Expertenbeitrag: Bieterausschluss

Schadensersatz wegen verlorener Zuschlagschance

Bislang konnte ein zu Unrecht ausgeschlossener Bieter in aller Regel allenfalls die Erstattung seiner Kosten für die Angebotserstellung als Schadensersatz verlangen. Eine neue Entscheidung des EuGH scheint diese Praxis infrage zu stellen. Den Richtern zufolge kann bereits die verlorene Chance auf den Zuschlag als Schaden gesehen werden.

Ein aktuelles Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union könnte die deutsche Rechtsprechung verändern.

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Mannheim . Vergaberechtsverstöße des Auftraggebers können Schadensersatzansprüche der am Vergabeverfahren beteiligten Unternehmen begründen. Der Auftraggeber haftet den Bietern aber in der Regel nur auf Ersatz der Angebotserstellungskosten (sog. negatives Interesse).

Weitergehende Ersatzansprüche, insbesondere auf entgangenen Gewinn (sog. positives Interesse), gewährt die Rechtsprechung geschädigten Bietern nur ausnahmsweise, wenn der Zuschlag bei ordnungsgemäßem Ablauf des Vergabeverfahrens auf sein Angebot hätte erteilt werden müssen. Dies setzt unter anderem voraus, dass er das wirtschaftlichste Angebot abgegeben hat. Außerdem muss der Auftraggeber den Auftrag tatsächlich an einen anderen Bieter erteilt haben.

Auftraggeber schließt Bieter rechtswidrig vom Verfahren aus

Ein aktuelles Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) (Urteil vom 06. Juni 2024 – C-547/22 – Ingsteel) wirft die Frage auf, ob diese Praxis gegen europäisches Vergaberecht verstößt. In dem vom EuGH entschiedenen Fall hatte ein slowakischer Auftraggeber eine Bietergemeinschaft rechtswidrig vom Vergabeverfahren ausgeschlossen.

Da der Auftraggeber im Zeitpunkt der gerichtlichen Feststellung des Vergaberechtsverstoßes aber bereits ein anderes Unternehmen beauftragt hatte und das Vergabeverfahren damit beendet war, hatte die zu Unrecht ausgeschlossene Bietergemeinschaft keine Chance mehr auf den Zuschlag.

Sie verlangte daraufhin vom Auftraggeber Schadensersatz, insbesondere auf den entgangenen Gewinn aus dem verlorenen Auftrag. Die Bietergemeinschaft meinte, dass sie ohne den vergaberechtswidrigen Ausschluss den Zuschlag habe erhalten müssen, weil ihr Angebot günstiger gewesen sei als das des bezuschlagten Unternehmens.

Bei Wiederzulassung des Bieters wäre der Zuschlag fraglich gewesen

Der Auftraggeber wandte dagegen ein, die Wiederzulassung des Bieters hätte nicht automatisch zur Zuschlagserteilung an den Bieter geführt. Das Angebot des Bieters hätte noch eingehender bewertet werden müssen. Insbesondere hätte noch geprüft werden müssen, ob ein ungewöhnlich niedriges Angebot vorliegt.

Der EuGH hat in seinem Urteil zunächst klargestellt, dass Bieter, die durch Vergaberechtsverstöße des Auftraggebers geschädigt worden sind, Ersatz des ihnen entstandenen Schadens verlangen können. Das europäische Vergaberecht unterscheide nicht zwischen verschiedenen Schadenskategorien. Ersatzfähig seien daher Schäden jeder Art. Dazu zählt nach Auffassung des Gerichts auch der Schaden, der sich aus dem Verlust der Chance ergibt, am Vergabeverfahren teilzunehmen.

Die EuGH-Entscheidung bedeutet aber nicht zwingend, dass Bieter, deren Zuschlagschance vom Auftraggeber vergaberechtswidrig vereitelt wurde, künftig in größerem Umfang als bisher Schadensersatz verlangen können. Durch die Entscheidung ist zwar nun geklärt, dass bereits der Verlust der Zuschlagschance einen Schaden darstellen kann. Doch nicht jedem vergaberechtswidrig ausgeschlossenen Bieter steht deshalb künftig ein Schadensersatzanspruch auf entgangenen Gewinn zu.

Mitgliedstaaten sollen Kriterien für entstandenen Schaden bestimmen

Der EuGH weist in seinem Urteil ausdrücklich darauf hin, dass es den Mitgliedstaaten obliegt, die Kriterien zu bestimmen, auf deren Grundlage der Schaden, der sich aus dem Verlust der Zuschlagschance ergibt, festzustellen und zu bemessen ist. Insofern befreit das Urteil schadensersatzbegehrende Unternehmen nicht von den allgemeinen (zivilrechtlichen) Vorgaben, einen aus dem (Vergabe-)Rechtsverstoß kausal resultierenden Schaden darzulegen und betragsmäßig zu beziffern.

Bieter, die Schadensersatz wegen einer verlorenen Zuschlagschance begehren, wird dies auch in Zukunft häufig vor Herausforderungen stellen. Das gilt vor allem, wenn sie zu einem so frühen Zeitpunkt vom Vergabeverfahren ausgeschlossen wurden, dass nicht vorhersehbar ist, ob eine realistische Zuschlagschance bestanden hätte. Dies könnte die Folgen der Entscheidung des EuGH für die nationale Schadensersatzpraxis im Ergebnis deutlich relativieren.

Das Urteil in Kürze

Bei einem Vergaberechtsverstoß muss der Auftraggeber Bietern auch den Schaden ersetzen, der ihnen aus dem Verlust der Chance entsteht, am Vergabeverfahren teilzunehmen und den ausgeschriebenen Auftrag zu erhalten. Das verlangt der Europäische Gerichtshof in einem aktuellen Urteil.

Die Entscheidung der EuGH-Richter führt aber nicht zwingend zu weitergehenden Haftungsansprüchen der Bieter. Im Falle verlorener Zuschlagschancen dürfte den Bietern der Nachweis eines kausalen Schadens und dessen konkrete Bezifferung häufig schwerfallen.

Autor: Michael Wenzel, Rittershaus Rechtsanwälte, Mannheim Foto: Stefanie Koesling

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