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Beschleunigtes Bauen: Bundesgericht kippt den „Flächenfraß-Paragrafen“

Der BUND hat erfolgreich gegen den Bebauungsplan in Gaiberg geklagt. Mit weitreichenden Folgen: Nun können Freiflächen außerhalb des Siedlungsbereichs einer Gemeinde nicht mehr im beschleunigten Verfahren ohne Umweltprüfung überplant werden.
Baustelle

Das Bundesverwaltungsgericht hat den Bebauungsplan für dieses Neubaugebiet in Gaiberg für ungültig erklärt. Das Urteil betrifft auch viele andere Kommunen.

Rudolf)

GAIBERG/STUTTGART. Naturschützer schmähten ihn als „Flächenfraß-Paragrafen“, Vertreter von Land und Kommunen lobten ihn als wichtiges Instrument im Kampf gegen die Wohnungsnot. Die Debatte über Sinn und Unsinn des Paragrafen 13b im Baugesetzbuch läuft nun schon seit Jahren und findet mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ein jähes Ende. Im Fall der Gemeinde Gaiberg (Rhein-Neckar-Kreis) ist der BUND bis vor das oberste Verwaltungsgericht gegangen – und hat Recht bekommen: Die Regelung ist mit dem Unionsrecht unvereinbar, so die Leipziger Richter. Umweltauswirkungen müssten von vornherein ausgeschlossen werden.

Anlass für das Verfahren war das Neubaugebiet „Oberer Kittel/Wüstes Stück“ in der 2400-Einwohner-Gemeinde mit 49 Bauplätzen. Etwa 70 Prozent des 2019 beschlossenen Gebiets sind bereits bebaut. Gegen den Bebauungsplan der Kommune wurde in mehreren Verfahren geklagt.

Die Gemeinde Gaiberg will nun alles dafür tun, dass es bei den Bauherren zu keinen Verzögerungen kommt und so rasch wie möglich einen Aufstellungsbeschluss für ein Heilverfahren erlassen, heißt es in einer Mitteilung.

Städtetag: Das Instrument hat sich bewährt

Das Urteil hat Signalwirkung, denn damit ist „13b“ Geschichte: Das Bundesverwaltungsgericht kann zwar kein Gesetz aufheben. Wegen der fehlenden Rechtsgrundlage sind Planungen auf Basis des Paragrafen aber ab sofort ausgeschlossen.

Die Entscheidung betrifft Kommunen deutschlandweit. Auch Freiburg ist betroffen, teilt die Stadt mit. Das Beispiel zeigt, was nun auf viele Kommunen zukommen könnte. Der Bebauungsplan für das Gebiet Rossbächle wird nun in das Regelverfahren übergeleitet. Es würden weitere Arbeitsschritte notwendig, die mit dem beschleunigten Verfahren nicht nötig gewesen wären: die Vergabe von Gutachten, die Erstellung eines Umweltberichts oder ein Flächennutzungsplan-Änderungsverfahren, teilt die Stadt Freiburg weiter mit.

Der Paragraf wurde 2017 eingeführt. Der Bund wollte auch vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise Wohnraum am Ortsrand schnell und ohne Umweltprüfung ermöglichen. Das verschaffte bei den ohnehin langen Bauverfahren immerhin mehrere Monate Zeit. Die Regelung war trotz großer Kritik im Jahr 2020 mit dem Baulandmobilisierungsgesetz bis Ende 2024 verlängert worden. Laut Städtetag habe sich das Instrument in Städten wie Stuttgart bewährt, um im Außenbereich schnell Wohnungen zu schaffen, erklärt Dezernent Sebastian Ritter.

Umweltverbände hatten moniert, dass Gemeinden mithilfe der Regelung teils großzügige Einfamilienhäuser im ländlichen Raum ausweisen würden. Der Paragraf führe letztlich zu Flächenfraß und Zersiedelung, so die Verbände. Laut einer Abfrage der Regierungspräsidien 2020 entstanden tatsächlich im ländlichen Raum die meisten Projekte. 543 von 862 wurden damals in dieser Gebietskategorie gemäß dem Landesentwicklungsplan verwirklicht, das entsprach 63 Prozent. Die meisten davon in den Landkreisen Ravensburg und Biberach.

„Das Urteil führt zu Verunsicherung in den Kommunen.“

Steffen Jäger, Präsident des Gemeindetags

Der BUND sieht sich nach dem Urteil bestätigt: „Paragraf 13b BauGB hat dazu geführt, dass hier in Gaiberg, wie auch in vielen weiteren Kommunen, Baugebiete ohne Umweltprüfung ausgewiesen wurden“, sagte die Landesvorsitzende Sylvia Pilarsky-Grosch, nach dem Urteil.

Gerade in Baden-Württemberg seien dabei naturschutzfachlich wertvolle Gebiete wie die Streuobstwiesen im Fall Gaiberg zerstört worden.

Laut dem Gemeindetag führe das Urteil „zu einer großen Verunsicherung in den Kommunen. Diese haben im Vertrauen auf gültiges Bundesrecht und im Eindruck eines dringenden Bedarfs zur Schaffung von Wohnraum, die Beschleunigungsmöglichkeiten des Paragrafen 13b Baugesetzbuch genutzt“, so Präsident Steffen Jäger. Nun sei der Bundesgesetzgeber gefordert, möglichst schnell eine praktikable Lösung zu finden, um den nun eingetretenen Schwebezustand zu überwinden.

Baupräsident: „Dies konterkariert unser aller Bemühen“

Jäger verweist darauf, dass in Baden-Württemberg hunderttausend neue Wohnungen geschaffen werden müssten. Diesen Punkt spricht auch Markus Böll, Präsident des hiesigen Verbands Bauwirtschaft, an: „Praktisch wird den Kommunen nun jegliche Flexibilität zu schnellen und sinnvollen Entscheidungen für eine erweiterte Wohnbebauung am Ortsrand genommen“, kritisierte er laut einer Mitteilung.

Das Bundesbauministerium möchte nun die Auswirkungen des Urteils prüfen und dann Handlungsempfehlungen veröffentlichen, teilt es auf Anfrage mit.

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