„Gesetze sollten wieder den großen Rahmen regeln“
Störr-Ritter: Ich bin eine leidenschaftliche Verfechterin des Ansatzes weniger ist mehr. Gesetze sollten bei uns wieder den großen Rahmen regeln, sie müssen einfacher werden. Bereits vor einem Rechtssetzungsentwurf sollten unbedingt diejenigen gehört werden, die diesen anschließend umsetzen müssen. Das auf Landesebene geplante Gleichbehandlungsgesetz wäre ein Beispiel für ein Gesetz, das wir nach unserer ersten Einschätzung eigentlich nicht bräuchten. In Anbetracht schon bestehender Rechtsnormen und Institutionen sollte kein neuer Handlungsbedarf bestehen. Bürokratieabbau bei bereits bestehenden Rechtsvorschriften wird uns in manchen Dingen gelingen, aber das wird nicht der große Wurf.
Auf welches Projekt in Ihrer Amtszeit sind Sie besonders stolz?Mit der Breisgau-S-Bahn hatten wir im gesamten Landkreis eine große Ausbauoffensive und Elektrifizierung der Schiene betrieben. Wegen enormer Kostensteigerungen durch den damals einsetzenden Bauboom mussten wir auf halber Strecke überlegen, ob wir weitermachen. Der Kreistag hat dafür gestimmt. Das Projekt ist laut dem Verkehrsminister vorbildlich für Baden-Württemberg. Leider funktioniert der Betrieb immer noch nicht optimal.
Es gab in Landkreis zwei Fälle im Bereich des Kinderschutzes, die bundesweit für Schlagzeilen gesorgt haben. Wie haben Sie diese erlebt?Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ich sind nach wie vor von diesen tragischen Fällen, die wir nicht verhindern konnten, sehr betroffen. Es wird im Kinderschutz immer ein Restrisiko bleiben, mit dem wir, und andere Jugendämter ebenso, auch in Zukunft leben müssen. Persönlich empfand ich es als besonders tragisch, weil ich schon bei meiner ersten Haushaltsrede 2009 das Thema Kinderschutz als für mich besonders wichtig benannt habe. Der Kreistag hatte dafür schon damals finanzielle Mittel gegeben, wir haben aufgebaut und trotzdem kam es zu diesen schrecklichen Ereignissen, die für mich vor allem die Herausforderung waren, daraus zu lernen.
Was haben Sie verändert?Heute haben wir einen Stand erreicht, der für andere Jugendämter vorbildhaft sein kann. Es ist nicht einfach nach so einer Situation Mitarbeiter zu motivieren und zu sagen, das ist auch eine Chance. Aber alle sind diesen Weg mitgegangen. Dafür bin ich sehr dankbar.
Ein Landratsamt trifft viele Entscheidungen, die sich auf das tägliche Leben der Menschen auswirken. Doch das Verwaltungshandeln ist oft für Außenstehende schwer nachvollziehbar.Darunter leiden wir auch. Und wir würden das gerne ändern. Gefordert wird vor allem eine andere Fehlerkultur in den Verwaltungen. Wenn aber Fehler passieren, fragt niemand nach der tatsächlichen Sachlage. Die erste Frage ist dann oft, wer ist schuld und wen können wir in die Verantwortung ziehen. Das ist auch in Ordnung, aber es geht immer um die Frage, auf welche Art das geschieht. Vorverurteilungen durch die Öffentlichkeit steigern den Entscheidungsmut in den Verwaltungen jedenfalls nicht.
Wie wird Kritik geäußert?Es gibt üble Kommentare, verleumderische Äußerungen in der Öffentlichkeit bis hin zu Morddrohungen und tätlichen Angriffen. Die Mitarbeitenden tun sich zunehmend schwer, diesen Druck von außen auszuhalten.
Wie können Sie als Behördenchefin tun, um den Druck zu nehmen?Für mich war immer wichtig, dass ich die Mitarbeitenden nicht vorverurteile, wenn Fehler passieren, sondern ihnen den Rücken zur Aufklärung stärke. Grundsätzlich gilt, dass wir im Einzelfall den Spielraum der gesetzlichen Möglichkeiten ausschöpfen, um das Interesse eines Antragstellers zu erfüllen. Bis dahin erwarte ich, dass sich alle im Haus kreativ und pragmatisch mit an uns gestellte Anträge auseinandersetzen, auch beratend im Sinne von Alternativlösungen.
Die Verwaltung muss sich oft absichern in ihren Entscheidungen. Steht das der Kreativität im Weg?Das ist der springende Punkt. Wenn uns die Gesetze oder die Vorschriften die Möglichkeiten ließen, einen größeren Spielraum auszuschöpfen und nach regionalen Gegebenheiten zu entscheiden, dann wird dieser Absicherungsdruck weitestgehend wegfallen. Aber weil die Gesetzgeber über Jahre die Gesetze noch komplexer, noch schwieriger, noch mehr Einzelfall-gerechter angelegt haben, mit vielen unbestimmten Rechtsbegriffen, ist es immer unmöglicher, diese sachgerecht auszulegen. Das erschwert unsere Arbeit leider sehr.
Wenn Sie nach 16 Jahren gehen, bleiben zwei Landrätinnen übrig. Was muss sich tun, damit es mehr werden?Zunächst müsste es mehr Kandidatinnen geben. Ich ermutige Frauen, wo es geht, auch durch Mentoring, in eine politische Führungsposition zu gehen. Frauen sind noch zu selbstkritisch und trauen sich oft nicht zu kandidieren. Wenn es eine Chance gibt, muss Frau sie wahrnehmen.
Wie war das bei Ihnen?Ich hatte das Glück, dass alles, was ich beruflich machen durfte, auf mich zukam. Ich bin jedes Mal ins kalte Wasser gesprungen, hatte wenig Zeit, mich vorzubereiten, wurde aber immer von meinem jeweils neuen beruflichen Umfeld und von meiner Familie vorbildlich unterstützt.
Das Gespräch führte Philipp Rudolf