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„Das Vergaberecht ist immer im Wandel“
Stuttgart . Künstliche Intelligenz wird den Aufwand für Vergabeverfahren deutlich reduzieren. Davon ist Alexander Dörr überzeugt. Auf dem Menold Bezler Vergabekongress in Stuttgart skizzierte der Fachanwalt für Vergaberecht, welche Vorteile die KI bald bringen dürfte: beispielsweise bei der Marktrecherche und Markterkundung. „Mit KI lassen sich innerhalb kürzester Zeit mehrere Suchmaschinen abfragen“ erklärte er. „Ich kann ohne großen Aufwand nach technischen Alleinstellungsmerkmalen für ein Produkt suchen, das ich beschaffen will.“
Leistungsbeschreibung erstellen? Das macht die KI in Sekunden!
Auch bei der Erstellung der Vergabeunterlagen sieht Dörr großes Potenzial. Insbesondere bei der Formulierung der Leistungsbeschreibung. „Wenn ich ein System generieren kann, hinter dem 30 Leistungsbeschreibungen liegen, kann dieses System aus diesen Dokumenten eine neue Leistungsbeschreibung erstellen. Das macht die KI in Sekunden.“ Die Stuttgarter Kanzlei testet aktuell einige Anwendungsmöglichkeiten mit KI, berichtete er. So gehe es etwa darum, wie KI bei der Prüfung der Vollständigkeit von Angeboten eingesetzt werden könne.
Auch Bieter werden nach Einschätzung von Dörr auf KI zurückgreifen. Etwa um Vergabeunterlagen zu analysieren. Freilich nicht immer mit den besten Absichten. Es könne sein, dass sie damit Lücken, Widersprüche oder Fehler im Leistungsverzeichnis finden, um daraus später Nachträge generieren zu können.
Dieses Jahr feiert die Stuttgarter Kanzlei Menold Bezler ihr 20-jähriges Bestehen. „Mittlerweile besteht das Vergaberechtsteam aus 15 Experten“, berichtete Beatrice Fabry, die seit 2006 der Kanzlei angehört. Sie skizzierte wichtige Stationen des EU-Vergaberechts wie die Reform im Jahr 2014 als die E-Vergabe eingeführt wurde. „Vergaberecht ist ein lebendiges Recht, es ist immer im Wandel“, sagte Fabry. Man müsse stets auf der Höhe der Zeit bleiben.
Etwa beim geplanten „Vergabetransformationspaket“, mit dem das Bundeswirtschaftsministerium 200 einzelne Reformvorschläge vorgelegt hat. Dörr skizzierte einige davon. „Wichtig für ein Grün-geführtes Ministerium ist die Stärkung der nachhaltigen Beschaffung“, erklärte er. „Was man dazu liest, ist recht moderat.“ So sollen die Leistungsbeschreibung oder die Eignungs- oder Zuschlagskriterien an irgendeiner Stelle das Thema Nachhaltigkeit und Ökologie abbilden“, sagte Dörr. „Das ist in der heutigen Zeit etwas, da können Sie, da können wir alle mit umgehen.“
Die Vergaberechtler warteten mit einem Feuerwerk an Themen auf. Darunter auch die Finessen bei der Schätzung des Auftragswerts. Unterlaufen hier Fehler, kann der Auftrag angefochten und für ungültig erklärt werden, warnte Florian Krumenaker aus dem Team von Menold Bezler. Er verwies auf das Umgehungsverbot im Paragrafen 3 Absatz 2 der Vergabeverordnung. Um den geschätzten Auftragswert zu berechnen, dürfe die Wahl der Methode, nicht in der Absicht erfolgen, sich der Anwendung des EU-Vergaberechts zu entziehen. Es sei vielmehr vom Maximalprinzip auszugehen. So müssten alle möglichen Kosten und Positionen berücksichtigt werden, die für die Beschaffung in Betracht kämen.
Sein Tipp: Je näher man dem Schwellenwert komme, desto genauer müsse die Auftragswertschätzung sein. Krumenaker empfahl, wenn man zehn Prozent darunter sei, einen Sicherheitspuffer einzubauen. Im Zweifel sei aber immer eine EU-weite Ausschreibung vorzunehmen.
In einem der Fachforen ging es dann um die Addition von Planungsleistungen, nachdem vor rund einem Jahr auf Druck der EU der Paragraf 3 Absatz 7 Satz 2 Vergabeverordnung (VgV) gestrichen wurde. Damit sei der Aufwand für Auftraggeber immens größer geworden“, sagte Krumenaker. Michael Jung, der die Abteilung für Verkehrsplanung und Straßenbau in Ulm leitet, berichtete von einer Verzehnfachung der EU-weiten Ausschreibungen von Planungsleistungen in seiner Stadt.
Diskutiert wurde lebhaft über den Vorschlag des Münchner Rechtswissenschaftlers Martin Burgi, der ein alternatives Konzept vorgeschlagen hatte. Es sieht die Addition sämtlicher Planungs- und Bauleistungen zu einem Bauauftrag vor. Auf diese Weise kommt der hohe Schwellenwert für Bauleistungen von 5 538 000 Euro zum Tragen, anstatt der niedrigere Schwellenwert für Planungsleistungen von 221 000 Euro. Wenn man dann unterhalb der EU-Schwelle für Bauleistungen liegt, so rät Burgi, die Leistungen in einem zweiten Schritt in Fachlose aufzuteilen und national auszuschreiben.
Vorschlag von Martin Burgi könnte vergaberechtliche Risiken bergen
Das lehnte Krumenaker ab: Burgi versuche so, das aufwendige EU-Vergaberecht zu umgehen. Er vermische dabei jedoch die Vorgaben des nationalen Rechts mit dem EU-Vergaberecht, kritisierte der Vergaberechtler. Das berge „vergaberechtliche Risiken“. „Unterlegene Bieter könnten dies als eine De-facto-Vergabe betrachten und die Entscheidung der Vergabestelle angreifen.“ Im Zweifelsfall würde eine Vergabekammer das Verfahren aufheben, sagte er.
Amtsleiter Michael Jung aus Ulm adressierte in diesem Kontext ein brisantes Thema. Er warnte vor Personaldefiziten, die bei öffentlichen Beschaffern durch das Ausscheiden der Boomer-Generation zunehmen würden. „Wenn sich dann das Vergaberecht weiter verschärft, dann haben die jungen Leute, die nachrücken keinen Bock mehr auf diesen Job.“