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Ulrich Pelzer-Müller: „Wir entscheiden über Türgriffe, OP-Spezialgeräte und Steinway-Flügel“
Staatsanzeiger: Herr Pelzer-Müller, Sie überwachen die Einhaltung des Vergaberechts bei EU-weiten Beschaffungen, wenn unterlegene Bieter Nachprüfungsanträge stellen. Was sind die Kernkompetenzen für diese Aufgabe?
Ulrich Pelzer-Müller: Neben der gesetzlich geforderten Befähigung zum Richteramt erfordert unsere Tätigkeit eine besondere Entscheidungsfreudigkeit und die Bereitschaft, sich schnell in vielfältige Themenbereiche hineinzudenken. Das Spektrum der Beschaffungen der öffentlichen Hand ist unglaublich vielfältig. Wir entscheiden etwa über Themen wie Abfallentsorgungsleistungen, Türgriffe oder Fassadensteine für öffentliche Gebäude, aber auch über Inkontinenzwindeln, OP-Spezialgeräte, IT-Leistungen, Bewachungsdienste, Steinway-Flügel oder Filtersysteme für Kläranlagen.
Sie sind mit der Vergabekammer nicht wie die Gerichte in der Justiz verankert. Wie lässt sich die Vergabekammer einordnen?
Das Vergaberecht wählt einen atypischen Sonderrechtsweg. Die Vergabekammern entscheiden in einem Verwaltungsverfahren als Beamte mit richterlicher Unabhängigkeit durch Verwaltungsakt und nicht etwa als Aufsichtsbehörde von Amts wegen. Unsere Entscheidungen werden durch das Oberlandesgericht auf eine sofortige Beschwerde hin überprüft.
Wenn ein Nachprüfungsantrag eintrifft, wie schnell müssen Sie darüber entscheiden?
Dies ist eine Besonderheit in unserem Rechtsschutzsystem. Wir müssen grundsätzlich innerhalb von fünf Wochen – mit Verlängerungsmöglichkeit um zwei Wochen – nach Eingang des Antrags entscheiden. Dies stellt eine besondere Herausforderung dar, weil die Nachprüfungsanträge nicht gleichmäßig verteilt über das Jahr eingehen.
Lassen sich Trends beobachten, die auf die Zahl der Nachprüfungsverfahren Einfluss nehmen?
Ja, besonders wenn sich die Konjunktur abschwächt. Dann erhöhen Engpässe den Wettbewerbsdruck auf die Firmen, die bei weniger Aufträgen schneller bereit sind, das Wettbewerbsverfahren überprüfen zu lassen, sodass die Zahl der Nachprüfungsverfahren dann ansteigt.
Welches sind häufige Vergaberechtsverstöße?
Bei uns geht es immer um behauptete Verstöße. Die Masse der Verfahren betrifft angebliche Abweichungen zu den Angebotsanforderungen oder den in der Bekanntmachung geforderten Eignungsanforderungen an die Bieter.
Was lässt sich kommunalen Beschaffern raten, damit sie im Nachprüfungsverfahren besser dastehen?
Öffentliche Auftraggeber sollten jede ihrer Entscheidungen gut und sorgfältig begründen. Diese Gründe sollten schriftlich festgehalten und gut dokumentiert werden. Das ist die Grundlage jeder Überprüfung. Ohne diese Grundlage können wir die Rechtmäßigkeit des Vorgehens der Vergabestelle nicht feststellen.
Gegen Ihre Entscheidungen können die Beteiligten Beschwerde beim Oberlandesgericht Karlsruhe einlegen. Passiert das oft?
Wir haben über Jahre hinweg eine Quote zwischen 15 bis 20 Prozent unserer Verfahren, die in die sofortige Beschwerde gehen. Wir versuchen daher mit einem rechtlichen Hinweis, der die Erfolgsaussichten des Nachprüfungsantrags darstellt, die Zahl der unstreitigen Erledigungen durch Rücknahme des Nachprüfungsantrags beziehungsweise Abhilfe durch den Auftraggeber zu erhöhen und gleichzeitig die Verfahrensdauer zu verkürzen.
Wer vor die Vergabekammer zieht und verliert, muss die Kosten übernehmen. Diese richten sich nach dem Auftragswert und liegen in der Regel zwischen 2500 Euro und 50 000 Euro. Schreckt das Bieter nicht ab, den Weg über die Vergabekammer zu suchen?
Über diese Kostenerhebung hat der Gesetzgeber entschieden. Allerdings wird die damit gewollte vollständige Kostendeckung, die die ständige Verfügbarkeit einer Mindestbesetzung der Vergabekammer bedingt, nicht erreicht. Wir haben den Eindruck, dass einzelne Bieter den Weg über die Vergabekammer im Sinne einer Aufsichtsbehörde beschreiten möchten, nicht aber als subjektives Rechtsschutzverfahren mit eigenem Aufwand und Kostenrisiko. Nachprüfungsverfahren sind aber streitige Wirtschaftsverfahren. Die Gebühren der Vergabekammer bewegen sich dabei nur im unteren einstelligen Prozentbereich des Auftragswerts.
Das kann immer noch viel Geld sein.
Im europäischen Vergleich sind wir meines Wissens damit eher im unteren Bereich angesiedelt. Die Antragsteller müssen zwar einen Vorschuss in Höhe der Mindestgebühr leisten, endgültig zahlen sie aber nur, wenn sie das Verfahren verlieren. Dann kommen eventuell noch Rechtsanwaltsgebühren hinzu. Wird der Nachprüfungsantrag zurückgenommen oder unstreitig erledigt, reduziert sich die Gebühr zudem mindestens um die Hälfte.
Das Interview führte Wolfgang Leja
Zur Person
Ulrich Pelzer-Müller ist seit dem Jahr 2016 Vorsitzender der Vergabekammer Baden-Württemberg. Sie ist die zentrale Einrichtung für die Überprüfung von Vergabeverfahren öffentlicher Aufträge in Baden-Württemberg. Pelzer-Müller prüft, ob öffentliche Auftraggeber bei der Beschaffung von Waren-, Bau- oder Dienstleistungen, die europaweit ausgeschrieben werden müssen, gegen das einzuhaltende Vergaberecht verstoßen haben. Der Jurist entscheidet über Nachprüfungsanträge von Unternehmen, die sich in ihren Rechten verletzt sehen.