist. „Die Idee, regenerative Energie zu nutzen, ist schiefgegangen“, stellt Benitz nüchtern fest. Im Staufener Untergrund wurde eine Anhydrid-Schicht angebohrt, zufließendes Wasser brachte den chemischen Prozess in Gang, der die Altstadt von Staufen über die Jahre um 72 Zentimeter und 50 Zentimeter zur Seite verschob.
Barrierefreiheit war im historischen Bau noch kein Kriterium gewesen
„Den Vorschlag, ein neues Rathaus zu bauen, haben Stadtverwaltung und Gemeinderat verworfen, wir wollten in der Stadt bleiben, es war ein Symbol der Solidarität mit den Rissgeschädigten. Wir wollten das Projekt Geothermie, wir verlassen dann nicht das sinkende Schiff“, sagt Benitz. „Es war die richtige Entscheidung.“ Gut war, „dass es nie kommunalpolitischen Streit zu den Hebungsrissen gab. Staufen darf nicht zerbrechen war stets auf Gebäude und Stadtgesellschaft gemünzt.“
Wenn die Sanierung abgeschlossen ist, wird es wieder schön sein. Doch selbst wenn das Kopfsteinpflaster in Staufen abgeschliffen ist, damit Rollstuhlfahrer, Kinderwagen und Rollatoren bequem fahren können, ist nur das Bürgerbüro im Erdgeschoss barrierefrei zugänglich. Aber dort gibt es auch ein Besprechungszimmer. „Wenn ein Rollstuhlfahrer kommt, dann komm ich zu ihm“ sagt der Bürgermeister. In Staufen hat man pragmatische Lösungen gelernt.