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Wahlwiederholung

Briefwahl: Ist Rastatt nur die Spitze des Eisbergs?

Am Sonntag hat die Stadt Rastatt die Kommunalwahl in fünf Ortsteilen wiederholt. Anlass war eine Panne bei der Briefwahl. Auch andernorts fordert die Abstimmung per Posteinwurf Kommunen heraus. Experten fordern Änderungen.

Bei einem Eisberg ist vieles nicht sichtbar. Mit der Zahl der Briefwähler steigt der 
Aufwand für die Kommunen und damit die Fehlerquelle.

IMAGO/Ales Utouka)

Rastatt. Durch ein Missverständnis beim Vertragsabschluss mit einer Druckerei erhielten rund 1000 Menschen keine Briefwahlunterlagen für die Kommunalwahl – und konnten in der Folge auch nicht in den Wahllokalen abstimmen. Die Abstimmung in den Ortsteilen musste wiederholt werden.

Das Beispiel in Rastatt zeigt: Der Trend zur Briefwahl birgt für Kommunen vermehrt Fehlerquellen. Die mittelbadische Große Kreisstadt ist kein Einzelfall, auch in Karlsruhe und Waiblingen gab es Probleme beim Versenden der Unterlagen.

Bei Kommunalwahlen ist der Aufwand für Gemeinden ohnehin groß. Die Stimmzettel werden allen Wahlberechtigten vorab zugesandt. Und mit der steigenden Zahl der Briefwähler klettern auch die Kosten in die Höhe, denn anders als bei den Parlamentswahlen erstatten das Land oder der Bund diese nicht.

„Das Briefwahlverfahren stammt aus Zeiten ohne Internet“

Ursprünglich war die Briefwahl für diejenigen gedacht, die es nicht an die Urnen schafften, etwa wegen einer Erkrankung. Mittlerweile ist die Stimmabgabe per Post ein vollwertiger Ersatz für die Präsenz im Wahllokal geworden. Beschleunigt hat die Entwicklung die Corona-Pandemie. Folge des Trends ist erfreulicherweise auch eine gestiegene Wahlbeteiligung. Andere Entwicklungen erschweren dagegen die Kooperation der Städte und Gemeinden mit Dienstleistern, die fristgerecht passen muss. So gelten beispielsweise ab Januar längere Postlaufzeiten, wodurch sich das Warten auf Briefe und Pakete verlängern dürfte.

„Das Briefwahlverfahren stammt aus Zeiten ohne Internet, als die Post nur durch die Deutsche Post versandt wurde, die tägliche Zustellung bis ins kleinste Dorf Standard und sogar eine Angelegenheit für Postbeamte war“, sagt Norbert Brugger vom Städtetag. Das habe sich grundlegend geändert. Jetzt gebe es viele Postdienstleister, allerdings nicht mehr die Verlässlichkeit täglicher Zustellung. Es sei eine große Herausforderung, den Briefwählenden ihre Unterlagen so zu übermitteln, dass deren Wahlbriefe rechtzeitig bei der Stadt eingehen können, so Brugger.

Private Anbieter sind keine Alternative

Diese Erfahrung hat auch Klaus Kögel, Fachbereichsleiter bei der Stadt Rastatt, gemacht. Der Fehler im Vorfeld der Kommunalwahlen wäre sicherlich früher erkannt worden und kommunalwahlrechtlich noch heilbar gewesen, wenn nicht überall die sehr zähe Zustellung durch die Deutsche Post in allen Wahlbezirken aufgetreten wäre, so Kögel.

Die Zuverlässigkeit der Deutschen Post AG habe seit Jahren nachgelassen. Private Anbieter sind laut Kögel jedoch keine Alternative. Die Stadt Rastatt empfiehlt den Wählenden daher, frühzeitig Briefwahl zu beantragen und ab einer Woche vor dem Wahltermin die Unterlagen nur noch persönlich zu beantragen.

Für Robert Müller-Török bringt diese Entwicklung mehrere Probleme mit sich: Verwaltungen machen sich abhängig von Postdienstleistern, „die mehr oder minder immer unzuverlässiger und immer teurer werden“, so der Professor für E-Government an der Verwaltungshochschule in Ludwigsburg. Das System der Briefwahl sei überstrapaziert und müsse sicherer und zuverlässiger werden. Seiner Meinung nach lässt der Gesetzgeber die Kommunen mit der komplexen Aufgabe im Stich. „Wenn etwas schiefgeht, sind sie die Buhmänner“.

Entspannter schätzt der Gemeindetag die Situation ein: Es gebe selten Fälle von Verzögerung beim Versand und Empfang von Briefwahlunterlagen. Der Verband betont, wie wichtig es ist, dass die Bürger entsprechende Anträge rechtzeitig stellen.

Brugger: „Man muss jetzt an Verfahrensänderungen gehen“

Der Städtetag sieht hingegen Handlungsbedarf, wohl auch, weil in größeren Kommunen wesentlich mehr Wähler zu versorgen sind und der Aufwand für Postzusteller größer ist.

„Bislang hat das durch das hohe Engagement der Kommunen noch funktioniert. Aber man muss jetzt an Verfahrensänderungen gehen“, so Brugger. Er schlägt drei Maßnahmen mit Blick auf die Kommunalwahlen vor: Die Wahlberechtigten sollten mit der Übermittlung der Stimmzettel schon per Brief wählen können. Dann entfalle die Beantragung. Zweitens: Die Einführung der Stimmabgabe via Internet, und Drittens eine Kampagne, um für die Urnenwahl zu werben. Digitalexperte Müller-Török sieht eine rein digitale Lösung kritisch, weil das heutige, am Markt angebotene E-Voting nicht sicher sei.

Auch das Innenministerium erkennt den erhöhten Aufwand durch die Briefwahl. Ein Sprecher betont aber deren Niederschwelligkeit und die damit verbundene gestiegene Beteiligung. Es liege aber in der Natur der Sache, dass Postsendungen verloren gehen oder verspätet zugestellt werden. Derzeit bestehe kein Anlass, die Vorschriften zu ändern.

Die Nachwahl in Rastatt

Die Wahlwiederholung in fünf Ortsteilen Rastatts ergab nach Angaben der Stadt nur geringfügige Verschiebungen bei den Nachkommastellen. Stärkste Kraft bleibt den Angaben zufolge die CDU mit 24,48 Prozent. Die AfD kommt auf 20,55 Prozent, die SPD auf 17,86 Prozent. Die Freien Wähler erhalten 14,32 Prozent der abgegebenen Stimmen, die Wählervereinigung Für unser Rastatt (FuR) 9,53 Prozent, die Grünen 9,13 Prozent und die FDP 4,13 Prozent. Die Wahlwiederholung hatte das Regierungspräsidium Karlsruhe veranlasst.

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