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Europaweite Vergaben – eine stachelige Angelegenheit
Stuttgart . Die Rüge eines Bieters ist ein vergaberechtlicher „Warnschuss“. Sie ist sogar zwingend, um später ein Nachprüfungsverfahren einzuleiten. Durch die Rüge hat die Vergabestelle letztmalig die Möglichkeit, ihre Entscheidung zu hinterfragen. Wenn öffentliche Auftraggeber vorab wissen, was auf sie zukommen kann, können sie im Fall von Rüge und Nachprüfungsverfahren nicht kalt erwischt werden. Gerade für Vergabestellen, die nur selten EU-weite Ausschreibungen durchführen, empfiehlt es sich, im Falle einer Rüge rechtlichen Rat einzuholen.
Eine Rügezurückweisung muss nicht begründet werden
Insbesondere dann, wenn das gewählte Vorgehen auf vergaberechtlich „wackeligen Beinen“ stand oder die Vergabestelle durch die Rüge einen Verfahrensfehler erkennt, sollte sie der Rüge abhelfen. In diesem Fall droht kein Nachprüfungsverfahren mehr.
Hält die Vergabestelle an ihrer Entscheidung fest, weist sie die Rüge zurück. Eine Zurückweisung muss nicht begründet werden. Wird sie jedoch ausführlich begründet, wird ein Bieter die Entscheidung eher akzeptieren. Andererseits besteht das Risiko, dass der Bieter (bzw. dessen Anwalt) erst durch die Begründung ausreichend Anhaltspunkte für einen Nachprüfungsantrag erhält und die gut gemeinte Erläuterung gegen den Auftraggeber verwendet wird. Welcher Weg im Einzelfall gewählt wird, bleibt also eine taktische Frage.
Der Bieter kann nach einer Rügezurückweisung innerhalb von 15 Tagen beziehungsweise vor Ablauf der zehntägigen „Stillhaltefrist“ am Ende eines Vergabeverfahrens (Paragraf 134 GWB) den Nachprüfungsantrag einreichen. In diesem Fall wird die Vergabekammer gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber ein Zuschlagsverbot aussprechen und die Vergabeakte anfordern. Sofern sich das Vergabeverfahren unmittelbar vor Zuschlagserteilung befand, darf es nicht weitergeführt werden. Es kommt also unweigerlich zu einer Verzögerung der Ausschreibung. Gegebenenfalls sollten Auftraggeber daher an die Verlängerung der Bindefrist denken, also den Zeitraum, in dem Bieter an ihr Angebot gebunden sind. Erfolgte der Nachprüfungsantrag hingegen noch während der laufenden Ausschreibung, kann diese zunächst fortgeführt werden, bis die Zuschlagserteilung ansteht.
Bis zur Entscheidung der Vergabekammer ist gesetzlich eine Frist von fünf Wochen vorgesehen (Paragraf 167 GWB). In Baden-Württemberg hält die Vergabekammer diese Frist in den allermeisten Fällen ein. Entsprechend schnell geht das Nachprüfungsverfahren vonstatten. Die Vergabestelle muss der Vergabekammer unverzüglich die vollständige Vergabeakte übermitteln. Dies geschieht in der Regel elektronisch. Eine lückenlose und transparente Dokumentation des Vergabeverfahrens ist dabei entscheidend. Alle Entscheidungen und Schritte sollten in der Akte klar nachvollziehbar und gut begründet sein. Nur in Ausnahmefällen dürfen Begründungen noch während des Nachprüfungsverfahrens nachgeschoben werden.
Auftraggeber kann zur Nachprüfung Stellung nehmen
Der Auftraggeber hat darüber hinaus die Möglichkeit, binnen weniger Tage zum Nachprüfungsantrag schriftlich Stellung zu nehmen. Nach circa zwei Wochen findet meist eine mündliche Verhandlung vor der Vergabekammer statt, die ähnlich wie eine Gerichtsverhandlung abläuft. Im Anschluss ergeht die Entscheidung der Vergabekammer, die in einer weiteren Instanz (Oberlandesgericht) von der unterlegenen Partei angegriffen werden kann. Je nach Ausgang des Nachprüfungsverfahrens kann die Ausschreibung abgeschlossen oder muss zurückversetzt werden.
Ein Nachprüfungsverfahren bringt ungewollte Unruhe in den Ausschreibungsprozess. Die Vergabestelle sollte daher wissen, was auf sie zukommt. Eine strukturierte Verfahrensdokumentation, gutes taktisches Gespür und profunde juristische Kenntnisse helfen dabei, mit klarem Verstand agieren zu können.