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Der Große Bruder lässt grüßen
Eventuell wird Christoph Sonntag in Zukunft sein Mobiltelefon öfter im Handschuhfach liegen lassen – was das mit Rückwärtsfahren und Zigarren zu tun hat, erklärt er in seiner Kolumne.
imago images / STAR-MEDIA)Meine Oma Hermine war das Bäsle von dem Vetter, dessen Sohn in den achtziger Jahren in Waiblingen mein Fahrlehrer war, „Onkel Helmut“. Bei der ersten Fahrstunde hat Helmut gesagt: „…erst wenn du rückwärts fahren kannst, kannst du Autofahren!“
Also hab ich geübt; den Körper ganz nach hinten gedreht, der rechte Arm umarmt liebevoll den Beifahrersitz, linke Hand am Lenkrad, Blick nach hinten − und Tempo! Keiner fährt schneller und besser rückwärts als ich. Ich kann das nicht mehr beweisen, denn mein neues E-Auto hat Assistenzsysteme, und stehen im seitlichen Abstand von einem Meter Pfosten, Baum oder Papierkorb, macht das Auto eine Panik-Vollbremsung. Dann muss ich den Rückwärtsgang einlegen, bis die Kiste wieder voll bremst und schaukelt wie eine Kinderwippe. Ich schäme mich, fluche und fahre den Umweg vorwärts.
Wenn es mir beim Fahren langweilig ist, rufe ich: „…hey Auto! SWR1 bitte!“ − zack, das Radio läuft. Wie easy, wie lässig, wie bequem! Ich muss nicht mehr mühsam am Knopf drehen, mein Auto hört zu! Auch, wenn ich mit meiner Frau über Familienplanung spreche oder bescheuerten… pssst, keine Namen jetzt, Auto hört mit!
Mir macht das Angst, mein großer Sohn lacht nur darüber. Wir haben alle in den Achtzigern „Brave New World“ und „1984“ gelesen und als Warnung vor Überwachung empfunden. Mittlerweile hört nicht nur das Auto mit, nein, wir haben zusätzlich (freiwillig!) eine funktionierende Wanze namens Handy in Abhörnähe bei uns, ob wir mit Freunden in der Kneipe oder mit Geschäftspartnern im Restaurant sind. Die Wanze hört alles und kann jedes Gespräch jederzeit weitersenden. Tut sie das schon?
Brave New World. Und trotzdem: Wer ein System erkennt, kann damit spielen. Lasst uns das Handy immer wieder im Büro oder Handschuhfach vergessen; lasst uns mit Karte Biogemüse und Fitnessclub bezahlen − und Bargeld zücken für feine Zigarren, edlen Whiskey und den Junggesellenabschied im „Gentlemen’s Club“.
Dann haben wir unseren Spaß und am Jahresende checkt der Große Bruder, wie wir unser Geld ausgeben und schickt uns einen Orden − für vorbildlich gesundes Leben!!
