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Alle Jahre wieder: So entsteht die Steuerschätzung
STUTTGART. Die möglichst genaue Schätzung des Steueraufkommens ist eine wesentliche Grundlage für die Haushaltsplaner bei Bund, Ländern und Gemeinden. Für die Projektion holt sich das Bundesfinanzministerium fundierten Rat: Der Arbeitskreises Steuerschätzungen muss etliche Hürden nehmen, bis die Prognosen stehen.
Zweimal jährlich – im Mai und November – schauen die Kassenwarte der Nation gespannt auf eine kleine Gruppe von Experten. Ihre Prognose zum Steueraufkommen hat direkte Auswirkung auf die Haushaltsplanung. Es ist der Arbeitskreis Steuerschätzungen, kurz AKS, der die wichtigen Zahlen präsentiert, von denen eine Vielzahl staatlicher Entscheidungen abhängt: Bildung, Infrastruktur, soziale Absicherung, innere und äußere Sicherheit und vieles mehr.
Um solide wirtschaften zu können, müssen die staatlichen Stellen wissen, wie viel Geld ihnen dafür zur Verfügung steht. Jede Steuer wird solange debattiert, bis ein Konsens erreicht ist. Für die Schätzungen des Arbeitskreises erstellen acht Mitglieder, darunter fünf große Wirtschaftsforschungsinstitute, die Bundesbank, der Sachverständigenrat und das Bundesfinanzministerium, unabhängig voneinander eigene Schätzvorschläge für jede Einzelsteuer.
Sitzung im Mai gilt als „große Steuerschätzung“
Mit am Tisch sitzen auch die kommunalen Spitzenverbände sowie Experten des Statistischen Bundesamts. Die Vorschläge werden im Arbeitskreis unter dem Vorsitz des Bundes-finanzministeriums diskutiert. Jede Steuer wird dabei solange erörtert, bis ein Konsens erzielt wird, der von allen mitgetragen werden kann. Die Schätzungen des AKS beziehen sich zunächst jeweils auf das laufende und das folgende Jahr. Die Sitzung im Mai gilt als die „große“ Steuerschätzung. Ihre Ergebnisse sind Grundlage für den Haushaltsentwurf des Folgejahrs und für die jährliche Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung.
Bei dem zweiten Treffen Anfang November liefert der Arbeitskreis die endgültigen Ansätze für die Steuereinnahmen im Bundeshaushalt des Folgejahrs. Außerdem beginnen auf der Grundlage dieser Schätzung die Arbeiten am Bundeshaushalt für das übernächste Jahr und am Finanzplan. Je nach Schätztermin werden zudem drei bis vier weitere Folgejahre für die mittlere Finanzplanung prognostiziert.
Deutscher Städtetag gehört zum Expertenkreis
Seit 1955 übernimmt der Bund die Ergebnisse des AKS in den Haushaltsplan und seit 1968 auch in die mittelfristige Finanzplanung. Liegen die Expertenmit ihren Prognosen richtig, so ist beispielsweise im laufenden Jahr 2021 ein Steueraufkommen von insgesamt 776 Milliarden Euro zu verteilen. Nachdem Verteilschlüssel erhält der Bund rund 340 Milliarden Euro, wobei davon automatisch 43 Milliarden Euro für die EU reserviert sind. Die Länder dürfen mit 324 Milliarden Euro rechnen, die Gemeinden erhalten rund 113 Milliarden Euro. Zu dem Expertenkreis der Steuerschätzer gehört der Deutsche Städtetag.
„Das hat auch einen besonderen Grund“, erklärt Stefan Anton, der als Experte für Finanzpolitik und Finanzanalyse für den Städtetag im Gremium sitzt. So bringt der Verband Daten zum Aufkommen der Gewerbesteuer – die wichtigste eigene Steuer der Städte – in die Steuerschätzung mit ein. Dazu nimmt der Verband eine Umfrage unter seinen Städten vor. „Wir fragen nicht allein das Aufkommen bei der Gewerbesteuer ab, sondern auch Daten zum Veranlagungsprozess, also für welches Jahr die Gewerbesteuergezahlt wurde und wie der Stand bei den Vorauszahlungen ist“, erklärt Anton. Das ist ein langer Weg. „Wenn sich die wirtschaftliche Aktivität ändert, wenn sich Gewinne bei den Unternehmen und bei den Vorauszahlungen ändern, bis das in der Finanzverwaltung berücksichtigt wird, diese Zeitverzögerungen versuchen wir einzuberechnen.“
Ergebnisse für jede Steuerart werden im Arbeitskreis diskutiert. Die Ergebnisse für jede einzelne Steuerart werden im AKS diskutiert. Divergenzen unter den Experten sind da nicht ungewöhnlich. Das lässt sich jedoch nicht für jede Steuerart sagen, so Anton. „Die Grundsteuer etwa ist nach wenigen Minuten geschätzt, da gibt es ein etabliertes Schätzmodell, das ist einfach nur Rechentechnik“, sagt er. Anders verhält es sich bei gewinnabhängigen Steuern. „Da liegen die Einschätzungen am stärksten auseinander“, berichtet Anton. Sie sind am schwierigsten zu schätzen. „Besonders, wenn wir große Änderungen in der wirtschaftlichen Aktivität haben, wie im Corona-Jahr“, sagt Anton.
