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Sebastian Ritter ist der Ansprechpartner der Städte für vergaberechtliche Fragen
Stuttgart . Sebastian Ritter hat von seinem Büro im Städtetag einen exklusiven Ausblick auf die größte Baustelle Baden-Württembergs. Vor ihm ragen die Kräne über den S-21-Bahnhofsneubau in den Himmel. Mit dem Bauen hat der 37-jährige Jurist schon seit Jahren zu tun. Nach dem Jura-Studium in Tübingen und einigen Jahren an einem Strafrechtslehrstuhl war Ritter beim Landratsamt Reutlingen drei Jahre lang Leiter des Amts für Recht, Ordnung und Verkehr. Vor fünf Jahren wechselte er zum Städtetag, wo er unter anderem für die Themen Bauen, Ordnung und Wirtschaft zuständig ist.
Arbeitsgemeinschaft Vergabewesen sorgt für Austausch unter Experten
Ritter hat sich über die Jahre intensiv in das Vergaberecht eingearbeitet. „Es spielt in fast alle Bereiche einer Stadtverwaltung oder eines Landratsamts rein“, sagt er. Beim Städtetag ist er Ansprechpartner für vergaberechtliche Fragen der rund 200 Mitgliedsstädte. „Einige können wir selbst beantworten.“ Bei komplizierten Fällen könne er auf die Expertise der Arbeitsgemeinschaft Vergabewesen zurückgreifen.
An der Plattform, die der Städtetag initiiert hat, sind rund 100 Städte beteiligt. „Wir vernetzen die Experten in den Stadtverwaltungen und machen so deren unterschiedliche Expertise für alle nutzbar“, erklärt er. „Bei komplexen Fragestellungen ist es wahrscheinlich, dass sich unter den Städten eine findet, die sich schon mit Ähnlichem befasst hat. So können wir vo n Erfahrungen profitieren, die andere bereits gemacht haben.“
Vergabespezialisten sind gesuchte Leute. Nicht nur bei den Städten. Das fängt schon bei den Verwaltungshochschulen in Ludwigsburg und Kehl an. Unter den angehenden Beamtinnen und Beamten gebe es eine gewisse Zurückhaltung, sich in das Vergaberecht zu vertiefen, beobachtet Ritter. Das sollte sich ändern, findet er. So ist der Städtetag mit der Hochschule Ludwigsburg im Gespräch, Praktiker, die mit Ausschreibungen und Vergaben zu tun haben, für Vorlesungen zu gewinnen. „Das Lernen an praktischen Beispielen soll bei den jungen Verwaltungswissenschaftlern das Interesse für das Vergaberecht wecken“, erwartet Ritter.
Auch politisch bewegt sich einiges. So haben die kommunalen Verbände vom Innenministerium eingefordert, auch im kommunalen Bereich die Wertgrenzen zu erhöhen, nachdem das Land dies für die Vergabe von Liefer- und Dienstleistungen seiner Behörden vorgelegt hatte.
Innenminister Thomas Strobl (CDU) hat daraufhin prompt reagiert und die entsprechende Verwaltungsvorschrift, VergabeVwV, angepasst. Zentral dabei: Strobl hat die Wertgrenzen für die Unterschwellenvergabe erhöht. Ritter ist damit sehr zufrieden: „Wir versprechen uns davon, dass die Städte effektiver arbeiten und im Ergebnis auch wirtschaftlicher beschaffen können.“
Der Jurist fasst dies als Vertrauensvorschuss des Ministeriums gegenüber Städten und Gemeinden auf. Die müssen jetzt zeigen, dass sie mit der gewonnenen Freiheit sorgsam umgehen. Denn höhere Wertgrenzen bergen Risiken: Mehr Freiheit im Verfahren erhöht die Verantwortung, den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit immer im Blick zu behalten. Denn ansonsten würden die öffentliche Hand und der Wettbewerb geschwächt. Daher sind die erhöhten Wertgrenzen zunächst bis Oktober 2027 befristet. „Wir haben knapp drei Jahre Zeit, uns zu beweisen“, sagt Ritter.
„Es ist nötig, den Formalismus im Vergaberecht zu reduzieren“
Doch das Vergaberecht bleibt für Anwender kompliziert. Dazu tragen mehr soziale, ökologische und andere strategische Vorgaben bei, die über die unmittelbare Beschaffung hinausgehen. „Je mehr ich das Vergaberecht mit durchaus hehren Zielen auflade, desto mehr laufe ich Gefahr, dass ich es am Ende gar nicht mehr einhalten kann“, sagt Ritter, „weil ich die eigentlichen Zielsetzungen nicht mehr erkenne.“ Deswegen hält er es für nötig, „zu hinterfragen, wo man den Formalismus im Vergaberecht reduzieren kann“. Zumal viele Städte für die Beschaffung schließlich eigene Leitkriterien entwickelt haben.
Die Angst vor Fehlern ist bei Beschaffern weit verbreitet. So suchen Kommunen immer öfter juristischen Rat bei privaten Kanzleien. „Das Vergaberecht ist durch den Formalismus vor allem bei der Oberschwellenvergabe fehleranfällig“, erklärt Ritter. „Je größer die Auftragssumme ist, desto größer kann der Schaden sein, wenn ein unterlegener Bieter das Vergabeverfahren angreift.“
Doch nun droht am Horizont Ungemach. Absehbar sind Einschnitte bei den Auftragsvergaben. „Denn aktuell sieht es mit den Kommunalfinanzen nicht gut aus“, räumt Ritter ein. Für die nächsten Jahre müsse man mit finanziellen Engpässen rechnen. „Städte und Gemeinden werden prüfen, welche Infrastruktur sie sich noch leisten können. Und das wird zu weniger Ausschreibungen führen“, sagt er.
Zur Person
Sebastian Ritter ist seit Februar 2020 Dezernent beim Städtetag Baden-Württemberg. Dort ist er zuständig für Bauen, Ordnung, Integration, Wirtschaft und Recht. Davor war der 37-jährige Jurist drei Jahre lang beim Landratsamt Reutlingen als Leiter des Amts für Recht, Ordnung und Verkehr sowie als stellvertretender Dezernent tätig.
Bevor er in die Kommunalverwaltung wechselte, war er einige Jahren an einem Strafrechtslehrstuhl. Ritter hat in Tübingen Jura studiert und sein Referendariat absolviert.