Kita-Träger freuen sich, Erzieherverband skeptisch
Stuttgart. Für die einen ist er ein Garant, um das System Kita zu erhalten. Andere befürchten, dass die Standards in der frühkindlichen Bildung dauerhaft gesenkt werden. Das Kabinett hat den Erprobungsparagrafen auf den Weg gebracht, wonach Kita-Träger von Regelungen des Kindertagesbetreuungsgesetzes und der Kindertagesstättenverordnung abweichen können. Das Gesetz wird nun in den Landtag eingebracht.
Kita-Träger sollen mehr Spielraum erhalten, um den Fachkräftemangel zu kompensieren: bei den Öffnungszeiten, bei der Gruppenstärke, beim Betreuungspersonal, den Räumlichkeiten und der grundsätzlichen Konzeption der Kita. Die geplanten Änderungen werden vor Ort unter Beteiligung der Eltern und der Erzieherinnen in ein Konzept gegossen, das der Kommunalverband für Jugend und Soziales (KVJS) genehmigen muss. Das Konzept soll zeitlich und örtlich begrenzt sein und kann verlängert werden, wenn es nachweislich wirksam ist.
„Erprobungsstätten minderer Bildungsqualität“ befürchtet
Der Städtetag hatte die Idee zum Erprobungsparagraf im Sommer angestoßen und begrüßt es, dass das Gesetz in den Landtag eingebracht wird. „Die Landesregierung hat erkannt, dass die Kommunen in der frühkindlichen Bildung auf eine Situation zusteuern, die viele Kinder und ihre Familien von einer angemessenen Förderung in der Kindertagesbetreuung abschneidet. Mit dem neuen Gesetz bekommen wir die Chance, neue Wege auszuprobieren und so mehr Kindern Zeit in der Kita zu ermöglichen“, sagte Ralf Broß, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Städtetags. Der Deutsche Kitaverband war für den Vorstoß der Städte. Dadurch könnten die Situation der Kitas verbessert und die Qualität der Betreuung gesichert werden.
Ganz anders reagierte im Juli die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. „Wenn das die Antwort auf den Fachkräftemangel ist, werden wir in Zukunft keine Mindeststandards mehr in den Kitas haben“, mahnte die Landeschefin Monika Stein. Und der Verband der Kita-Fachkräfte Baden-Württemberg hatte dem Gesetz im Vorfeld „mit großer Sorge“ entgegengesehen. Kitas könnten dadurch „zu Erprobungsstätten minderer Bildungsqualität“ werden. Aus dem Erprobungsparagrafen könnte etwas Gutes entstehen, wenn die Konzepte vom KVJS entsprechend geprüft werden und so verhindert werde, dass die Lockerungen zulasten der Betreuungsqualität gehen, erklärt Anja Braekow, Kita-Leiterin und die erste Vorsitzende des Verbands.
Tatsächlich kann man sich beim Verband der Kita-Fachkräfte vorstellen, dass Fachfremde, etwa geeignete Arbeitssuchende, in Kitas eingesetzt werden. Auch könnte das pädagogische Personal zum Beispiel durch Hauswirtschaftskräfte entlastet werden, damit diese mehr Zeit für die Arbeit am Kind haben. Des weiteren sei es möglich, dass man Personal zur Begleitung von Kindern mit höherem Förderbedarf anlernen könne und somit die Gruppensituation entlastet. Aber: „Wenn das pädagogische Personal in den Randzeiten durch nicht pädagogisches Personal ersetzt werden soll, dann muss der Schlüssel klar definiert sein. Mindestens zwei Nicht-Fachkräfte“, fordert Braekow.
41 000 neue Fachkräfte bis zum Jahr 2030 benötigt
Sowohl der KVJS als auch der Städtetag, betonen, dass die bundesgesetzlichen Vorgaben im Kita-Bereich unberührt blieben. Der Kommunalverband für Jugend und Soziales könnte mit dem Erprobungsparagrafen künftig mehr zu tun bekommen, noch ist aber unklar, wie hoch der Aufwand sein wird. Laut Gesetzesbegründung soll dieser möglichst geringgehalten werden. „Dies ist so auch im Interesse des KVJS“, teilt eine Sprecherin mit. Zum jetzigen Zeitpunkt sei noch nicht absehbar, inwiefern die Träger von der Möglichkeit des Erprobungsparagrafen Gebrauch machen. Die Sprecherin verweist auch darauf, dass die Rahmenbedingungen noch nicht final beschlossen seien.
Allen Beteiligten scheint klar, dass der Erzieherinnenmangel nicht durch die Zahl der Absolventen gedeckt werden kann. Aktuell fehlen landesweit 58 000 Plätze, obwohl sich im Kita-Bereich in der Vergangenheit viel getan hat. Laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Baden-Württemberg ging Zahl der Beschäftigten innerhalb von zehn Jahren in den Berufen der Kinderbetreuung um rund 57 Prozent nach oben. Das entspricht einem Zuwachs von knapp 47 000 Personen. Um den Bedarf zu decken, werden bis zum Jahr 2030 in Baden-Württemberg bis zu 41 000 neue Fachkräfte benötigt.
Allerdings werde sich der Personalmangel aufgrund der Erfüllung des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz weiter verschärfen. Auch könnte der Bedarf an Kita-Plätzen durch die Fluchtmigration in Folge des Krieges in der Ukraine steigen. Hinzu komme, dass rund 22 Prozent der Beschäftigten das Berufsfeld verlassen werden.