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Wissenschaft

Jiu Jitsu auf Rezept: Bietigheimer Arzt modernisierte Japans Gesundheitswesen

Meiji-Zeit nennen Historiker jene Phase des gesellschaftlichen Umbruchs, in der sich Japan nach Westen öffnete. Ab 1867 bemühte sich das Inselreich vermehrt um europäische Wissenschaftler. Der Bietigheimer Arzt Erwin Bälz (1849-1913) modernisierte im 19. Jahrhundert Japans Gesundheitswesen. Von Georg Leisten

Das Bild „Shōki der Dämonenbezwinger“ wurde von Kawanabe Kyōsai, dem „Vater der Mangas“, gemalt und stammt aus der Sammlung des Bietigheimer Arztes Erwin Bälz.

Linden-Museum)

Bietigheim. Was die Medizin anging, setzte man in Tokio in der damaligen Zeit vor allem auf Deutsche. Durch Vermittlung eines japanischen Gaststudenten erhält 1876 auch der junge Leipziger Hochschuldozent Erwin Bälz ein Jobangebot aus Fernost. Der in Bietigheim-Bissingen geborene Internist und Tropenmediziner greift sofort zu.

„Bälz war kulturell vielseitig orientiert, vermutlich hat die seinerzeit aufkommende Begeisterung für japanische Holzschnitte seine Neugier geweckt“, sagt Georg Noack vom Stuttgarter Linden-Museum. Der Kurator für Ost- und Südostasien betreut die Kunstsammlung des württembergischen Mediziners.

Als Hochschullehrer in Tokio, damals Edo, stellte er die ärztliche Ausbildung auf europäische Standards um. Die auf der Theorie von Energieströmen basierende Lehre der chinesischen Heilkunst, die auch in Nippon viele Anhänger besaß, wurde damit in den Hintergrund gedrängt.

Bälz erforschte die Wirkung der Heil- und Thermalquellen

„Einige alte Verfahren wurden erst durch ihn wieder populär“, betont Noack. So erforschte Bälz die Wirkung der landeseigenen Heil- und Thermalquellen. Zur Stärkung des Körpers empfahl er den Japanern außerdem, sich auf ihre traditionellen Kampfkünste zurückzubesinnen: Jiu Jitsu auf Rezept.

Bälz‘ medizinische Schriften, darunter ein dreibändiges Lehrbuch über innere Krankheiten, galten lange als Standardwerke. „Bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts“, so Noack, „waren in Japan alle Studierenden der Medizin verpflichtet, Deutsch zu lernen.“ Bälz hat sich jedoch nicht nur im akademischen Bereich verdient gemacht. Er leistete auch wertvolle praktische Arbeit bei der Eindämmung der Lepra und half mit, die schwere Cholera-Epidemie des Jahres 1882 zu bekämpfen. Bis heute ist sein Name im Inselreich nicht vergessen: Auf dem Campus der Universität von Tokio erinnert ein Denkmal an den Mediziner, der später auch zum Leibarzt am Hofe des Tennos aufstieg. Dort kümmerte er sich vor allem um den physisch angeschlagenen Kronprinzen. „Bälz war bei seinen Patienten auch deshalb so beliebt, weil er sich sehr gut in die japanische Mentalität einfühlen konnte“, erklärt Noack.

Die Tätigkeit als O-yatoi gaikokujin („ausländischer Experte“) war ursprünglich nur auf zwei Jahre angelegt, doch am Ende wurden daraus fast dreißig. Zum Abschied 1905 verlieh ihm der Tenno das „Großkreuz der aufgehenden Sonne“. Dies sei, so vermerkte der Geehrte selbst, die „höchste Auszeichnung überhaupt, die ein nichtgefürsteter Fremder“ erhalten konnte.

In der evangelischen Gemeinde von Tokio sorgte der deutsche Arzt allerdings für Verstimmung. Grund war seine „wilde Ehe“ mit einer Japanerin. Erst kurz vor der Rückkehr machte Erwin Bälz seine Beziehung zu Hatsu Arai offiziell und heiratete die langjährige Lebensgefährtin. Wohl auch, um bürokratische Schwierigkeiten in der Heimat zu meiden.

Über die Tochter der Tokioter Familie ist vergleichsweise wenig bekannt. Bälz nannte sie Hanako, kurz auch Hana, was „Blume“ bedeutet. Vieles weist darauf hin, dass sie den Arzt beim Aufbau seiner Kunstsammlung unterstützt hat. Als bei Eröffnung des Linden-Museums erstmals Bilder aus der Kollektion öffentlich gezeigt wurden, arrangierte Hatsu Bälz die Hängung. Einige Jahre nach dem Tod ihres Mannes kehrte sie in ihre Heimat zurück, wo sie 1937 starb. In Stuttgart hatte die Blume aus Edo keine Wurzeln schlagen können

In Stuttgart widmet er sich anthropologischen Studien

Zurück in Deutschland nahm der „Japanarzt“ seinen Wohnsitz in Stuttgart. Er widmet sich nun vermehrt anthropologischen Studien. Gemeinsam mit seiner japanischen Frau lebte und dachte der Heimkehrer bereits interkulturell, als es den Begriff noch gar nicht gab.

„Sein Haus an der Weinsteige“, weiß Noack, „war japanisch dekoriert. Ehefrau Hatsu Bälz besaß sogar einen buddhistischen Schrein.“ Einen Schatz der besonderen Art stellt die Kunstsammlung des Mediziners dar, die er bereits in Tokio angelegt hat.

Zu den Highlights der Kollektion zählen unter anderem Arbeiten von Hashimoto Gaho, Utagawa Hiroshige II. oder Kawanabe Kyosai. Bälz‘ Hochachtung für letzteren beruhte übrigens auf Gegenseitigkeit. Der japanische Maler, den einige für den Vater der Mangas halten, ließ sich mehrfach von dem Doktor aus Schwaben behandeln.

Erwin Baelz modernisierte Japans Gesundheitswesen.

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