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Insektenschutz: Kommunen müssen Straßenlaternen bis 2030 umrüsten
STUTTGART. Bis 2030 müssen alle bestehenden Straßenlaternen in Baden-Württemberg insektenfreundlich sein. Neu errichtete Laternen müssen schon jetzt die gesetzlichen Anforderungen erfüllen. Das setzt der Paragraf 21 des geänderten Landesnaturschutzgesetzes voraus.
„Unzählige Insekten kreisen endlos um Straßenlaternen und andere Außenleuchten, bis sie erschöpft verenden oder gar verbrennen“, sagt Eberhard Aldinger, Vorstandsmitglied des Landesnaturschutzverbands (LNV).
Der LNV kritisiert, dass die Förderrichtlinien des Bundes den Insektenschutz bislang nicht berücksichtigen. Sie fordern lediglich eine Stromeinsparung. „Der Einsatz von sparsamen LED-Lampen führt oft zu einem umso weniger sparsamen Einsatz von Licht“, kritisiert Aldinger.
Auch Sabine Holmgeirsson, Fachbeauftragte für Wildbienen und Pestizide beim Naturschutzbund Baden-Württemberg, hat – auch in ihrer Funktion als Gemeinderätin – den Eindruck, dass die Bedeutung der seit Januar dieses Jahres in Kraft getretenen Naturschutzgesetznovelle vielen Kommunen und vor allem vielen Gemeinderäten noch gar nicht bewusst sei.
Die Umweltstiftung Natur Life verweist darauf, dass auf Grundlage von Satellitendaten weltweit eine Zunahme der beleuchteten Fläche und der Lichtintensität nachts festzustellen sei. Und zwar um etwa zwei Prozent pro Jahr. Doch die zunehmende künstliche Beleuchtung nachts ist auch eine Gefahr für die biologische Vielfalt. Immerhin sind etwa 30 Prozent der Wirbeltiere und über 60 Prozent der Wirbellosen nacht- und dämmerungsaktiv. Durch die Lichtverschmutzung werden sie massiv beeinträchtigt.
Straßenbeleuchtung muss bis 2030 insektenfreundlich sein
Im Rahmen des mit Blick auf den Insektenschutz novellierten Naturschutzgesetzes müssen Kommunen nun bis 2030 ihr Straßenlaternen insektenfreundlich um- und nachrüsten. Doch was bedeutet das konkret? Im Gesetz ist nur von allgemein anerkannten Regeln der Technik die Rede. Damit wollte man die nötige Flexibilität bei neuen technischen und wissenschaftlichen Erkenntnissen erhalten.
In einer Landtagsdrucksache finden sich aber einige Punkte dazu:
- Anstrahlung des zu beleuchtenden Objekts nur in notwendigem Umfang und Intensität,
- Verwendung von Leuchtmitteln, die warmweißes Licht (bis maximal 3000 Kelvin) mit möglichst geringen Blauanteilen ausstrahlen,
- Verwendung von Leuchtmitteln mit keiner höheren Leuchtstärke als erforderlich,
- Einsatz von Leuchten mit zeit- oder sensorengesteuerten Abschaltungsvorrichtungen oder Dimmfunktion,
- Einbau von Vorrichtungen wie Abschirmungen, Bewegungsmelder, Zeitschaltuhren,
- Verwendung von Natriumdampflampen und warmweißen LED-Lampen statt Metallhalogen- und Quecksilberdampflampen,
- Verwendung von Leuchtengehäusen, die kein Licht über in oder über die Horizontale abstrahlen,
- Anstrahlung der zu beleuchtenden Flächen grundsätzlich von oben nach unten,
- Einsatz von UV-absorbierenden Leuchtenabdeckungen
- Staubdichte Konstruktion des Leuchtengehäuses, um das Eindringen von Insekten zu verhindern,
- Oberflächentemperatur des Leuchtengehäuses max. 40° C, um einen Hitzetod anfliegender Insekten zu vermeiden
Auch das Bundesamt für Naturschutz hat in einem Leitfaden zur Neugestaltung und Umrüstung von Außenbeleuchtungsanlagen Anforderungen an eine nachhaltige Außenbeleuchtung formuliert.
