Adlerschwingen bringen dem Artenschutz Aufwind
Rastatt/Mössingen. Beinahe könnte man sie ein wenig beneiden: Vor wenigen Tagen ist die kleine Fischadlerfamilie aus dem mittelbadischen Rastatt in Richtung Süden abgeflogen. Mit Blick auf den kommenden Winter mit entsprechend tiefen Temperaturen ist das aus Sicht der Zugvögel eine durchaus nachvollziehbare Entscheidung. Überhaupt ist die Tatsache, dass Fischadler aus Baden-Württemberg nach Nordafrika zum Überwintern fliegen, besonders. Es sind nämlich die ersten seit dem Jahr 1907, also seit 116 Jahren.
„Wenn alles glatt läuft, kommen sie im Oktober südlich der Sahara an“, weiß Daniel Schmidt-Rothmund, Leiter des Vogelschutzzentrums beim Naturschutzbund in Mössingen (Kreis Tübingen). Dann heiße es Daumendrücken, dass die Fischadler wohlbehalten über den Winter kämen, den Rückflug überstehen würden und spätestens im April wieder in die Rheinebene bei Rastatt teilweise in ihr Brutgebiet zurückkehren (siehe Infokasten).
Standorte der Nisthilfen sind nur wenigen Menschen bekannt
Um die Wiederansiedlung der Fischadler zu unterstützen, breitet Schmidt-Rothmund seit vielen Jahren sprichwörtlich den roten Teppich aus. Er hat an 30 Stellen in Baden-Württemberg Nisthilfen mit einem Durchmesser von bis zu 1,20 Meter installiert. Das hat in Rastatt nun erste Früchte getragen. „Das Fischadler-Pärchen stammt aus dem Elsass“, berichtet er. Das konnte er anhand der Ringe nachvollziehen. Auch der Nachwuchs wurde nach dem Schlüpfen beringt. Mehrere Versuche in den vergangenen Jahren, Nachwuchs hervorzubringen, seien gescheitert, erzählt er. Zwei Mal sei es fast so weit gewesen: einmal im Naturschutzgebiet Kohlplattenschlag bei Graben-Neudorf (Kreis Karlsruhe) und einmal im Kreis Sigmaringen. Jetzt hat es in Rastatt funktioniert und die Jungvögel konnten schlüpfen und sind durchgekommen. Die genauen Standorte der Nisthilfen in den einzelnen Kreisen und Kommunen sind jeweils nur wenigen Menschen bekannt. „Ansonsten ist für manche die Verlockung doch zu groß, mal nach den Vögeln schauen zu wollen“, weiß er.
In Baden-Württemberg sind die Voraussetzungen eigentlich gar nicht schlecht für die Ansiedlung der Fischadler. Flüsse wie Rhein, Donau, Neckar oder Kocher eignen sich, aber auch der Bodensee und die vielen Baggerseen haben alles, was die Fischadler benötigen: nämlich Fische und in der Nähe einen im echten Sinne herausragenden Baum, auf dem sie nisten können und einen guten Überblick haben, wenn Feinde wie Uhus oder Habichte sich nähern. Obgleich es viele Gewässer gibt, war die Ansiedlung nicht gelungen. Jetzt könnte sich das verändern, glaubt Schmidt-Rothmund.
Um vor Ort erfolgreich sein zu können, brauche es die Kooperation mit den lokalen Forstbeschäftigten und den jeweils Verantwortlichen in den Kommunen und Landkreisen, betont er. Die Forstleute unterstützten ihn dabei, passende Bäume für die Nisthilfen zu finden.
Gesucht sind Bäume, die über die umstehenden hinausragen und nachahmen, dass ein Wald eigentlich stufenartig aufgebaut ist. Das gibt es in den heimischen Wäldern gar nicht mehr so häufig. In den ostdeutschen Bundesländern aber schon, weshalb die umfangreicheren Populationen in Sachsen-Anhalt oder Mecklenburg-Vorpommern zu Hause sind.
Nur der männliche Adler dürfte zurückkehren
Zurückkehren wird übrigens aller Wahrscheinlichkeit nach neben den Eltern nur „Kju“, der männliche Nachwuchs der Fischadler-Familie. Und das auch erst nach zwei bis drei Jahren, denn der Jungvogel will sich ein wenig austoben und vagabundiert herum. „Balbü“, der weibliche Jungvogel, sucht sich vermutlich einen neuen Standort in einer ganz anderen Region.
Das sorge für genetischen Austausch, so Schmidt-Rothmund. Der Nabu-Mitarbeiter will auch künftig Nisthilfen bauen, um den Fischadler dorthin zu locken. In 20 Jahren, so hofft er, könnten es zehn Paare sein. Zum Vergleich: In Bayern, wo es lange Zeit ebenfalls keine Fischadler mehr gab, tragen die Ansiedlungsbemühungen Früchte. Heute leben dort 30 Paare.
Gefährliche Reise nach Afrika
Der Weg in den Süden, den die Fischadler zurücklegen, ist nach Angaben des Nabu-Vogelschutzzentrums rund 5000 Kilometer lang. Die Vögel überqueren dabei die Pyrenäen, das Mittelmeer und die Sahara. Der Weg ist voller menschengemachter Gefahren, etwa durch den vielen Plastikmüll im Meer, an Stränden und Flussmündungen. Verfangen sich die Vögel darin, ist das Risiko groß, dass die Greifvögel qualvoll verenden, weil sie sich nicht mehr selbst befreien können. Im Frühjahr fliegen die Vögel wieder Richtung Norden und finden zielsicher in ihr Startgebiet zurück. Zuerst fliegt das Weibchen los, dann das Männchen.