Erneut Streit um Bauen ohne Umweltprüfung
Gaiberg/Stuttgart. Das Urteil hatte bundesweit weitreichende Folgen für Kommunen. Geklagt hatte der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) gegen einen Bebauungsplan in Gaiberg im Rhein-Neckar-Kreis bis vor das Bundesverwaltungsgericht und Recht bekommen. Der Paragraf 13b Baugesetzbuch, mit dem der Bebauungsplan für ein Gebiet auf einer ehemaligen Streuobstwiese aufgestellt worden war, sei mit dem Europarecht nicht vereinbar, so die Richter. Es fehle die Umweltprüfung.
„13b“ ermöglichte es Kommunen, Flächen am Siedlungsrand in einem beschleunigten Verfahren und ohne Umweltprüfung zu bebauen. Das Gesetz war Naturschützern von Anfang an ein Dorn im Auge.
Immerhin: Nach dem Urteil musste in der rund 2400-Einwohner-Gemeinde bei Heidelberg kein Haus abgerissen werden. Das Gebiet mit 49 Bauplätzen war zu einem Großteil schon bebaut, die Genehmigungen hatten Bestandskraft.
Auch „13a“ erfordert keinen Umweltbericht
Was aber passiert mit den unbebauten Flächen in Gaiberg? Darüber gibt es erneut Streit zwischen dem BUND und der Gemeinde. Um das Baugebiet vollends zu entwickeln, will die Verwaltung um Bürgermeisterin Petra Müller-Vogel (parteilos) den Paragrafen 13a bemühen. Dieser soll die Entwicklung und Nachverdichtung innerorts fördern und den Flächenverbrauch verringern – zum Beispiel durch Schließen von Baulücken. Die Kommune begründet dies damit, dass das Baugebiet „Oberer Kittel/Wüstes Stück“ bereits überwiegend bebaut ist und es sich folglich um eine Nachverdichtung handelt.
Allerdings erfordert auch „13a“ keinen Umweltbericht und keine Ausgleichsmaßnahmen. Dieses Verfahren sei mit dem Landratsamt abgesprochen und sollte ohne große Probleme durchgehen, zitiert die Rhein-Neckar-Zeitung den Anwalt der Gemeinde.
Der BUND Baden-Württemberg kritisiert dieses Vorgehen scharf. „Es ist ein Skandal und wir behalten uns weitere Rechtsmittel vor, wenn die Gemeinde nicht einlenkt. Ein Rechtsverstoß darf nicht durch einen weiteren Rechtsverstoß geheilt werden“, betont die Landesvorsitzende Sylvia Pilarsky-Grosch in einer Mitteilung und erklärt weiter: „Wir dürfen nicht zulassen, dass Paragraf 13a des Baugesetzbuchs in sein Gegenteil verkehrt und rechtswidrige Bauprojekten ohne Umweltprüfung legitimiert werden.“
Nach Ansicht des Umweltverbands liegen in Gaiberg die Voraussetzungen zur Durchführung eines beschleunigten Verfahrens nach Paragraf 13a Baugesetzbuch nicht vor. Denn das Verfahren steht nur „für die Wiedernutzbarmachung von Flächen, die Nachverdichtung oder andere Maßnahmen der Innenentwicklung“ zur Verfügung. Das Wohngebiet entstehe aber auf einer Streuobstwiese am Ortsrand.
Die Stuttgarter Rechtsanwältin Verena Rösner sieht das etwas anders: Die Baurechtsexpertin verweist darauf, dass das Bundesverwaltungsgericht mit seinem Urteil gegen Paragraf 13b BauGB die Anwendung von 13a nicht eingeschränkt habe. Ob die Voraussetzungen dafür vorliegen, sei in Gaiberg unabhängig von dem Urteil zu prüfen, erklärt Rösner.
Ministerium: „Vergleichbare Fälle werden nicht gehäuft auftreten“
Laut Rösner haben die Leipziger Richter in einem Urteil vom April ausgeführt, dass eine Innenentwicklung nur innerhalb des Siedlungsbereichs zulässig sei. Falls die Flächen in Gaiberg in einem solchen Umfang bebaut wurden, dass ein Zusammenhang mit dem Siedlungsbereich entstanden sei, komme ein Verfahren nach Paragraf 13a in Betracht. Ob die Voraussetzungen in ähnlich gelagerten Fällen gegeben seien, müsse in jedem Einzelfall geprüft werden, so Rösner. Aber: Umweltverbände würden solche Bebauungspläne genau in den Blick nehmen und gegebenenfalls angreifen. Der sichere Weg bestehe darin, eine Umweltprüfung nachzuholen.
Dem Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen sind vergleichbare Fälle wie in Gaiberg nicht bekannt. Es sei nicht damit zu rechnen, dass diese gehäuft auftreten. Denn das setze voraus, dass die Bebauung bereits so weit fortgeschritten ist, dass ein Verfahren nach Paragraf 13a angewendet werden kann und der Plan gleichzeitig noch gerügt werden kann. Denn für die Bebauungspläne gilt: Ist die Jahresfrist nach Paragraf 215 Baugesetzbuch rügelos abgelaufen, sind sie anwendbar.
In vielen Kommunen, die mit 13b geplant haben, wird sich der Bau verzögern. Das beschleunigte Verfahren muss in ein Regelverfahren überführt werden: Jetzt braucht es die Umweltprüfung und Ausgleichsflächen. Das dauert, etwa in Adelberg im Kreis Göppingen. „Für unsere Gemeinde bedeutet dies einen höheren Verwaltungsaufwand. Für die interessierten Familien der rund 15 Bauplätze bedeutet es eine Verzögerung der Verwirklichung ihres Traums von einem Eigenheim“, so Bürgermeisterin Carmen Marquardt (parteilos). Sie geht von einem Zeitverlust von mindestens eineinhalb Jahren aus.