Aktionstage Gefängnis

Der Mensch hinter der Tat soll sichtbar werden

Der Strafvollzug wird allenfalls zum Thema, wenn es Ausbrüche aus Haftanstalten gibt und es um schärfere Sicherheitsmaßnahmen geht. Die „Aktionstage Gefängnis“ gewähren derzeit andere Einblicke in den Vollzug. Der Mensch hinter dem Häftling rückt in den Fokus.

Jugendliche vor dem Seehaus in Leonberg. Der Jugendstrafvollzug in offener Form kooperiert mit dem Projekt „Theater hinter Gittern“ des Theaters Konstanz.

Seehaus Leonberg)

Konstanz. Ja, es sind Straftäter, die eine gerechte Strafe zu verbüßen haben, weil sie anderen Leid zugefügt haben. Dass diese Menschen oft auch Väter oder Mütter sind, Angehörige haben, deren Leben sich durch die Inhaftierung teilweise radikal ändert, spielt im öffentlichen Diskurs kaum eine Rolle. Unter dem diesjährigen Motto der Aktionstage Gefängnis „Würde, Mitbestimmung, Teilhabe“ hat eine Veranstaltung der Katholischen Akademie Freiburg die Situation von Angehörigen von Häftlingen in den Blick genommen.

„Sie treten nicht rechtlich mit in Haftung, tragen aber die Folgen, leiden unter den Auswirkungen ohne eigenes Zutun“, sagt Studienleiter Norbert Schwab: Einkommen bricht weg, die Wohnsituation ändert sich, Stigmatisierung und soziale Ausgrenzung drohen. „Die Betroffenen fühlen sich als Mitbestrafte.“ Denn: Angehörige finden im Justizvollzug kaum Beachtung, die Behörden konzentrieren sich auf die Straftat und die Inhaftierung.

Wenn Frau und Kinder sich mitbestraft fühlen

5033 Strafgefangene und Sicherungsverwahrte, darunter 240 Frauen, waren 2023 in Baden-Württemberg im Strafvollzug, so das Statistische Landesamt. Einer davon war der Mann von Alexandra Klein. „Es wurde langsam zu einer neuen Realität“, sagt sie. Die Realität: zwei kleine Kinder, denen die Mutter irgendwie erklären muss, dass der Papa nun länger im Gefängnis ist; nach der – überraschenden – Verhaftung des Mannes plötzlich alleinerziehend zu sein und das eigene Leben neu ordnen zu müssen. „Da war viel Unwissenheit, viel Unklarheit, viel Unsicherheit.“

Unterstützung in dieser Situation bietet etwa der SKM – Katholischer Verein für soziale Dienste in der Stadt Freiburg: mit einer Angehörigengruppe, gemeinsamen Freizeitaktivitäten, aber auch unbürokratischer Einzelfallhilfe und Unterstützung im Umgang mit Behörden. In der Justizvollzugsanstalt (JVA) Freiburg wurde aktuell eine halbe Stelle geschaffen, um familienfreundlicher zu werden, berichtet der Gefängnisseelsorger Martin Vrana. Wichtig wären etwa mehr Besuchstermine und mehr Zeit, denn momentan gebe es eineinhalb Stunden Besuchszeit ein Mal im Monat.

Sven Vasquez Ramirez berichtet aus seiner Zeit der Hafterfahrung, wie für die Kinder die Situation im Gefängnis bei Besuchen sehr beängstigend gewesen sei. „Das Besuchszimmer ist sehr kalt, auch sollten Kinder anders in das Gebäude geführt werden. Das Kind hat keine Schuld, ich habe Schuld. Die Haftzeit zerreißt alles.“ Auch Klein berichtet von der Schwierigkeit, den Kindern einerseits Sicherheit zu bieten, andererseits den Papa im Bewusstsein zu halten: „Es war mir wichtig, ihm durch die Distanz und die Mauern die Papa-Rolle zu ermöglichen.“

Theaterspielen soll das Eis brechen, damit sich Inhaftierte öffnen

Andere Seiten von sich zu zeigen: Das ist der Ansatz, den das Projekt „Theater hinter Gittern“ des Theaters Konstanz bietet (siehe Kasten). „Inhaftierte nehmen teil, um sich abzulenken, Gemeinschaft zu erleben und was Neues auszuprobieren“, sagt die Theaterpädagogin Amelie Wördehoff. Seit 2017 probieren Häftlinge verschiedener JVAs im Rahmen von Theater hinter Gittern neue Rollen aus und entwickeln darüber ein neues Selbstbild.

„Die Teilnehmenden sind anfangs skeptisch und zurückhaltend“, so Wördehoff. „Deswegen versuchen wir mit Theaterspielen und Improvisationsübungen das Eis zu brechen, damit sich die Inhaftierten für die darstellende Arbeit öffnen können. Es soll ein Vertrauensraum entstehen, in dem eigene Grenzen neu ausgelotet werden können und nebenbei das soziale Miteinander geübt wird.“

Am Ende kann sogar eine Aufführung stehen: vor Mitgefangenen, Familie oder Justizmitarbeitern. „Wenn die Häftlinge andere Seiten von sich zeigen können, berührt das die Zuschauenden und kann die Sichtweisen auf den Gefangenen verändern“, so Wördehoff. „Theaterprojekte können neue Denkanstöße geben und persönlichen Wachstum fördern.“

Kulturelle Teilhabe im Strafvollzug ist aus Sicht des Justizministeriums „ein wichtiger Bestandteil der Resozialisierung und dient dazu, Gefangenen die Möglichkeit zu geben, ihre Persönlichkeit zu entfalten und soziale Kompetenzen, wie die Übernahme von Verantwortung und Verlässlichkeit, zu erwerben“. Im Strafvollzug geht es um Strafe für Leid, das anderen zugefügt wurde. Aber es geht auch darum, hinter dem Häftling immer noch den Menschen zu sehen.

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Das Projekt „Theater hinter Gittern“

Die Aktionstage Gefängnis finden jedes Jahr Anfang November statt und werden von einem breiten Bündnis getragen: von der Arbeiterwohlfahrt über die Caritas bis hin zum Theater Konstanz, das mit dem Projekt „Theater hinter Gittern“ beteiligt ist. Am 10. November findet in Konstanz im Rahmen der Aktionstage ein Gespräch mit Vertretern von Theater hinter Gittern und dem Kooperationspartner Seehaus Leonberg, einem Jugendstrafvollzug in freien Formen, statt.

https://theaterkonstanz.de/programm/extras

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