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Interview: Gunter Czisch: „Ich bin als OB kein Solist, sondern Typ Teamspieler“

Programme der Landesregierung, die Städte wie Ulm bezahlen sollen, ärgern ihn, die Zusammenarbeit dagegen mit der Schwesterstadt jenseits der Donau ist ihm eine Freude. Gunter Czisch ist Oberbürgermeister einer Stadt mitten im Veränderungsprozess. Weil der Christdemokrat gestalten möchte, bewirbt er sich erneut als OB von Ulm.
Gunter Czisch

Am Ulmer Schwörmontag spielt der Oberbürgermeister traditionell eine Schlüsselrolle. Gunter Czisch schwört wie viele seiner Amtsvorgänger seit dem 14. Jahrhundert. Nicht nur diese repräsentative Pflicht möchte der Christdemokrat auch nach der OB-Wahl im Dezember weiter erfüllen.

dpa/Stefan Puchner)

Staatsanzeiger: Herr Czisch, Sie haben Ihre erste Amtsperiode als Oberbürgermeister in Ulm fast hinter sich, was waren die wichtigsten drei Themen? 

Gunter Czisch: Ganz vorne steht die Stadtentwicklung. Die Züge fahren seit Dezember auf der Neubaustrecke nach Stuttgart und wir haben in den vergangenen zehn Jahren den Bahnhof samt Umfeld entwickelt, das bringt Prosperität für Stadt und Region. 2030 tragen wir die Landesgartenschau aus. Das nutzen wir, an der Hauptverkehrsachse neue Erlebnis- und Lebensräume zu schaffen, Freiräume zurückzuerobern, aber insbesondere den vom Verkehr geprägten Stadtraum bis zur Donau zurückzugewinnen. Dennoch muss die Verkehrsachse funktionieren. Wenn wir es gut machen, haben wir 2030 nicht mehr, sondern genauso viel Verkehr in der Stadt – bei gestiegener Einwohnerzahl, mehr Arbeitsplätzen und weiterhin hoher Wirtschaftskraft. 

Wie sieht es mit dem Wohnungsbau aus?

Wir haben uns als Ziel gesetzt, 700 Wohnungen im Jahr zu ermöglichen. In diesem und nächsten Jahr werden in Ulm 800 Wohnungen fertig. Unsere stadteigene Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft UWS investiert in diesen Jahren rund 80 Millionen pro Jahr, doppelt so viel wie in normalen Jahren. Allerdings ist die Prognose schlecht. Zu steigenden Zinsen und Baupreisen kommt die Verschärfung des KfW-Standards für Neubauten und die Kürzung der Förderung, mit denen die Bundesregierung den Wohnungsneubau regelrecht abwürgt. Bislang war es möglich, beim KfW-Standard 55 eine Warmmiete von zwölf Euro zu realisieren. Mit den neuen Standardvorgaben kommen wir kalkulatorisch auf Warmmieten von 17 Euro. So können kostengünstiges Bauen und Mieten, die sich die Leute leisten können, nicht funktionieren.

Wie hoch ist die Förderquote bei den 800 fertiggestellten Wohnungen? 

Wir verlangen bei der Konzeptvergabe 40 Prozent geförderten Wohnraum. Die Förderkulisse des Bundes ermöglichte bisher, dass geförderter Wohnraum nicht erheblich durch frei finanzierten Wohnraum subventioniert werden musste. Allerdings bauen wir mittlerweile viel zu teuer, hauptsächlich durch die Anhebung der Standards, sodass der frei finanzierte Bereich den geförderten subventionieren müsste. Es nutzt uns aber nichts, wenn wir 17 Euro pro Quadratmeter aufrufen müssen, damit Wohnscheinberechtigte 12-Euro-Mieten haben. Außerdem reicht das Fördervolumen pro Jahr nicht aus. Ich sage es mal plakativ: Bei der hohen Nachfrage können Sie eine Milliarde pro Monat auflegen.

Wie stellen Sie sicher, dass Ulm ausreichend geförderten Wohnraum erhält? 

