Forum Vergabe

„Vergabestellen dürfen hier ein bisschen ins Risiko gehen“

Aktuelle Entwicklungen im Vergaberecht: Unter diesem Titel hatte die Regionalgruppe Baden-Württemberg des Forum Vergabe die Vergabecommunitiy nach Stuttgart geladen. Es ging um Start-up-Vergaben, Direktvergaben und Neues aus dem Berliner Maschinenraum.

Brigitte Füllsack, die Leiterin des Referats „Justiziariat und Vergaberecht“, im Wirtschaftsministerium appellierte an Vergabestellen, gezielt Mittelstand und Start-ups zur Angebotsabgabe aufzufordern.

Wolfgang Leja)

Stuttgart . In der laufenden Legislaturperiode findet in Baden-Württemberg keine Novelle des Landestariftreue- und Mindestlohngesetzes mehr statt. Das bestätigte Brigitte Füllsack, die Leiterin des Referats „Justiziariat und Vergaberecht“ im Wirtschaftsministerium, auf einer Veranstaltung des Forum Vergabe in Stuttgart. Andere Novellen könne und werde es noch geben. Im Ministerium geht man zugleich davon aus, dass eine neue Bundesregierung weitere Reformen anstoßen werde. „So dürften die Pläne für ein Bundestariftreuegesetz weiterverfolgt werden“, sagte Füllsack.

Pilotprojekt zur Unterstützung innovationsfreundlicher Vergaben an Start-ups

Dabei gibt es einige neue Entwicklungen im Vergaberecht wie etwa die reformierte VwV Beschaffung, die Oktober vergangenen Jahres in Kraft getreten ist. Sie gilt für die Beschaffung von Liefer- und Dienstleistungen von Behörden, Betrieben und Einrichtungen des Landes. Als Kernpunkte der neuen VwV Beschaffung bezeichnete Füllsack das Pilotprojekt zur Unterstützung innovationsfreundlicher Vergaben an Start-ups. „Start-ups bieten ein Wettbewerbs- und Technologiepotenzial, auf das wir nicht verzichten können.“ Das Vergaberecht biete bereits eine Menge an Möglichkeiten, Mittelstand und Start-ups zu beteiligen, aber diese würden nicht ausreichend genutzt. Füllsack appellierte an Vergabestellen, gezielt Mittelstand und Start-ups zur Angebotsabgabe aufzufordern. Dabei helfe eine funktionale Leistungsbeschreibung, durch die junge Firmen innovative Produkte, Dienstleistungen einfacher anbieten könnten. Hilfreich sei, auch die losweise Vergabe sowie Nebenangebote, Arbeits- und Bietergemeinschaften zuzulassen, und auch die Möglichkeit von Unteraufträgen. „Es ist uns bewusst, dass der öffentliche Auftraggeber eine Verantwortung hat und schauen muss, dass Aufträge erfolgreich erledigt werden, und da ist man natürlich mit bewährten oder bekannten Unternehmen zumindest scheinbar auf der sicheren Seite“, räumte sie ein.

Um mehr Start-up-Vergaben zu mobilisieren, hat das Wirtschaftsministerium den Weg frei gemacht, Liefer- und Dienstleistungen ohne ein Vergabeverfahren an Start-ups direkt vergeben zu können, sofern der Auftragswert unterhalb des jeweiligen Schwellenwerts liegt. Füllsack zufolge biete das „einen sehr hohen Anreiz“, Start-ups anzusprechen.

Probleme mit unbestimmten Rechtsbegriffen: „innovative, junge Unternehmen“

Eine Juristin aus dem Publikum wies darauf hin, dass die Frage, „was innovativ und was ein junges Unternehmen“ ist, unbestimmte Rechtsbegriffe seien. Das dürfte Behörden und Vergabestellen mit Blick auf eine Nachprüfung Sorge bereiten. Füllsack zeigte Verständnis, aber ermutigte die Vergabestellen, hier „ein bisschen ins Risiko“ gehen. „Solange man das in der Dokumentation begründet, was man sich dabei gedacht hat, kann nicht allzu viel passieren“. Füllsack machte darauf aufmerksam, dass die Start-up-Vergabe ein Pilotprojekt sei, das auf drei Jahre befristet sei und zum Ende des Jahres 2026 evaluiert werden solle.

Sie nahm auch Stellung zur Möglichkeit, Aufträge bis zu einem Auftragswert von 100.000 Euro direkt zu vergeben. „Das dürfte für viele eine Überraschung gewesen sein“, sagte sie. „Wir kommen ja von 5000 Euro.“ Das ist eine Hausnummer, aber die Tendenz geht bundesweit zu deutlich höheren Werten, wie wir bisher sie kannten.“ Sie wies darauf hin, dass nicht nur die Grundsätze von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten seien, sondern auch eine Markterkundung durchzuführen sei. „Ich kann nicht machen, was ich will, was definitiv nicht geht, ist diese Vorgaben nicht zu beachten.“

Sondierer in Berlin wollen Leitmärkte für klimaneutrale Produkte schaffen

Mark von Wietersheim, Geschäftsführer des Forum Vergabe in Berlin berichtet aus dem Maschinenraum der Bundeshauptstadt. In einem Papier der Verhandler von Union und SPD geht hervor, dass man Leitmärkte für klimaneutrale Produkte schaffen wolle, sagte Wietersheim. Das solle auch durch vergaberechtliche Vorgaben erreicht werden. Wietersheim geht davon aus, dass auch die Flexibilisierung der Losvergabe erneut aufgegriffen werde. Zudem werde die Drittstaatendiskussion verstärkt kommen, heißt: bestimmte Unternehmen aus Drittsaaten werden zu bestimmten Ausschreibungen gar nicht erst zugelassen.

Wietersheim griff auch die Initiative einer Gruppe um Peer Steinbrück und Thomas de Maizière auf, die Vorschläge zur Neuordnung im „Maschinenraum“ des Staats präsentierte. „Die haben sich auch mit dem Vergaberecht befasst“; sagte er. Sie fordern, bei Planung und Beschaffung weniger Dokumentationen und Nachweispflichten vorzugeben. Stattdessen klare Gebote und Verbote. Zudem eine Angleichung aller Länderregeln sowie die Wertgrenzen zu erhöhen und zu vereinheitlichen.

Auf EU-Ebene will die EU-Kommission ihre Vergaberichtlinien reformieren. Konsultationen finden statt. Eine Präferenzregelung für europäische Produkte soll dort vorgesehen werden, so Wietersheim. Man wolle auch hier Innovationen durch die Einbeziehung von Start-ups in die Beschaffung fördern. Wietersheim nannte auch den Net-Zero Industry Act, der soll dafür sorgen, dass mehr saubere Technologien in der EU produziert werden. Die Kommission will verstärkt das Instrument der Durchführungsverordnung nutzen. „Es kann sein, dass Regeln aus der EU kommen, die dann zwingend in Vergabeverfahren anzuwenden sind. Dann sind wir nicht mehr in einer Kann- oder Soll-Welt, sondern in einer Muss-Welt.“

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