Minderjährige Geflüchtete: Bundesweite Verteilung soll Kommunen entlasten

Die Großstädte Karlsruhe, Mannheim und Freiburg sowie mehrere Landkreise haben sich direkt an Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) gewandt. Sie fordern mehr Hilfe aus Stuttgart bei der Unterbringung von minderjährigen Geflüchteten.

Erneut ist die Zahl der jungen Geflüchteten stark gestiegen. Kommunen und Kreise benötigen deshalb Hilfe.

dpa/Sebastian Gollnow)

Freiburg/Stuttgart. „Wir brauchen dringend eine wirksame Unterstützung aus Stuttgart“, teilte Freiburgs Oberbürgermeister Martin Horn (parteilos) vergangene Woche mit. Ohne diese Hilfe könne eine rechtmäßige Notunterbringung der jungen Menschen nicht dauerhaft abgesichert werden, so Horn. Das gemeinsame Schreiben sei ein Hilferuf an die Landesregierung. „Dabei geht es uns weniger um Aufmerksamkeit, sondern um eine schnelle Unterstützung“. Die Stadt Freiburg hatte im Juli 68 Zugänge; das war der zweithöchste Wert seit Beginn der statistischen Erfassung 2014. Im August waren es schon 164 Zugänge – der höchste Zugangswert, den die Stadt jemals in einem einzelnen Monat zu verzeichnen hatte. Freiburg und andere Kommunen im süddeutschen Raum seien weit über die jeweiligen Kapazitätsgrenzen hinaus belastet, heißt es in dem Brief.

Das Sozialministerium bestätigt die hohen Zugangszahlen der unbegleiteten minderjährigen Ausländer (UMA). So lebten im Januar 3380 im Südwesten, im September waren es 4912. In den Stadtkreisen Freiburg, Mannheim und Stuttgart, sowie im Landkreis Lörrach und im Ortenaukreis seien die Einreisen und daher auch Quoten aktuell besonders hoch. Viele Jugendämter müssten verstärkt auf die Notunterbringung ausweichen, weil reguläre Angebote der Kinder- und Jugendhilfe oft nicht mehr in ausreichender Zahl vorhanden sind.

Hauptbelastete Stadt- und Landkreise sollten entlastet werden

Das für die UMA zuständige Sozialministerium verweist darauf, dass das Land die Unterbringung und Betreuung der UMA zu 100 Prozent, aktuell mit mehr als 100 Millionen Euro jährlich, unterstützt.

Das Ministerium habe zudem mit dem Städtetag und dem Landkreistag einen Fünf-Punkte-Plan entwickelt. Dadurch sollen das Verteilverfahren beschleunigt und insbesondere die hauptbelasteten Stadt- und Landkreise entlastet werden. Unter anderem können die Behörden neben den regulären Angeboten auch solche zur Notunterbringung zu schaffen. Diese Möglichkeit begrüßen die unterzeichnenden Stadt- und Landkreise zwar, sie berge jedoch das Risiko, dass bewährte Standards der Jugendhilfe verloren gehen.

Drängendster Punkt ist das Thema Verteilung: Ursprünglich sollten die Jugendämter im Südwesten dazu verpflichtet werden, binnen zehn Werktagen die ihnen vom Landesjugendamt zugewiesenen UMA aufzunehmen. Doch weil im September die bundesweite Verteilung eingeführt wurde, sei diese Empfehlung wirkungslos. Dennoch könne die bundesweite Verteilung die gesamte Jugendhilfelandschaft im Südwesten entlasten, teilt die Stadt Freiburg mit.

Das sieht auch der Landkreistag so. Allerdings sei die neue Lösung mit Aufwand verbunden, so Hauptgeschäftsführer Alexis von Komorowski. Daher soll jetzt kurzfristig auf Initiative unter anderem des Landkreistags ein Unterstützungssystem für die Jugendämter etabliert werden, das diese bei der Weiterleitung der UMA in andere Bundesländer entlastet. So sollten Koordinierung und Transportlogistik zentralisiert werden. Hieran arbeiteten das Land und die beteiligten Verbände derzeit unter Hochdruck. Die Unterzeichner des Brandbriefs fordern, dass trotz der angeordneten bundesweiten Verteilung Stadt- und Landkreise die Möglichkeit erhalten sollten, UMA auch freiwillig aufzunehmen.

Die medizinische Altersfeststellung ist oft überflüssig

Als weiteren Punkt zur Entlastung nennt das Sozialministerium, dass die Altersfeststellung von UMA zeitnah auf vier Standorte erweitert wurde (Freiburg, Ulm, Stuttgart und Heidelberg). Dadurch sollten die Wartezeiten wesentlich verkürzt werden und der Aufwand für die Jugendämter reduziert werden. Laut der Stadt Freiburg führe die weiteren Standorte zur medizinischen Altersfeststellung nur zu wenig Entlastung vor Ort, weil aktuell mehr als zwei Drittel der eintreffenden UMA schon vom Augenschein zweifelsfrei minderjährig seien. In dem meisten Fällen sei damit eine medizinische Altersfeststellung überflüssig.

Eine weitere Vereinfachung sehen sowohl der Landkreistag als auch die betroffenen Kommunen darin, die erkennungsdienstliche Behandlung (ED) zu vereinfachen. Derzeit sind alle Jugendlichen, die in die Obhut des Jugendamts übergeben werden, erkennungsdienstlich von der Polizei erfasst. Auch wenn die jungen Menschen an ein anderes Jugendamt im Land umverteilt werden, erfolgt dort nochmals eine ED-Behandlung. Diese Vereinfachung wird auch in dem Fünf-Punkte Plan vorgeschlagen, jedoch werde nicht ersichtlich, wann hier mit einer Umsetzung zu rechnen sei, monieren die Schreiber des Brandbriefes. Laut Landkreistag bemühten sich Sozial- und Justizministerium aktuell um eine Lösung.

Der Verband ist zudem dafür, die Standards für Unterbringung und Betreuung der UMA grundsätzlich anzupassen. „Jugendliche, die sich unter Umständen schon jahrelang auf ihrer Flucht allein durchgeschlagen haben, können vielfach in anderer Weise von der Jugendhilfe betreut werden, als dies aktuell der Fall ist“, so von Komorowski. Nicht zuletzt müsse man bei den UMA die irreguläre Zuwanderung begrenzen und sie solidarisch innereuropäisch verteilen.

Kommunen fordern Verhandlungen mit der Schweiz

Das gemeinsame Schreiben an Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) haben Kreise und Kommunen entlang der Rheinschiene unterzeichnet: die Städte Freiburg, Karlsruhe und Mannheim sowie die Landkreise Breisgau-Hochschwarzwald, Konstanz, Lörrach und der Ortenaukreis. Sie fordern auch bilaterale Verhandlungen mit der Schweiz. Gegenwärtige Praxis des Landes sei es, Migranten ungehindert passieren zu lassen.

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