Wir verfolgen seit über hundert Jahren eine eigene Ulmer Bodenpolitik, kaufen Grundstücke und schaffen Baurecht nur, wenn die Stadt Grundeigentümerin ist. Wir arbeiten mit Konzeptvergaben, bei denen wir das fordern, was wir mit unserer Wohnbaugesellschaft erfolgreich getestet haben. Wir erreichen unsere Wohnbauziele überwiegend dort, wo es vorher keine Wohnbebauung gab. Hier verfolge ich die Diskussion, auch bezüglich der Förderung, ob wir statt neu zu bauen wegen der Klimaschädlichkeit nicht lieber sanieren sollten. So kann man in einer Stadt mit viel Leerstand diskutieren, Ulm als wachsende Stadt braucht aber Wohnungsneubau.

„Wir schaffen Baurecht nur, wenn die Stadt Grundeigentümerin ist.“

Gunter Czisch, Oberbürgermeister von Ulm

Was hat Sie noch beschäftigt?

Die Themen Wissenschaft und Transformation. Die Kernidee für die Wissenschaftsstadt Ulm lautet, die Transformation von Spitzenforschung bis hin zum Arbeitsplatz zu leisten. Wir sind Smart City und haben an der Universität auch Spitzenforschung im Bereich Energiespeicher sowie für die Anwendungsforschung das Zentrum für Sonnenenergie und Wasserstoffforschung, wo eine Brennstoffzellen-Forschungsfabrik entsteht.

Wie unterstützen Sie konkret?

Ein Beispiel: Wir bauen eine Wasserstoff-Tankstelle im Norden der Stadt, wo wir grünen Wasserstoff bereitstellen, weil ein Lkw-Produzent im Donautal einen mit Brennstoffzellen betriebenen Lkw entwickelt. Wir sind eine der führenden Biopharmazie-Regionen in Europa, die Software-Tochter von Mercedes sitzt hier, wir haben ein neues Cluster für Quantentechnologie und -computing. Die Stadt hilft, dass sich Unternehmen ansiedeln können, und wir so die besten Voraussetzungen haben, in wichtigen Transformations- und Forschungsthemen vorne dabei zu sein.

Aller guten Dinge sind drei …

Ja, auch die drei Jahre Corona-Krisenmanagement haben meine Amtszeit geprägt. Wir haben gute Lösungen erarbeitet, etwa eines der ersten Impfzentren Deutschlands. Nun haben wir mit dem Gemeinderat bei einer Klausur darüber diskutiert, wie die Stadt in Zukunft krisenfester, resilienter werden kann. Man muss sich auf die Stadt verlassen können, und das ist uns während der Pandemie auch gelungen, weil unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht überwiegend im Homeoffice saßen, sondern von Müll bis hin zur öffentlichen Sicherheit alles geregelt haben.  

Am 3. Dezember steht die OB-Wahl an. Warum treten Sie an?

Wir stehen vor großen Herausforderungen, und wir haben uns viel vorgenommen. Ich sage wir, weil ich als OB kein Solist bin, sondern vom Typ her ein Teamspieler. In Ulm werden bis 2030 die Themen Wirtschaft und der Arbeitsmarkt eine wichtigere Rolle spielen als heute. Wir müssen uns heute darüber klar werden, wo wir 2030 stehen möchten – und wie wir dann unseren Wohlstand erarbeiten wollen. Darum sollten wir uns auch um gute Perspektiven für Steuerzahler kümmern. Wir schaffen es jetzt schon, in einem dreiviertel Jahr einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan aufzustellen. Das ist ein gutes Signal an Unternehmen und Investoren. Wir haben die niedrigsten Schulden seit 30 Jahren trotz gleichzeitig großer Investitionen, das kann sich sehen lassen. Ich bin jetzt 60 Jahre alt, ich müsste mich nicht mehr bewerben, aber ich will es, weil ich viele Ideen und Motivation habe, wie es gut mit Ulm weitergehen soll.

Wie sehen Sie Ihre Konkurrenz?

In der Demokratie braucht man sich nicht über Konkurrenz zu beschweren. Konkurrenz belebt das Geschäft, sagt man allgemein. Ich kenne meine stärksten Mitbewerber, Martin Ansbacher von der SPD und Lena Schwelling von den Grünen, sehr gut, wir begegnen uns wertschätzend trotz der politischen Auseinandersetzung und unterschiedlicher Meinungen. Anders als die beiden bin ich aber nicht von meiner Partei aufgestellt, ich kandidiere als Einzelkandidat und finanziere meinen Wahlkampf selbst, freue mich aber, dass mich die CDU unterstützt.

