Interview:Friedhelm Werner

„Die Wähler schauen zuerst auf die Köpfe“

Friedhelm Werner ist momentan besonders viel unterwegs. Der Leiter des Bildungswerks für Kommunalpolitik Baden-Württemberg (Alb-Donau-Kreis) erklärt Parteien und Wählervereinigungen, was sie jetzt tun müssen, um die Kommunalwahl zu bestehen. Kandidatengewinnung steht gerade im Vordergrund.

Friedhelm Werner war 16 Jahre Bürgermeister und leitet nun das kommunale Bildungswerk Baden-Württemberg.

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Staatsanzeiger: Was ist rund sieben Monate vor der Wahl die wichtigste Aufgabe der Parteien und Wählervereinigungen?

Friedhelm Werner: Es geht darum, Kandidatinnen und Kandidaten für ein Mandat zu gewinnen und bisherige Mandatsträger zu motivieren, wieder anzutreten. Das heißt, sie brauchen Persönlichkeiten, die sich für ihre Stadt interessieren und die sich für das Programm der Gruppierung oder Partei begeistern lassen. Je bekannter diese Menschen sind, desto besser ist es für den Wahlerfolg. Wichtig ist auch, dass man sich Gedanken macht, mit welchen Themen und Positionen man die Stimmen der Wählerinnen und Wähler gewinnen möchte.

Gibt es den einen Königsweg, Menschen für die Kandidatur zu begeistern?

Nein, aber es gibt viele Gründe, die für eine Kandidatur sprechen. Als Gemeinderat kann man auf seine Stadt, auf sein Lebensumfeld direkt Einfluss nehmen. Wie gut die Kitas und Schulen ausgestattet sind oder wie die Stadt mit dem Klimawandel umgeht, das entscheidet der Gemeinderat. Wie der ÖPNV und die Sportmöglichkeiten ausgebaut werden, beschließt man ebenfalls im Hauptorgan. Der Gemeinderat bestimmt die Vereinsförderung und stellt, wenn es möglich ist, seiner Bürgerschaft eine moderne Bücherei, ein Freibad oder ein Hallenbad zur Verfügung. Als Mandatsträger hat man also richtig Einfluss.

Wo findet man diese Menschen?

Im Ehrenamt. Das heißt, in den Vereinen, den kulturellen und politischen Gruppen, in der Feuerwehr, in den Kirchen oder in den berufsständischen Verbänden. Auch in den Jugendgemeinderäten, den Elternbeiräten, Bürgerinitiativen und Bürgervereinen finden Sie Menschen, die kandidieren und wirksam ihre Stadt gestalten möchten. Wenn das nicht reicht, dann machen Sie Diskussionsrunden, Bürgertreffs oder laden mit der Landeszentrale für politische Bildung zu einer Talkrunde ein. Frauen müssen wir besonders motivieren. Wir brauchen sie in den Räten. Und zum „Wie“ gibt es nur ein Erfolgsrezept: Immer persönlich ansprechen.

16-Jährige können erstmals kandidieren. Wie groß ist das Interesse, wie kann man speziell diese Gruppe ansprechen?

Meine Erfahrung ist, dass es Kommunen gibt, in denen der Boden durch die Jugendbeteiligung nach Paragraf 41a der Gemeindeordnung mit Jugendforen, Jugendgemeinderäten oder 8er-Räten an Schulen sehr gut vorbereitet wurde. Da können Sie auf viele interessierte junge Menschen zurückgreifen. Wer vorher keine Mitwirkungsmöglichkeiten angeboten hat, wird kaum 16-Jährige finden, die zur Kandidatur bereit sind.

Nehmen Sie den Vertrauensverlust auf den höheren politischen Ebenen auch in der Kommunalpolitik wahr?

Auf jeden Fall. Der Vertrauensrückgang bei politischen Institutionen wie Bundeskanzler und Bundesregierung ist dramatisch besorgniserregend. Davon bleiben Städte und Gemeinden nicht verschont, denn hier vor Ort trifft die große Politik auf die Wirklichkeit. Und letztendlich müssen die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, die Landräte und Landrätinnen damit umgehen, was auf Landes- und Bundesebene unzureichend, nicht schnell genug oder nicht wirksam geregelt wird. Dennoch sind Vertrauen und Zutrauen in die Bürgermeister gerade in kleineren Gemeinden immer noch sehr hoch.

Sollte mit Blick auf die Kommunalwahlen zuerst das Programm oder die Kandidaten da sein?

Ich plädiere klar für die Kandidaten zuerst. Kommunalwahlen sind Persönlichkeitswahlen. Die Wählerschaft wählt gern Menschen, die man kennt und schätzt. Deshalb kommt bei mir zuerst die Persönlichkeit, dann das Programm und  schließlich die Präsentation von Person und Programm. Bei der Kommunalwahl schauen die Wähler zuerst auf die Köpfe und lesen weniger die Programme.

Wie bewerten Sie die Rahmenbedingungen in der Kommunalpolitik, etwa die Finanzausstattung?

Die Rahmenbedingungen sind eine große Herausforderung geworden. Wir haben die Megatrends wie Klimawandel und Digitalisierung. Hinzu kommt, dass wir als Gesellschaft schnell älter und rasant bunter werden. Migration und Integration werden zur Megaaufgabe in den Städten und Landkreisen. Inflation und Zinsen sind zu hoch und fordern die kommunalen Haushalte zusätzlich, weil vor allem Wohnraum fehlt. Das bedeutet, wir brauchen Mut, Innovation, klare Prioritäten und einen Abbau von Bürokratie.

Das Gespräch führte

Marcus Dischinger

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