Modellprojekte zum „mitlaufenden Licht“
Zahlreiche Kommunen zeigen bereits, was bei der Straßenbeleuchtung möglich ist. Etwa die Modellprojekte zum „mitlaufenden Licht“. Darauf weist der Gemeindetag hin. Durch eine intelligente Steuerung kann Energie gespart werden und zugleich insektenfreundlich beleuchtet werden. Solche Beispiele finden sich etwa bei den Stadtwerken Ludwigsburg-Kornwestheim. Die Beleuchtung kann stark gedimmt oder abgeschaltet werden. Nähert sich eine Person, springt die erste Laterne an und gibt gleichzeitig ein Signal an die folgenden, sodass der Weg entsprechend beleuchtet wird. Weitere Beispiele finden sich auch in Filderstadt und Villingen-Schwenningen.
„Diese Systeme sind jedoch durchaus kostenintensiv, sodass weitergehende finanzielle Förderungen von Land und Bund wünschenswert wären“, sagt eine Sprecherin des Gemeindetags. Anderenfalls müssten die Kosten vollständig von den Kommunen getragen werden, was wiederum zu Lasten anderer Aufgabenbereiche ginge.
Ausnahmen bei Fassadenbeleuchtung müssen genehmigt werden
Zudem dürfen öffentliche Gebäude von April bis Ende September nachts nicht mehr angestrahlt werden, im Winter muss die Beleuchtung zwischen 22 und 6 Uhr aus sein. Ausnahmen müssen von der unteren Naturschutzbehörde genehmigt werden.
Bei den Unteren Naturschutzbehörden sind bislang erst wenige Ausnahmeanträge nach dem Naturschutzgesetz eingegangen, wie der Landkreistag auf eine Anfrage des Staatsanzeigers mitteilt. Die Anträge werden auf der Grundlage der neuen Regelungen zur insektenfreundlichen Beleuchtung nach Paragraf 21, Absatz 1 bis 3 des Naturschutzgesetzes sowie den Erläuterungen des Umweltministeriums in jedem Einzelfall geprüft. Dafür können auch Vor-Ort-Termine notwendig werden.
Der Landkreistag nennt ein Beispiel für eine Genehmigung. Es ging in diesem Fall um ein Gebäude im Innenbereich mit besonderer Bedeutung in kultureller und historischer Sicht. Mit Blick auf die geplante Erneuerung einer Beleuchtungsanlage im Jahr 2022 hat die untere Naturschutzbehörde ein Beleuchtungskonzept eingefordert, durch das sichergestellt werden soll, dass die Beleuchtung künftig insektenfreundlich ist. Für die bestehende Beleuchtung wurde eine bis 2022 befristete Abweichung von der gesetzlichen Regelung um eine Stunde am Abend und eine Stunde am Morgen zugelassen sowie eine Abweichmöglichkeit für Veranstaltungen.
Was sich Kommunen vor Antragstellung überlegen sollten
Grundsätzlich muss eine Kommune, wenn sie bei der Fassadenbeleuchtung von öffentlichen Gebäuden von den gesetzlichen Vorgaben abweichen will, einen Antrag bei der unteren Naturschutzbehörde stellen. Bei der Genehmigung kommt es zum Beispiel darauf an, ob das Gebäude im Innen- oder Außenbereich liegt, welche historische oder touristische Bedeutung das Gebäude hat, wie stark von den gesetzlichen Vorgaben abgewichen werden soll, ob durch die Beleuchtung Schutzgebiete beeinträchtigt werden und wie die Beleuchtung beschaffen ist.
Vor Antragstellung sollte eine Kommune sich in jedem Fall überlegen, welchen Nutzen die Beleuchtung des Gebäudes hat. Ob eine angestrahlte Fassade mitten in der Nacht tatsächlich den Tourismus fördert und ob ein Schloss oder eine Burg wirklich den ganzen Sommer über nachts beleuchtet werden muss oder ob eine Beleuchtung zu besonderen Anlässen nicht ausreichend ist. Ohne eine genaue Begründung werden die Unteren Naturschutzbehörden keine Ausnahmegenehmigungen erteilen.