Kriminalität

Legenden um Räuber Franz Xaver Hohenleiter: Vom Hühnerdieb zum Staatsfeind Nr. 1

Er machte vor allem Oberschwaben unsicher: Um den Räuber Franz Xaver Hohenleiter mit dem Beinamen „schwarzer Veri“ ranken sich viele Legenden. Die meisten sind allerdings falsch.

Franz Xaver Hohenleiter alias der „schwarze Veri“ war der Anführer einer Bande, die vor 200 Jahren ihr Unwesen im oberschwäbischen Biberach trieb.

Konrad Hoffmann, Imago/Shotshop/Blickwinkel)

Biberach an der Riss. Das Gewitter ist eines der heftigsten, das Biberach je gesehen hat. Mit voller Wucht fährt der Blitz in das Ehinger Tor. Erst zerschmettert er den Dachstuhl des Turmgefängnisses, dann läuft er das Mauerwerk hinunter und jagt schließlich durch die eiserne Kette, die den Schwarzen Veri an die Wand fesselt. Der meistgesuchte Kriminelle seiner Zeit ist auf der Stelle tot.

Wer war der Mann, der eigentlich Franz Xaver Hohenleiter hieß und auch wegen seines spektakulären Todes zum Mythos wurde? 1788 in der Nähe von Augsburg geboren, wuchs der Schwarze Veri in ärmlichen Verhältnissen auf. Einen Beruf erlernte er nicht, aus der Armee desertierte er. Sein Spitzname bezog sich auf den auffällig dunklen Bart- und Haarwuchs. Veri dagegen ist eine Koseform von Xaver.

„Hohenleiter war das Kind einer ökonomisch harten Zeit“, sagt der Historiker Frank Brunecker, der sich als Direktor des Museums Biberach eingehend mit dem Fall beschäftigt hat. „Die napoleonischen Kriege hatten im frühen 19. Jahrhundert weite Landstriche verwüstet, jeder Zehnte war obdachlos.“ Hinzu kam ein Ereignis aus Indonesien: der Ausbruch eines Vulkans, dessen Aschewolke bis nach Europa trieb, den Himmel verdüsterte und kältere Temperaturen sowie Missernten hervorrief. Vermutlich war es das verfluchte 1816, das „Jahr ohne Sommer“, das den hungernden Veri vollends auf die schiefe Bahn warf.

Um 1817 tauchten erste Berichte auf von einer kriminellen Gruppe, die in Oberschwaben und den Nachbarregionen Einbrüche und Raubüberfälle verübte. Hohenleiter war der Anführer der verwegenen Sippe, zu der auch sein jüngerer Bruder Ulrich sowie mehrere Frauen gehörten. „Viele der weiblichen Mitglieder hatten Kinder und standen in einer festen Beziehung mit den Männern“, weiß Brunecker. Tagsüber bettelte man oder verrichtete gering entlohnte Gelegenheitsarbeiten. In der Nacht ging es auf Raubzug.

„Die Opfer waren meist Bauernfamilien, die auf einsamen Gehöften beziehungsweise in kleinen Weilern lebten“, so der Museumsleiter. „In befestigte Städte wie Biberach oder Ulm traute man sich dagegen nicht hinein.“ Im Grunde war Veri ein Hühnerdieb. Größere Beträge hat die verwegene Sippe kaum je erbeutet. Oft blieb es bei Brot, Fleisch oder Textilien. Allerdings kam es auch zu Körperverletzungen. Insgesamt war die Zahl der innerhalb kurzer Zeit verübten Taten so hoch, dass Veri zu Oberschwabens Staatsfeind Nr. 1 aufstieg. Entsprechend intensiv wurde er gejagt.

Dabei machte es die Diebestruppe der Justiz durch eine Hit-and-Run-Taktik schwer. Nach vollendeter Tat zog sich die Bande sofort in ihre Schlupfwinkel in den Wäldern zurück. Eines der Verstecke lag im Altdorfer Wald nordöstlich von Ravensburg. War gerade etwas Geld da, quartierte sich die Räuberfamilie auch vorübergehend in zwielichtigen Gasthöfen ein. Die Kleinstaaterei kam Veri und den Seinen entgegen, denn sie bevorzugten grenznahe Gebiete. Näherte sich Militär oder Polizei, flüchteten die Gesuchten rasch ins Nachbarterritorium, wo die Verfolger keine Befugnisse besaßen.

Lange ging das gut. Bis zum April 1819. Ein Förster ergriff Hohenleiter in den Wäldern von Laubbach und überstellte ihn nach Biberach. Dem Gefangenen drohten 20 Jahre Zuchthaus, was bei den Haftbedingungen der Zeit kaum jemand überlebte. Doch während er noch auf das Urteil wartete, traf den Schwarzen Veri am 20. Juli 1819 der Stromschlag aus den Wolken.

Bald danach begann das ambivalente Nachleben des Blitzopfers. Posthum entwickelten die Biberacher plötzlich Sympathien für den Schrecken der Wälder. Nicht zuletzt aus politischer Antipathie gegen den württembergischen Staat, glaubt Brunecker. Mit der neuen Obrigkeit haderte die stolze Bevölkerung der ehemals freien Reichsstadt an der Riß nämlich. „Jemand, der die Autoritäten herausgefordert, der freien Liebe und dem Alkohol gefrönt hatte, imponierte den Leuten.“ Während die einen Hohenleiter zum Volkshelden stilisierten, der Geld unter die Armen verteilt habe, machten andere ihn zum blutrünstigen Killer. „Beides ist falsch“, stellt Brunecker klar. „Er war kein edelmütiger Robin Hood, ebenso wenig aber ein eiskalter Mörder.“ Selbst wenn die Ballade von Gustav Schwab, die den Tod im Turm als göttliches Strafgericht schildert, anderes kolportiert.

Hohenleiter hinterließ noch weitere Spuren in der Literatur, etwa in den Räubergeschichten von Wilhelm Hauff. Mit seiner markanten Erscheinung könnte der Schwarze Veri sogar ein Vorbild für Otfried Preußlers berühmten Räuber Hotzenplotz gewesen sein.

Fastnacht und Schützenfest mit Räubern

In der oberschwäbischen Volkskultur ist der Schwarze Veri bis heute eine lebendige Instanz. Nach dem Räuber benannte sich eine einflussreiche Ravensburger Narrenzunft. Deren Masken und Kostüme sind teilweise den Bildern des Biberacher Künstlers Johann Baptist Pflug nachempfunden, der die Bande, wenngleich verfälschend, dargestellt hat. Auch bei den historisierenden Umzügen des Biberacher Schützenfests marschiert traditionell eine Schwarze-Veri-Gruppe mit.

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