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Elmar Braun: Der erste grüne Bürgermeister im Südwesten tritt nach 32 Jahren ab
MASELHEIM. Was war das im März 1991 für eine „mittlere Sensation“, wie die Deutsche Presse-Agentur schrieb, als in Maselheim bei Biberach ein 35-jähriger Nebenerwerbsbauer und Betriebsrat in einem biologischen Forschungsunternehmen zum allerersten grünen Rathauschef in Deutschland gewählt wurde. Den CDU-Konkurrenten, der in Oberschwaben wie der natürliche Sieger aussah, hatte er überraschend in den zweiten Wahlgang gezwungen, ohne Wahlprospekt, dafür mit Blumen und einem offenen Ohr, verwurzelt vor Ort und Sympathieträger, trotz eines unehelichen Sohns.
Braun ist in Sulmingen geboren, einem der vielen Maselheimer Teilorte, die in den Siebzigern eingemeindet wurden. Zur Feier nach der zweiten Wiederwahl 2015 reiste Winfried Kretschmann persönlich an. Denn: „Dass ich selber nun der erste grüne Ministerpräsident bin, wäre ohne Elmars Pflugarbeit nicht denkbar gewesen.“
Die Börse für Sperrmüll war zügig eingerichtet
Jetzt sitzt der Pflugarbeiter in seinem Büro vor Papier- und Bücherstapel, sortiert, was bleiben muss, was ihn hinausbegleiten wird und was in den Container kann. Der imaginäre Rucksack ist jedenfalls übervoll. Natürlich muss er milde lächeln bei der Erinnerung daran, wie er bei seiner ersten 100-Tage-Bilanz von Selbstzweifeln geplagt war und andererseits die ersten Pläne im Vollzug präsentieren konnte, Straßen waren verkehrsberuhigt, eine Börse für Sperrmüll zügig eingerichtet.
„Aber alles braucht eine Anlaufzeit, von heute auf morgen geht fast nichts“, sagte er damals. Von heute auf übermorgen schon: Bald arbeitet auf dem Rathaus eine Photovoltaikanlage, Dächer waren begrünt, der Feuerlöschteich wurde ein Biotop. Beim Blick zurück im Stolz sprudelt er los und weiß kaum, wo er anfangen soll: sanierte Gebäude, umgestellte Wasserversorgung, energieeffiziente Straßenbeleuchtung ebenfalls. In Maselheim entstand das erste Baugebiet mit Oberflächenversickerung weit und breit. Bei seiner dritten Wiederwahl fuhr er gut 85 Prozent ein. So gesehen ist die 4600-Seelen-Gemeinde allerdings so etwas wie ein Mahnmal von Chancen, die andernorts vertan wurden: Beim energischen Umbau und überhaupt in ihrem Beitrag zum Kampf gegen die Erderwärmung könnten alle 1001 Gemeinden im Land ähnlich weit sein. „Man braucht aber Mehrheiten“, weiß der bekennende Motorrad-Fan, „und man braucht persönliche Überzeugungskraft.“
Braun: „Ich hätte viel zu berichten“
Es sei „ein großes Missverständnis seit jeher, dass Klimaschutz vor allem den Grünen nützt“. Allen Menschen nützt er, sagt Braun in seinem breiten Schwäbisch, „aber des müssed mir Bolliddigga auch emmr wiedr vrzähle“. Wirklich Hochdeutsch kann er gar nicht; aber wozu auch? Ausgerechnet in den letzten Wochen ist Brauns Kalender übervoll. Alle wollen mit ihm Abschied feiern, und er selbst begleitet mit viel Wohlwollen seinen Nachfolger Marc Hoffmann. Der Parteilose war schon Ortsvorsteher im Teilort Schemmerhofen. Dem hinterlasse er „mit ruhigem Gewissen ein wohlbestelltes Feld“.
Die Frage, was mit ihm passiert, wenn die ersten Wochen im Ruhestand vorüber sind, die treibt ihn um. Kommunalpolitischer Berater könnte er werden, auch wenn er gar nichts davon hält, dass 2024 nach den neuesten Beschlüssen des Landes schon 16-Jährige in Gemeinderäte einziehen und dass 18-Jährige Bürgermeister werden können.
In seinem bürgermeisterlichen Abschlusszeugnis stünde im Fach Volksnähe wohl eine glatte Eins. Und in 32 Jahren spricht sich so etwas herum, in seinem Fall bis nach München, wo die große „Süddeutsche Zeitung“ erscheint. Dem Elmar Braun hat sie neulich eine ganze Seite Drei gewidmet. Beiläufig und schlitzohrig breitet er eins seiner Erfolgsrezepte aus: Der beste Wandel ist für ihn der, „den die Leute gar nicht mitbekommen, denn dann kommt auch niemand auf die Idee, sich dagegen zu wehren“.
Grüne sind auch im ländlichen Raum verhaftet
Die Grünen sitzen mit 58 direkt gewählten Abgeordneten im Landtag von Baden-Württemberg. Da müssen zwangsläufig viele aus dem ländlichen Raum kommen. Aber die Partei war gerade auch in ihren Anfängen nicht nur in Universitätsstädten verankert. Mit Dora Flinner schickten die Südwest-Grünen 1987 die erste Bäuerin überhaupt in den Deutschen Bundestag. Heute stellen sie – Maselheim noch mitgerechnet – in acht Gemeinden den Chef im Rathaus, darunter in Böblingen und in Göppingen, aber auch in Unterschneidheim auf der Ostalb, in Horben und in der Stadt Knittlingen.