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Urteil

Gericht kippt Scientology-Schutzerklärung

Die von L. Ron Hubbard gegründete Scientology Organisation verfolgt laut Verfassungsschützern ein totalitäres gesellschaftliches System und strebt danach, Kontrolle über Unternehmen zu erlangen. Bei der Vergabe bestimmter öffentlicher Aufträge empfiehlt das Innenministerium, dass Unternehmen sogenannte Scientology-Schutzerklärungen vorlegen müssen. Doch das Bundesverwaltungsgericht könnte bremsen.

Die Scientology Organisation besitzt auch in Stuttgart eine Niederlassung.

imago images/Arnulf Hettrich)

NÜRNBERG . Das Innenministerium empfiehlt im Falle der Scientology-Organisation (SO) eine Schutzerklärung von Auftragnehmern einzufordern. Sie dient dem Zweck, dass Unternehmen bei der Auftragsausführung keine Technologien dieser Organisation anwenden, lehren oder anderweitig verbreiten.

Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 6. April 2022 (Aktenzeichen: 8 C 9.21) die Verpflichtung zur Abgabe einer Scientology-Schutzerklärung als grundrechtswidrig erachtet. In dem Fall war sie eine Voraussetzung für die Auszahlung kommunaler Fördermittel bei der Anschaffung von Pedelecs. Die Regelung verstößt nach Ansicht der Richter gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz sowie die Weltanschauungsfreiheit und stellt keine kommunale Angelegenheit dar. Infolgedessen stellt sich die Frage, ob dieses Urteil Auswirkungen auf die Vergabe öffentlicher Aufträge hat.

Innenministerium empfiehlt Schutzerklärung

Gemäß Nummer 2.3.2 Satz 1 der Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums über die Vergabe von Aufträgen im kommunalen Bereich (VergabeVwV) wird den kommunalen Auftraggebern die Empfehlung ausgesprochen, eine SO-Schutzerklärung zu fordern. Eine entsprechende Mustererklärung ist in Anlage 3 zu Nummer 12.1.2 der Verwaltungsvorschrift der Landesregierung über die Vergabe öffentlicher Aufträge (VwV Beschaffung) enthalten. Diese Schutzerklärung ist eine vertragliche Ausführungsbedingung gemäß Paragraf 128 Absatz 2 Satz 3 („beschäftigungspolitische Belange“) des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Die Anwendung der SO-Schutzerklärung ist nicht universell, sondern in Baden-Württemberg auf bestimmte Bereiche beschränkt. Sie wird bei der Vergabe von Werbeaufträgen, externer IT-Beratung, Unternehmensberatung und externer Fort- und Weiterbildung eingefordert. Rechtsfolge einer fehlenden SO-Schutzerklärung ist, dass Angebote gemäß Paragraf 57 Absatz 1 Nummer 2 der Vergabeverordnung beziehungsweise Paragraf 42 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 der Unterschwellenvergabeordnung von der weiteren Angebotswertung auszuschließen sind.

Die Entscheidung der Leipziger Bundesverwaltungsrichter dürfte voraussichtlich keine signifikanten Auswirkungen auf die öffentliche Auftragsvergabe haben. Dies liegt daran, dass die SO-Schutzerklärung nicht uneingeschränkt für sämtliche öffentlichen Bau-, Liefer- und Dienstleistungen gefordert wird, sondern lediglich bei spezifischen Dienstleistungen. In diesen Fällen besteht entweder die potenzielle Gefahr einer Verbreitung von Gedankengut der SO beim öffentlichen Auftraggeber, oder es erfordert die Offenlegung bedeutender interner Daten oder ein besonders hohes Vertrauensverhältnis zum Vertragspartner. Dies schafft einen objektiven Sachzusammenhang, der nicht in Grundrechte eingreift. Im Gegensatz zu dem vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall, wird den Städten und Gemeinden durch landesrechtliche Verwaltungsvorschriften erlaubt, SO-Schutzerklärungen bei den vorgenannten Dienstleistungsvergaben zu verlangen, die als sensibel im Hinblick auf die SO gelten. Die Empfehlung stellt keine eigenmächtig von den Kommunen aufgegriffene allgemeinpolitische Thematik dar, sondern verkörpert vielmehr eine ausdrückliche Handlungsempfehlung des Landes an die Kommunen im Rahmen ihrer Beschaffungshoheit.

Aufträge die sensibel für den Einfluss von Scientology sind

Selbst wenn die Forderung nach einer SO-Schutzerklärung auch in die sogenannte negative Bekenntnisfreiheit eingreifen würde, könnte dieser Eingriff verfassungsrechtlich als zulässig betrachtet werden. Aufgrund des von der SO angestrebten totalitären gesellschaftlichen Systems könnte die unerwünschte Infiltration des öffentlichen Auftraggebers auch die freiheitlich demokratische Grundordnung konkret gefährden. Zusätzlich dürfte eine SO-Schutzerklärung im Einklang mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz stehen. Die Forderung erfolgt nicht willkürlich, sondern knüpft sachlich unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes lediglich an bestimmte Dienstleistungsaufträge an, die besonders sensibel für den Einfluss von Scientology-Technologien sind.

Erklärung ist abzugeben

In der SO-Schutzerklärung versichert ein Unternehmen, dass es bei der Ausführung der Leistung die Technologie von L. Ron Hubbard nicht anwendet, lehrt oder in sonstiger Weise verbreitet. Das ist auch den zur Erfüllung des Vertrages eingesetzten Personen untersagt. Das Unternehmen verpflichtet sich zudem, solche zur Erfüllung des Vertrages eingesetzte Personen, bei denen dies zutrifft, von der weiteren Ausführung der Leistung unverzüglich auszuschließen, soweit es hiervon Kenntnis hat.

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