Anton: „Steuerschätzungen nicht ohne Weiteres in den Haushaltsplan übernehmen“
Doch selbst da hatten die Experten das tatsächliche Aufkommen zuletzt sehr genau vorhergesagt. „Wir haben eine Abweichung von lediglich ein bis zwei Prozentpunkten, bei einem Einbruch des Gewerbesteueraufkommens von fast 25 Prozent, das ist technisch gesehen ein sehr gutes Ergebnis“, betont Anton. Von der Prognosequalität ist er überzeugt. „Sie ist zu Planungs-zwecken sehr gut geeignet.“ Dennoch rät Anton gerade Kommunen, die Steuerschätzdaten nicht ohne Weiteres in den Haushaltsplan zu übernehmen. „Davor muss man dringend warnen“, sagt er. Der Grund dafür sind vor allem Änderungen im Steuerrecht. „Das Steueraufkommen wird auf Basis geltenden Rechts geschätzt. Bei vielen Rechtsanpassungen weiß man, dass sie kommen werden, etwa wenn ein Freibetrag erhöht wird. Andere rechtliche Änderungen sind erst in der politischen Diskussion“, sagt er. Kämmerer müssten sich daher nachdem Vorsichtsprinzip fragen, ob man sich bei der Haushaltsplanung von der zu erwartenden Entwicklung leiten lassen wolle, oder man da lieber leichtpessimistisch vorgehen wolle. Konjunkturdaten, Konsum und Lohnentwicklung sind die Basis.
Einer, der den Prozess der Steuerschätzung schon seit vielen Jahren beobachtet, ist Robert Lehmann vom Ifo-Institut in München. Es ist eines der fünf Wirtschaftsforschungsinstitute, die an der Steuerschätzung beteiligt sind. „Über die Jahre hinweg sind die Prognosen recht treffsicher“, bilanziert er. Kommt es zu Fehleinschätzungen, seien diese zu „zwei Dritteln auf einen Prognosefehler der Bemessungsgrundlage zurückzuführen“. Damit meint er etwa Daten zur voraussichtlichen Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts, zu Konsumausgaben oder etwa zur Lohnentwicklung. Diese gesamtwirtschaftlichen Eckdaten werden vom Bundeswirtschaftsministeri-um geliefert.
Neue Methoden werden vorgestellt und diskutiert
„Wenn die gesamtwirtschaftlichen Eckdaten verzerrt oder falsch sind, überträgt sich das auf die Steuerschätzung“, sagt Lehmann. Das restliche Drittel führt er auf „methodische Fehler“ zurück. Also auf die Berechnungsmethoden, mit denen von den vorliegenden Daten auf die künftigen Steuereinnahmen geschlossen wird. Den Mitgliedern des Arbeitskreises wird dabei kein verbindliches Prognose-Instrumentarium vorgegeben. Diejenigen Mitglieder, die eigene Schätzvorschläge erstellen, erarbeiten diese mit eigenen Methoden und Modellen. Im Rahmen von sogenannten Methodensitzungen werden im AKS aber neue methodische Ansätze vorgestellt und diskutiert.
Einen „Spielraum“, um die Prognosen weiter zu verbessern, sieht Ifo-Forscher Lehmann vor allem in der Datengrundlage. Es gebe große Potenziale, neue Datenquellen anzuzapfen, sagt er. So könnte man einzelne Steuerdaten beispielsweise schon auf der Mikroebene gezielt erfassen, also bei den Steuerzahlern oder wenn man die Steuereinnahmen auf einzelne Produkteerfassen würde. Mithilfe von digitalen Technologien wie Big Data könnte man dann die komplexen Datensätze auswerten. Auf diese Weise ließen sich die Prognosen künftig noch verbessern, ist er sicher.
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