Alte Gebäude werden zu lukrativen Rohstofflagern
Stuttgart . Nur wenigen Menschen ist bewusst, dass Heizung, Warmwasserversorgung und Strombedarf für Lüftung und Beleuchtung lediglich die Hälfte der gesamten CO 2 -Emissionen von Neubauten verursachen. Die andere Hälfte fällt beim Herstellen und Transportieren von Baumaterialien an, inklusive dem Rückbau und der Entsorgung der Abfälle. So landen Materialien wie Beton, Gips oder Kies bei Umbau- und Abrissarbeiten meist auf der Deponie, obwohl sie für neue Bauvorhaben dringend benötigt werden und teuer bezahlt werden müssen. Doch mit der Umstellung auf eine Kreislaufwirtschaft und einer Rohstoffwende ist es nicht weit her.
Bundesregierung will einen Gebäuderessourcenpass einführen
Die Bundesregierung will das ändern. Sie plant, noch in dieser Legislaturperiode einen Gebäuderessourcenpass einzuführen. Der Pass dokumentiert, welche Rohstoffe in welcher Menge in einem Gebäude vorhanden sind. Auch woher diese Materialien stammen und ob sie sich künftig wieder in hochwertige Kreisläufe zurückführen lassen. Ein solcher Pass könnte sogar bald Voraussetzung für Investoren werden, um eine Förderung, Finanzierungen oder Zertifizierungen zu bekommen.
Denn auch die EU macht hier Druck. Sie arbeitet an Plänen, die die Immobilienbranche früher oder später zu Materialkreisläufen zwingen dürfte. Dann könnten Eigentümer von Neu- oder Bestandsbauten sogar erheblich von Gebäudepässen profitieren. Denn wenn Kenntnisse über die verbauten Materialien sowie die werkstofflichen Potenziale und Werte vorliegen, werden Bauwerke bei Abriss plötzlich zu lukrativen Rohstofflagern, die sich für neue Bauten nutzen lassen. Fachleute sprechen dann von „urbanen Minen“.
Für die Planerbranche ist das ein neues Geschäftsfeld: So können Planer ihren Bauherren kreislaufgerechte, ressourcenschonende Varianten vorschlagen. Bauausführende können das Format nutzen, um die von ihnen umgesetzten Maßnahmen systematisch zu dokumentieren und ihre erbrachten Leistungen übersichtlich darzustellen. Und Kommunen können Ressourcenpässe nutzen, um sie als Grundlage zum Aufbau und Management von urbanen Minen zu verwenden.
Noch gibt es wenige Anbieter von digitalen Tools zur Gebäudedokumentation oder -optimierung. Darunter Concular, Madaster oder das Circularity Design Toolkit von EPEA. Hinter der Drees-und-Sommer-Tochter EPEA steht ein Umweltberatungsinstitut mit Fokus auf eine konsequente Kreislaufwirtschaft nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip. Die Experten um Geschäftsführer Peter Mösle haben in den letzten acht Jahren über 100 Materialpässe für alle Arten von Gebäudetypen erstellt. „Der digitale Materialausweis wird die Bauwirtschaft so grundlegend verändern wie die Einführung des Energieausweises vor 20 Jahren“, ist Mösle überzeugt. Sein Kollege Pascal Keppler hat als Kreislaufspezialist bei EPEA die Ressourcenpässe maßgeblich mitentwickelt und sieben Kategorien aufgestellt, die ein Ausweis für eine Immobilie berücksichtigen sollte: „CO 2 -Fußabdruck / Ökobilanz, Materialtypen und -mengen, Anteil Material aus erneuerbaren oder recycelten Quellen, Schadstoffgehalt, Recyclingfähigkeit, Trennbarkeit der Materialien sowie die Demontierbarkeit der Bauteile.“
Er hat alle bisher ausgestellten 100 Materialpässe angeschaut und festgestellt, dass sich massive Bauteile wie Stahlbeton am meisten auf das Gesamtergebnis im Ressourcenpass auswirken. „Wer bei seinem Bauvorhaben auf eine RC-Gesteinskörnung, einen recyclingfähigen Verbau, CO 2 -armen Zement, Bewehrungsstahl oder auf nachwachsende CO 2 -Speichermaterialien wie Holz setzt, erzielt im Materialpass ein sehr gutes Ergebnis“, sagt er. Dabei seien alternative Tragkonstruktionen kein Garant für gute Werte im Materialausweis. Um sie zu erreichen, müssten Produkte von Herstellern mit hoher Materialgesundheit und Kreislauffähigkeit ausgewählt werden. „Eine reine materialtypenbasierte Optimierung genügt hier nicht“, so Keppler.
Materialien machen 20 bis 30 Prozent der Bruttobaukosten aus
„Hohe Punktzahlen gibt es, wenn Materialien entweder aus erneuerbaren Quellen wie nachwachsenden Rohstoffen stammen oder wenn sie als Sekundärrohstoff schon einmal im Bau eingesetzt wurden und nun ein nächstes Leben bekommen“, sagt EPEA-Kollege Mösle. „Mit 20 bis 30 Prozent steckt ein erheblicher Teil der Bruttobaukosten in den Materialien. Lassen sich die eingesetzten Stoffe am Ende der Nutzungszeit wieder zurückgewinnen und bilden dann die Grundlage neuer, hochwertiger Produkte, bleibt ein nennenswerter Teil dieses Wertes erhalten“, sagt Mösle. Genau dafür brauche es aber Materialausweise – und die finanzielle Wertermittlung.
Cradle-to-Cradle-Ansatz
Ideal für EPEA-Chef Peter Mösle ist der Cradle-to-Cradle-Ansatz: „Danach konzipieren wir Produkte aus erneuerbaren Quellen so, dass sie ohne Qualitätsverlust in potenziell unendlichen Kreislaufen zirkulieren können.“ Mit konventionellen Bauprodukten sei das oft schwierig.
So sind in herkömmlichen Wärmedämmverbundsystemen Mösle zufolge bis zu 20 verschiedene Stoffe auf untrennbare Weise miteinander verbunden, „die nichts als Sondermüll hinterlassen“. „Hier gehen Rohstoffe von der Wiege ins Grab“, sagt er. Dem gegenüber stehen kreislauffähig zertifizierte Baustoffe, die nicht nur Ressourcen schonen, sondern auch den Materialwert erhalten.