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Wie das Elsass ins NS-Reich zwangsintegriert wurde
Stuttgart/Straßburg. Das Elsass hat sich jahrzehntelang schwer getan mit seiner Vergangenheit im Zeitalter des Nationalsozialismus. „Die Annexion führte nicht nur zu massenhaften Auswanderungen, Ausweisungen oder Deportationen, sondern auch dazu, dass im Herbst 1942 Elsässer und Lothringer völkerrechtswidrig in die Wehrmacht und Waffen-SS zwangsrekrutiert wurden“, sagt Catherine Maurer, Professorin an der Universität Straßburg.
Einer der maßgeblichen NS-Protagonisten in jener Zeit war Robert Wagner. Er war Reichsstatthalter in Baden und Gauleiter. Nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Frankreich 1940 war er Chef der Zivilverwaltung im besetzten Elsass und versuchte sich an der Reintegration des Elsass ins Deutsche Reich. Die Wagner-Bürckel-Aktion stand für eine Massendeportation von Juden aus dem Elsass, aus Lothringen, Baden und der Pfalz, die seinen Namen trägt. 1946 wurde er von einem französischen Militärgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Viele Elsässer wurden als Soldaten an der Ostfront eingesetzt
Die elsässische Universität in Straßburg hat die Ereignisse vor 80 Jahren zum Anlass genommen, im Jahr 2022 die Ausstellung „Face au nazisme: le cas alsacien“ zu zeigen, die nun unter dem Titel „Elsass unterm Hakenkreuz“ in der Landesbibliothek bis 4. Mai zu sehen ist. Viele Elsässer wurden als Soldaten an der Ostfront eingesetzt. Wer die sowjetische Kriegsgefangenschaft überlebt hatte, traf nach der Rückkehr in die Heimat traumatisiert auf andere zurückgekehrte Elsässer, die die Kriegsjahre entweder in der Evakuierung im Südwesten Frankreichs überstanden oder in der Résistance gekämpft hatten.
„Oder auf diejenigen, die während der deutschen Besatzungszeit im Elsass geblieben waren, passiv die nationalsozialistische Politik ertragen oder sich aber aktiv als Kollaborateure dem NS-Regime angedient hatten“, sagt Maurer. Diese besondere Nachkriegssituation habe dazu geführt, dass versucht wurde, „die konträren Lebenserfahrungen selbst innerhalb einer Familie mit dem Mantel des Schweigens zu bedecken“, betont die Professorin.
„Aus Sicht der Nationalsozialisten wurden die Elsässer als Volksdeutsche betrachtet, die durch eine ideologische Umerziehung integriert werden sollten“, sagt Maurer. Dies zeigt die Stuttgarter Ausstellung anhand zahlreicher Plakate, Fotografien, Bücher, Zeit- und Infotafeln sowie historischen Ton- und Filmdokumenten. Zu sehen ist außerdem eine KZ-Jacke von Eugène Wurtz aus der elsässischen Gemeinde Illkirch. Wurtz war erst im französischen Widerstand, der Résistance, tätig und wurde später ins Konzentrationslager Natzweiler deportiert.
Doch die Schau blickt auch auf die Nachkriegszeit zurück und den späten Beginn der Aufarbeitung dieser Zeit. „Die elsässische Zeitgeschichtsforschung begann sich erst Anfang der 1980er-Jahre vorsichtig der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Besatzungszeit zu nähern“, sagt Maurer. Das war das Werk von Gelehrten wie dem Straßburger Landeshistoriker Bernard Vogler oder dem Lehrer Robert Steegmann, der im Jahr 2005 das Buch „Le Struthof“ über das KZ Natzweiler schrieb.
Die Befreiung des Elsass von der NS-Diktatur „war ein erster Schritt auf dem Weg zurück zur Demokratie und zur Wiedereingliederung des Elsass in die Französische Republik. Aber diese Zeit war nicht frei von Groll und Rachegelüsten zwischen Tätern und Opfern“, heißt es auf einer Infotafel.
Die Schau zeigt auch, wer sich wegduckte oder Widerstand leistete
„Wir haben mit der Universität Straßburg seit mehr als 30 Jahren eine enge Partnerschaft“, sagt Bibliotheksdirektor Schaab. Die hiesige Ausstellung wurde laut Schaab auch „angereichert mit Stücken aus der Landesbibliothek“ und zeige vor allem, wie es der Bevölkerung im Elsass während der NS-Zeit ging. „Sie zeigt auch, wer sich wegduckte oder wer Widerstand leistete“, sagt Schaab.