OB mit Verwaltungserfahrung auf allen Ebenen

Gunter Czisch hat alle Ebenen des öffentlichen Dienstes kennengelernt. In Ulm machte er eine Ausbildung zum Mittleren Verwaltungsdienst und sattelte in Kehl den Diplom-Verwaltungswirt drauf. Stationen bei der Stadt Radolfzell und dem Bodenseekreis gingen seiner Tätigkeit in Ulm voraus. Dort war er seit 2000 erster Bürgermeister und folgte Ivo Gönner (SPD) 2016 auf den Rathaus-Chefposten. Diesen will er am 3. Dezember verteidigen gegen die grüne Landesvorsitzende und Ulmer Stadträtin Lena Schwelling sowie gegen den Ulmer Rechtsanwalt und SPD-Fraktionschef im Ulmer Rathaus, Martin Ansbacher.

Wie läuft es mit Ulm und Neu-Ulm? 

Gute regionale Zusammenarbeit ist der Schlüssel für viele politische Themen, Nahverkehr etwa oder Energiepolitik. Dabei gilt der Grundsatz, dass wir möglichst viele Themen gemeinsam angehen, wenn die Partner ein Interesse signalisieren. Das Resultat ist, dass wir inzwischen mit Neu-Ulm praktisch überall dort partnerschaftlich kooperieren, wo dies über eine Landesgrenze hinweg überhaupt möglich ist.

Behindert Sie die Landesgrenze nicht? 

Ganz im Gegenteil, sie befördert uns. Meine Geschichte in der Ulmer Stadtverwaltung ist die Geschichte der Zusammenarbeit. Mit meiner Neu-Ulmer Amtskollegin Katrin Albsteiger funktioniert das auch sehr gut. Das hat mit gegenseitigem Vertrauen, mit Kollegialität und mit den Persönlichkeiten zu tun. Die Liste der Ulmer und Neu-Ulmer Partnerschaften ist lang, sie beginnt bei den gemeinsamen Stadtwerken und geht über die Freizeitanlagen, die die Städte zusammen betreiben, bis zum gemeinsamen Stadtentwicklungsverband SUN. Was noch kommt, ist ein gemeinsamer Nahverkehrsplan.

Wie sieht der aus?  

Ein Nahverkehrsplan ist eine Planungsgrundlage des Aufgabenträgers für den Nahverkehr, bestenfalls eng verknüpft in der Region in der Mobilitätswende. Da geht es um die Elektrifizierung des Nahverkehrs, wir haben hier 14 E-Busse bestellt. Nächste Herausforderung ist die Regio-S-Bahn, sie reicht von der Region Donau-Iller bis Aalen. Der DING-Verbund – Donau-Iller-Nahverkehrsverbund – steht vor einem Wandel. Das Deutschlandticket zeigt, dass die Zeit der kleinräumigen Ticketbereiche endet, wir müssen neue gemeinsame Ziele trotz unterschiedlicher lokaler und regionaler Interessen schaffen. Wir schaffen Umsteigepunkte für den Nahverkehr auf die S-Bahn außerhalb der Stadt. So fahren viele Busse nicht halb leer nach Ulm. Hier vermisse ich übrigens den finanziellen Beitrag des Verkehrsministers, der in Baden-Württemberg das Ziel verkündet, den ÖPNV zu verdoppeln.  

Sie adressieren viele Dinge Richtung Stuttgart und Berlin. Warum sind Sie nicht Städtetagspräsident geworden? 

Zunächst kommt das Amt zum Mann und nicht andersrum. Ich bin auch nicht der einzige OB, der sich in der Landespolitik auskennt, daher freue ich mich auf die Zusammenarbeit mit Frank Mentrup, den ich schon lange kenne und sehr schätze.

Das Gespräch führten Rafael Binkowski und Peter Schwab

Quelle/Autor: Rafael Binkowski und Peter Schwab

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