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Die Benko-Insolvenz und die Folgen im Südwesten
Stuttgart. An der Stuttgarter Königstraße klafft seit dem Sommer ein großes Loch: Die Signa Real Estate hat die ehemalige Sportarena an der Ecke Schulstraße abgerissen und will hier ein Büro- und Handelsgebäude in einer klimafreundlichen Holz-Hybrid-Bauweise entstehen lassen. Bis zum Jahr 2025 soll der siebenstöckige Neubau „Zwei Hoch Fünf“ mit rund 7300 Quadratmetern Nutzfläche stehen, Teile der Fläche sollten begrünt werden.
Jetzt befürchten einige Stadträte, dass dieses Filetstück auf lange Zeit brachliegen könnte. Anfang November, als Berichte über eine Schieflage des Benko-Imperiums immer lauter wurden, hatte das beauftragte Architektenbüro in München einen Planungsstopp verkündet. Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) erklärte damals, dass das Gebäude zu über 50 Prozent vermietet sei, eine planmäßige Durchführung des Projekts sei gesichert.
Investorenprojekt als Bettvorleger gelandet
Auch nach der offiziellen Insolvenz ist der Stadt Stuttgart von einer Einstellung des Bauprojekts nichts bekannt, teilt ein Sprecher auf Anfrage mit, verweist aber auf den Bauträger. „Nach unserer Kenntnis steht als Nächstes der Abbruch der Untergeschosse an“. Von anderer Seite ist nichts zu erfahren: Das Münchener Architektenbüro will sich zum Stand der Planung nicht mehr äußern, der Sanierungsverwalter der Signa ließ eine Anfrage unbeantwortet.
Dass das Projekt vorangeht, bezweifelt Hannes Rockenbauch vom Linksbündnis im Stuttgarter Gemeinderat. Auf der Baustelle seien momentan keine Fortschritte erkennbar, konstatiert der Stadtrat. „Die Fraktion“ hatte sich von Anfang an für mehr städtische Beteiligung ausgesprochen. „Einmal mehr ist ein Investorenprojekt als Tiger gestartet und als Bettvorleger gelandet“, teilte Rockenbauch als Reaktion auf die Insolvenz mit. „Wir sehen uns in unserer Haltung bestätigt, dass Stadtentwicklung in kommunaler Hand liegen muss und nicht von privaten Investoren betrieben werden darf.“
In der Nähe der Baustelle befindet sich, ebenfalls in der bester Lage, eine Kaufhof-Filiale, deren Existenz fraglich ist, nachdem die Holding des Österreichers und Karstadt-Eigentümers René Benko insolvent ist. Die Stadtverwaltung beobachtet die Entwicklungen in Sachen Signa aufmerksam. Entscheidungen stünden jedoch nicht unmittelbar an.
Fraktion will das alte Warenhaus umbauen und nicht abreißen
Noch ist offen, wie sich der drohende Untergang des Benko-Reiches konkret auf die Innenstädte auswirkt, in denen die verbliebenen Warenhäuser einer unsicheren Zukunft entgegengehen. Sport-Scheck teilte vergangene Woche mit, zahlungsunfähig zu sein. Das Unternehmen hat bundesweit 34 Filialen – drei davon in Baden-Württemberg: in Stuttgart, Karlsruhe und in Konstanz.
Zittern müssen auch die zwölf Galeria-Filialen, die bislang von der Schließungswelle im Frühjahr verschont geblieben sind. Laut Experten könnten diese das Weihnachtsgeschäft überstehen und sich die Lage im Frühjahr entscheiden.
Seit März ist klar, dass bis Ende Januar jede dritte Filiale im Land schließen wird. Betroffen sind die Standorte Esslingen, Heidelberg Bismarckplatz, Pforzheim, Reutlingen und Eberhardstraße in Stuttgart. Die Landeshauptstadt hatte diese Filiale sowie das dazugehörige Parkhaus für knapp 60 Millionen Euro im Frühjahr gekauft. Das Vorkaufsrecht konnte gezogen werden, weil Benko die Investoren nicht halten konnte.
„Die Fraktion“ um Rockenbauch will das Gebäude umbauen und beweisen, dass die alten Warenhäuser transformiert statt abgerissen werden können. Die Stadträte wollen dort unter anderem das „Haus der Kulturen“ untergebracht wissen. Die Chancen für den Umbau stehen wohl nicht schlecht: Eine Machbarkeitsstudie soll 2024 den Gebäudebestand untersuchen, teilt die Stadt mit.
Hortenkacheln könnten in Esslingen neu interpretiert werden
Neu sind die Diskussionen um Schließungen der großen Vollsortimenter nicht. „Die Innenstädte befinden sich längst im Wandel, denn die Zukunft der Innenstadt ist multifunktional“, erklärt Ralf Broß, Geschäftsführer des Städtetags, und fügt hinzu: „Die Menschen möchten in der Stadt Geschäfte, Wohnen, Gastronomie, Kultur und Freizeitangebote.“
Diese Entwicklung ist in Reutlingen derzeit gut zu beobachten, wenn auch nur auf dem Papier: Die Stadt will die Galeria-Filiale, die Ende Januar für immer schließt, multifunktional weiterentwickeln: Im Erdgeschoss soll Einzelhandel einziehen, in den oberen Geschossen sind Büros sowie Gastronomie und Fitness-Angebote geplant. Auch an der Optik soll sich etwas ändern. So könnten die stilprägenden Hortenkacheln neu interpretiert werden, heißt es in der Ratsvorlage vom September. Das Schlüsselgrundstück in Bahnhofsnähe sei gleichermaßen Herausforderung wie Chance für die Stadt.
Auch die Frage, wie die alten Verkaufsräume zum Leben erweckt werden können, will Reutlingen angehen: Durch das Einschneiden von Lichthöfen könne das „übertiefe Gebäude besser belichtet und belüftet“ werden. Für den Klimaschutz soll es Dach- und Fassadenbegrünung sowie Solaranlagen geben.
Lichtblicke gibt es auch in Leonberg. Dort konnte die Galeria-Filiale im Leo-Center gerettet werden. In den Verhandlungen mit dem Vermieter sei eine Einigung erzielt worden, teilte ein Sprecher im Sommer mit.