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Angekündigter OB-Rücktritt

Friedrichshafen sucht in schwieriger Zeit neuen Oberbürgermeister

Andreas Brand hat angekündigt, bereits Ende Oktober 2024 in den Ruhestand zu treten. Warum er sieben Monate vor Ablauf seiner Amtszeit zurücktritt, ist genauso überraschend wie fragwürdig. Mit dem Tagesgeschäft habe das nichts zu tun, betonte der OB. Wirklich?

Vom Zeppelin aus hat OB Andreas Brand (rechts) den Kretschmanns Friedrichshafen gezeigt. Nun tritt Brand als OB zurück.

Thomas Warnack)

Friedrichshafen. Nachdem Oberbürgermeister Andreas Brand vor Beginn der Ratssitzung erklärt hatte, dass er zum 31. Oktober aufhört und 2025 nicht für eine dritte Amtszeit antritt, herrschte Stille im Saal. Kein Klatschen, kein Raunen, auch keine Fragen. „Es wurde zur Kenntnis genommen“, wertet Jürgen Holeksa diese Reaktion, bevor der Rat zur Tagesordnung überging.

Einer von vier Netzwerk-Stadträten

der 53-jährige Holeksa sitzt seit 2019 für das vierköpfige „Netzwerk für Friedrichshafen“ im Gemeinderat . Initiator Jürgen Fuhrmann war bei der OB-Wahl zwei Jahre zuvor gegen Brand angetreten. 80 Prozent der Wähler entschieden sich für den Amtsinhaber, doch mit dem Netzwerk entstand eine politische Kraft, die den Rat seither aufmischt.

OB sitzt bei weltunternehmen am Aufsichtsratstisch

Der Erste, der dem Netzwerk als Fraktionschef vorstand, war Holeska, von 2011 bis 2018 war er Personalvorstand bei der ZF Friedrichshafen AG. Der weltweit drittgrößte Autozulieferer gehört zu 93,8 Prozent der städtischen Zeppelin-Stiftung. Damit ist der OB von Friedrichshafen automatisch im Aufsichtsrat vertreten, ebenso wie bei der Zeppelin GmbH, dem zweiten Stiftungskonzern.

Beteiligungen gleichen das Defizit im Stadthaushalt nicht mehr aus

Von beiden Unternehmen bekommt die Stadt jährlich 18 Prozent des Konzerngewinns als Dividende. 2018 schüttete ZF 195 Millionen Euro aus, 2023 Jahr waren es 41 Millionen Euro. Der Konzern steckt aber in der Transformation und hat rund zehn Milliarden Euro Schulden, was vorerst keine Rekordgewinne mehr erwarten lässt – und der Stadt ein zweistelliges Millionen-Minus im Haushalt beschert. Nicht nur Jürgen Holeska macht das Stadtoberhaupt mit dafür verantwortlich, die Übernahme des Bremsenherstellers Wabco 2018 blockiert zu haben, den ZF zwei Jahre später doch kaufte, nur zu schlechteren Konditionen. Jetzt sind jährlich 575 Millionen Euro Zinsen fällig.

Luft wird dünner

Die Luft wird aber auch in anderen städtischen Beteiligungen dünner. Seit 15 Jahren ist Brand im Aufsichtsrat beim Stadtwerk, bei der Messe und beim Klinikum. Gerade beim städtischen Krankenhaus, das jahrelang in den roten Zahlen steckt, ist seit November zusätzlich Druck auf dem Kessel. Eine Oberärztin, die intern monatelang massive Missstände beklagt hatte, nahm sich das Leben. Im Februar eröffnete die Staatsanwaltschaft Ravensburg ein Ermittlungsverfahren gegen fünf Mediziner. Der Verdacht reicht von der fahrlässigen Tötung bis zum Abrechnungsbetrugs.

Sorgfältig gemeinsam mit meiner Familie abgewogen

All das, so vermittelte es Brand mit seiner persönlichen Erklärung vor dem Rat, habe bei seiner Entscheidung keine Rolle gespielt. Der parteilose Rathauschef habe diese unabhängig vom Tagesgeschehen treffen wollen und sie „sorgfältig gemeinsam mit meiner Familie abgewogen“, sagte er. „Eine dritte Amtszeit ist in unserer Zukunftsplanung nicht vorgesehen“.

Rätselraten über erneute Kandidatur

Zuvor wurde monatelang darüber gerätselt, ob der OB bei der Wahl im März 2025 erneut antritt. Überraschend war weniger die Entscheidung selbst, sondern der Zeitpunkt. Eigentlich endet seine zweite Amtszeit erst am 4. Juni 2025. Im Mai 2024 feiert Brand 60. Geburtstag. Nun hat er sich für den vorzeitigen Abschied aus der Stadtpolitik entschieden. Nach 32 Dienstjahren als Bürgermeister und Oberbürgermeister bat er den Regierungspräsidenten Klaus Tappeser um Versetzung in den Ruhestand Der gab dem Antrag bereits statt.

Stadträte wurden durch den Rücktritt kalt erwischt

Der Zeitpunkt des Rücktritts hat die Stadträte kalt erwischt. Quer durch alle Fraktionen ist von „Überraschung“ die Rede. Die Meinungen über Brand könnten aber gegensätzlicher kaum sein. „Er hat die Stadt weitgehend verwaltet und zu wenig gestaltet“, macht Jürgen Holeksa eine „sichtbar zunehmende Unzufriedenheit“ mit dem OB aus. Unter seiner Führung sei zuletzt viel geredet, aber wenig erreicht worden. Brand fehle die Kraft für Leuchtturmprojekte. Vieles sei in der Verwaltung stecken geblieben. Damit wäre seine Wiederwahl 2025 „alles andere als sicher“ geworden, erklärt der Netzwerker. Deshalb habe auch die Suche nach einem neuen OB längst begonnen. Bürger seien parteiübergreifend unterwegs, um erfolgversprechende Kandidaten zu finden. Einen, der „das mitbringt, was wir seit Langem vermissen“, so Holeksa. Ansonsten erklärt von sieben Ratsfraktionen derzeit nur die SPD, „aktiv nach einer geeigneten Führungspersönlichkeit zu suchen“.

Christdemokraten sind mit OB zufrieden

Ganz anderer Meinung ist CDU-Fraktionschef Achim Brotzer. „Ich hätte gewettet und es persönlich begrüßt, wenn Andreas Brand noch einmal angetreten wäre.“ Seine Fraktion sei bisher davon ausgegangen, dass Brand für eine dritte Amtszeit zur Verfügung stehe. Dieser sei von seiner fachlichen und persönlichen Qualifikation der „ideale OB“ für Friedrichshafen und habe einen exzellenten Job gemacht, vor allem im Streit um die Zeppelin-Stiftung mit den Nachfahren des Luftschiffpioniers.

Neuwahl wohl noch im laufenden Jahr

Wann genau die OB-Wahl stattfinden wird, soll der Gemeinderat in der nächstmöglichen Sitzung festlegen. Auf Anfrage erklärt das Regierungspräsidium Tübingen, dass bei der Entlassung auf Antrag die Wahl bis spätestens drei Monate nach Freiwerden der Stelle durchzuführen sei. „Die hier vorliegende Besonderheit, dass der Zeitpunkt des Freiwerdens bereits genügend lange Zeit vorher feststeht, spricht allerdings rechtlich dafür, die Wahl bereits vor dem Freiwerden der Stelle oder jedenfalls bald danach zu terminieren“, so ein Sprecher. Das heißt: Friedrichshafen wählt wohl noch in diesem Jahr einen neuen Rathauschef.

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