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Interview: Ulrich Müller

„Die ´Wie´-Fragen der Politik sind nicht zu unterschätzen“

Ulrich Müller war viele Jahre Landtagsabgeordneter der CDU, Umwelt- und Verkehrsminister sowie Staatsminister in Baden-Württemberg. Derzeit treibt den 79-Jährigen vor allem die Sorge um die Demokratie um. Das Ergebnis ist ein fast 700-seitiger „Kompass politischer Kultur“.

Staatsanzeiger: Was hat Sie dazu bewogen, dieses Buch zu schreiben?

Ulrich Müller: Den Untertitel hatte ich praktisch von der ersten Minute an im Kopf: Verantwortlich handeln in verwirrenden Zeiten. Auf der einen Seite stand die Beobachtung, dass die Probleme, vor denen wir stehen, immer komplizierter werden, andererseits unsere Fähigkeit, sie zu lösen eher abnimmt. Und zwar nicht so sehr inhaltlich, sondern in den Methoden, den Verfahren, dem Umgang und Stil. Mir ging es um die Beschreibung, was zu seriöser, qualitätsvoller und verantwortlicher Politik gehört – und zwar nicht allein in der Politik.

Das bedeutet?

Auch der Wähler spielt für das politische Schicksal eines Landes in der Demokratie eine große Rolle. Wir können keine rationale Politik erwarten, wenn die Wähler sich irrational verhalten – der amerikanische Wahlkampf lässt grüßen. Die Verwirrung in den gesellschaftlichen Debatten zu beschreiben, war ein weiteres Motiv für das Buch.

Sie waren Umwelt- und Verkehrsminister, auch Staatsminister und viele Jahre Landtagsabgeordneter. Welche Erkenntnisse fließen aus dieser Zeit in das Buch ein?

Der Text trägt keine autobiografischen Züge. Die meisten praktischen Beispiele habe ich aus der Entstehungszeit des Buches genommen, also aus den letzten drei Jahren. Aber ich hätte das Buch ohne meinen eigenen Erfahrungshintergrund so nicht schreiben können.

Knapp 700 Seiten sind in der heutigen Zeit, wo immer weniger Menschen lange Texte lesen und Nachrichten und Informationen in Social Media als kleine Häppchen angeboten werden, eine ganz schöne Menge.

Unter Vertriebsgesichtspunkten ist der Umfang natürlich eine harte Nuss. Ich bin froh, dass ich einen Verlag gefunden habe, der das Buch trotzdem akzeptiert hat. Ehrlich gesagt: Ich hätte sogar noch ein bisschen mehr schreiben können. Politik ist eine komplexe Sache. Da ist der Trend, sich nur noch in kleinen Häppchen informieren zu wollen, besonders nachteilig. Aber zum Glück gibt es auch interessierte und nachdenkliche Menschen.

Wen wollen Sie ansprechen?

Stärke und Schwäche des Buchs ist zugleich, dass es für viele geschrieben ist und nicht für eine Zielgruppe zu 100 Prozent. Es ist zunächst einmal für diejenigen, die in der Politik tätig sind oder tätig werden wollen. Außerdem für den öffentlichen Dienst, die Ministerialverwaltung, aber auch für Kommunen, Lehrer, Journalisten, also alle, die mit Politik zu tun haben oder sie vermitteln und erklären wollen.

Was bedeuten die Sozialen Medien für die Demokratie?

Diese Veränderung der Kommunikation ist ein Schlüsselproblem. Denn es geht um Emotionalisierung, Verkürzung, Segmentierung und die Gefahr der Manipulation. Das ist für mich eine Ursache für die zunehmende Zersplitterung der politischen Landschaft, schwierige Regierungsbildungen und das Erstarken populistischer Strömungen – Phänomene, die wir in allen westlichen Demokratien beobachten. Politische Akteure, Donald Trump ist dafür das beste Beispiel, wenden sich zunehmend unter Umgehung der Medien direkt an die Bürger: emotional, kurz, radikal. Umgekehrt will der Adressat sich in seiner Meinung bestätigt sehen. Diese Zuspitzung passt überhaupt nicht zu einer ganzheitlichen Betrachtung, zu Reflexion und zu Abwägung..

Fürchten Sie um unsere Demokratie?

Ein Stück weit schon. Ich denke, es muss viel passieren, damit wir nicht in einen verhängnisvollen Kreislauf von Distanz, Zersplitterung und letztendlich Unregierbarkeit kommen.

Brauchen wir mehr Zusammenhalt?

Nicht im inhaltlichen Sinn. Aber wir brauchen mehr Zusammenhalt und mehr Gemeinsamkeit im verfahrensmäßigen Sinn, in den Methoden, wie man Politik macht. Wir sollten die „Wie“-Fragen der Politik nicht unterschätzen.

Das Gespräch führte Stefanie Schlüter

Ein Leitfaden für die politische Praxis

Ulrich Müller sieht die demokratische Ordnung zunehmend unter Druck. Als notwendig erachtet er einen umfassenden Konsens, der sich vor allem darauf konzentriert, wie Politik gemacht wird. Wichtige Themen sind dabei Ganzheitlichkeit, Rationalität, Ethik und praktische Verantwortlichkeit. Auf 685 Seiten will der „Kompass politischer Kultur. Verantwortlich handeln in verwirrenden Zeiten“ Orientierung bieten. (sta)

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