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Expertenbeitrag: VwV Beschaffung 

Beschaffer können mehr Freiräume nutzen

Direktaufträge, höhere Wertgrenzen, Aufträge an Start-ups und die Kalkulation eines CO2-Schattenpreises: Seit Oktober 2024 gelten für öffentliche Auftraggeber in Baden-Württemberg einige Neuerungen, die die Beschaffung deutlich verändern.

Valeska Pfarr ist Fachanwältin für Vergaberecht in der Wirtschaftskanzlei Menold Bezler in Stuttgart.

Niels Schubert)

Stuttgart . Am relevantesten für die Praxis dürften die höheren Wertgrenzen für die Vergabe von Liefer- und Dienstleistungen der Behörden, Betriebe und Einrichtungen des Landes sein. Mit Wirkung zum 1. Oktober 2024 wurden sie in der VwV Beschaffung erheblich angehoben. Bemerkenswert: Direktaufträge sind bis zu einem geschätzten Nettoauftragswert von 100 000 Euro zulässig, Verhandlungsvergaben oder Beschränkte Ausschreibungen ohne Teilnahmewettbewerb sogar bis zu einem geschätzten Nettoauftragswert von 221 000 Euro. Sie gelten auch für kommunale Auftraggeber (siehe Kasten).

Sorgfältige Auftragswertschätzung bei Direktvergaben

Bei Direktvergaben kommt der Auftragswertschätzung eine besondere Bedeutung zu. Denn bei einem „wertgrenzenfreundlichen“ Splitting in mehrere Einzelaufträge sind die EU-Schwellenwerte schnell erreicht. Zulässig ist das nur, wenn es sich der Sache nach tatsächlich um getrennte Aufträge handelt und nicht etwa in Wirklichkeit um Lose eines einzigen Gesamtauftrags.

Hier sind organisatorische, inhaltliche, wirtschaftliche und technische Zusammenhänge zu berücksichtigen. Zumindest dann, wenn sich nachträglich ein kurzfristig auftretender, zusätzlicher Bedarf ergibt, spricht dies für eine Einordnung als separater Auftrag (so schon OLG Düsseldorf, Beschluss vom 9. November 2001, Az.: Verg 38/01).

Die Anforderungen aus Wirtschaftlichkeits- und Sparsamkeitsgrundsätzen dürfen bei der Vergabe von Direktaufträgen sicherlich nicht überspannt werden. Regelmäßig reicht es aus, wenn der Auftraggeber im Vorfeld Marktrecherchen und Preisvergleiche mittels Internetrecherche und/oder durch formlose Anfragen per E-Mail durchführt und dies dokumentiert. Die novellierte VwV Beschaffung enthält darüber hinaus Impulse für eine erleichterte Auftragsvergabe an Start-ups und eine Beschaffung, die auch den CO 2 -Schattenpreis berücksichtigt. Beides gilt allerdings nur für das Land, die Landesbehörden und -betriebe unmittelbar.

Für Liefer- und Dienstleistungsaufträge, die nicht dem EU-Vergaberecht unterfallen, erlaubt die VwV Beschaffung Direktaufträge an Start-ups – vergaberechtsfrei. Im Prinzip muss nur ein einziges Angebot eingeholt werden, und über dieses darf auch frei verhandelt werden. Der Auftrag darf auch online – etwa über eine Bestellmaske des Anbieters –, per E-Mail oder sogar telefonisch erteilt werden. Allerdings muss der Preis marktgerecht sein und die Beschaffung wirtschaftlichen Konditionen unterliegen. Außerdem soll zwischen den beauftragten Unternehmen gewechselt werden.

Öffentliche Beschaffer mögen sich fragen, was genau unter einem „Start-up“ zu verstehen ist. Die VwV Beschaffung definiert Start-ups als „junge innovative Unternehmen mit Wachstumsambitionen“, die sich „durch ein innovatives Geschäftsmodell, ein innovatives Produkt oder eine innovative Dienstleistung“ auszeichnen. Sie müssen zudem Skalierungspotenzial haben. Ein gutes Indiz dürfte sicherlich sein, wenn das Unternehmen bereits von einer Start-up-Förderung oder -Finanzierung profitiert.

Eine weitere Neuerung ist der CO 2 -Sc hattenpreis, der bei Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen veranschlagt werden soll. Er richtet sich nach dem „vom Umweltbundesamt wissenschaftlich ermittelten und empfohlenen Wert für jede über den Lebenszyklus der Maßnahme entstehende Tonne CO 2 “. Die Pflicht gilt allerdings nicht für Aufträge mit einem Volumen von weniger als 100 000 Euro netto und auch nicht, wenn für die Berechnung von CO 2 -Emissionen keine verlässlichen und belastbaren Hilfestellungen verfügbar sind.

In der Praxis wird die Vorgabe damit auf Produkte eingegrenzt, für die das Umweltbundesamt Tools zur Ermittlung der CO 2 -Menge über den Lebenszyklus bereitgestellt hat. Das sind aktuell nicht viele. Um genau zu sein: Computer, Multifunktionsgeräte, Monitoren, Rechenzentren, Bodenbeläge, Kühlschränke, Geschirrspülmaschinen und Gartengeräte.

Keine grundsätzliche Pflicht, einen CO 2 -Schattenpreis zu berechnen

Offen ist auch, wie die Tools für die Wirtschaftlichkeitsuntersuchung genutzt werden sollen, da sie konkrete Angaben im Angebotsformular auswerten, die es zum Zeitpunkt der Wirtschaftlichkeitsuntersuchung ja noch nicht geben kann. Denkbar wäre, diese im Rahmen einer Markterkundung bei der Beschaffungskonzeption zu nutzen. Auf dieser Basis würden sich dann vergaberechtliche Ausschluss- oder Zuschlagskriterien entwickeln lassen, die den CO 2 -Schattenpreis berücksichtigen. Letzteres wäre als echtes Preiselement oder als separates Zuschlagskriterium mit eigener Gewichtung denkbar. Eine grundsätzliche Pflicht zur Berücksichtigung oder Wertung des CO 2 -Schattenpreises lässt sich aus der VwV Beschaffung nicht ableiten.

Höhere Wertgrenzen gelten auch für Kommunen

Die höheren Wertgrenzen in der VwV Beschaffung gelten auch für kommunale Auftragsvergaben im Unterschwellenbereich. Das Innenministerium hatte dafür die Verwaltungsvorschrift über die Vergabe von Aufträgen im kommunalen Bereich (VergabeVwV) zum 1. Oktober 2024 überarbeitet. Danach profitieren Kommunen auch im Baubereich über höhere Wertgrenzen, die beschränkte Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb ist bis eine Million Euro netto zulässig.

Direktaufträge sind bis zu einem geschätzten Nettoauftragswert von 100 000 Euro zulässig. Beschaffer müssen dennoch einige Vorgaben beachten.

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