Es braucht gute Gründe für eine Gesamtvergabe
München . Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) stellt in Paragraf 97 Absatz 4 unmissverständlich klar: Mittelständische Interessen sind bei der Vergabe öffentlicher Aufträge vornehmlich zu berücksichtigen. Öffentliche Auftraggeber sind danach verpflichtet, Leistungen in der Menge aufgeteilt (Teillose) und getrennt nach Art oder Fachgebiet (Fachlose) zu vergeben.
Gesetzgeberische Entscheidung für ein Regel-/ Ausnahmeverhältnis
Dem kann unter Umständen ein berechtigtes Interesse des öffentlichen Auftraggebers an einer Gesamtvergabe entgegenstehen. Die Frage, wie diese Interessenabwägung durch den öffentlichen Auftraggeber konkret zu erfolgen hat, war kürzlich Gegenstand eines Beschlusses des Oberlandesgerichts Rostock vom 18.07.2024 – 17 Verg 1/24.
Dem öffentlichen Auftraggeber kommt ein berechtigtes Interesse an der Gesamtvergabe dann zu, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern. Solche Gründe liegen dann vor, wenn die Bündelung aller Leistungsschritte in einer Hand erforderlich ist, um das vom Auftraggeber angestrebte Qualitätsniveau erreichen zu können. Der Gesetzgeber hat sich in Paragraf 97 Absatz 4 dafür entschieden, ein Regel-/ Ausnahmeverhältnis zu verankern, von welchem nur in gut begründeten Ausnahmefällen abgewichen werden kann. So sieht es auch das OLG Rostock und erteilt der teilweise vertretenen Auffassung, eine Gesamtvergabe sei nur bei Vorliegen eines objektiv zwingenden Grundes zulässig, in Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung eine klare Absage. Dass sich der Auftraggeber des grundsätzlichen Vorrangs der Losvergabe bewusst war und dies bei seiner Entscheidung berücksichtigt hat, ist zwingend im Vergabevermerk zu dokumentieren.
Vor dem Hintergrund hat der Auftraggeber die Vor- und Nachteile der losweisen Vergabe umfassend abzuwägen. Allein ihre typischen Vor- und Nachteile können für sich genommen keine Gesamtvergabe begründen, stellt das OLG klar. Damit steht auch fest, dass der bloße Verweis auf die üblichen Nachteile einer Losverteilung den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Abwägung nicht gerecht werden kann. Zu diesen gehört ein erhöhter Koordinierungsaufwand des Auftraggebers, höhere Transaktionskosten durch die Notwendigkeit, sich mit mehreren Vertragspartnern auseinandersetzen zu müssen und die einfachere Durchsetzung von Gewährleistungsansprüchen bei der Gesamtvergabe. Maßgeblich ist, eine Abwägung der spezifischen Vor- und Nachteile des Vorhabens vorzunehmen und deren Gewichtung am konkreten Einzelfall. In diesem Kontext kann der Auftraggeber die genannten Nachteile heranziehen, wenn diese mit projektbezogenen und auftragsbezogenen Besonderheiten einhergehen.
Dabei genügt es nicht, dass die Gründe für eine Gesamtvergabe anerkennenswert oder vertretbar sind. Vielmehr müssen die wirtschaftlichen und technischen Gründe überwiegen. Das OLG Rostock stellt dar, dass der Auftraggeber einerseits nicht bei fernliegenden Risiken den „sicheren Weg“ einer Gesamtvergabe einschlagen darf. Andererseits kann er aber auch nicht gezwungen sein, bei konkreten und erheblichen Risiken „sehenden Auges“ den Weg einer losweisen Vergabe zu beschreiten.
Der Auftraggeber besitzt einen Beurteilungsspielraum
Bei der Prognose der Vor- und Nachteile der Losvergabe, deren Gewichtung und der Abwägung steht dem Auftraggeber ein Beurteilungsspielraum zu. In der Konsequenz kann die Entscheidung des Auftraggebers in einem Nachprüfungsverfahren nur darauf überprüft werden, ob sie auf vollständiger und zutreffender Sachverhaltsermittlung und nicht auf einer Fehlbeurteilung, namentlich auf Willkür, beruht. Somit kann die Entscheidung des Auftraggebers nicht durch eine Beurteilung der Nachprüfungsinstanz ersetzt werden.
Auftraggeber muss Vor- und Nachteile gut dokumentieren
Das Oberlandesgericht Rostock verpflichtet öffentliche Auftraggeber im Fall einer Gesamtvergabe, den Sachverhalt vollständig und korrekt zu ermitteln. Nur so kann der Auftraggeber den Anforderungen an das vom Gesetzgeber statuierte Regel-/ Ausnahmeverhältnis gerecht werden. Eine sorgfältige Dokumentation der Vor- und Nachteile im Vergabevermerk ist unumgänglich, damit diese Erwägungen einer Überprüfung im Nachprüfungsverfahren standhalten.