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Konstanzer Internierungslager inspirierte polnischen Roman „Bodensee“
Konstanz. Der Romanautor Stanislaw Dygat (1914-1978) erreichte im Juni 1940 Konstanz unfreiwillig von Lindau mit dem Linienschiff kommend. Die lange Reise erfüllte ihn, so offenbart er in seinem Debütroman, mit Verzweiflung und Schrecken. Er gibt dem Werk – ins Deutsche übersetzt – den Titel „Bodensee“.
Der Abschied aus der Heimat begann für den 26-Jährigen am Rangierbahnhof Grochow nach der Festnahme durch die deutsche Geheime Staatspolizei in Warschau gemeinsam mit seinen ebenfalls inhaftierten Eltern und 19 Engländern sowie 51 Franzosen. Endstation war das in der damaligen Volksschule in Petershausen eingerichtete Internierungslager. Der Standort bot sich an, da die Internierten ursprünglich über die Schweiz gegen Deutsche ausgetauscht werden sollten, die in Frankreich und England inhaftiert waren.
Dygats Vater Antoine Leopold Vincent, in der Nähe von Paris geboren, hatte die französische Staatsangehörigkeit, auch Sohn Stanislaw besaß einen französischen Pass, während seine Mutter Marie Jezewska polnische Staatsangehörige war.
Die Familien waren einer Internierung ausgesetzt
Die Familie mit Verbindungen zu Frankreich gehörte – neben Briten – zu den ausländischen Staatsbürgern, die sich nach dem Überfall des nationalsozialistischen Deutschlands auf Polen am 1. September 1939 auf polnischem Staatsgebiet befanden. Und damit einer Internierung ausgesetzt waren, nachdem Frankreich und das Vereinigte Britische Königreich aufgrund ihrer Garantieerklärung gegenüber Polen dem Deutschen Reich den Krieg erklärt hatten. Keine Rücksicht wurde darauf genommen, dass die Mutter als gebürtige Polin nicht zum Kreis der Personen zählte, deren Internierung zulässig war. Auch sie wurde in das Lager bei Konstanz gebracht. Im Schulareal in Petershausen kamen etwa 200 Frauen und 65 Männer sowie 30 Kinder unter.
Die internierten Personen konnten bereits wenige Monate nach ihrer Einweisung das Lager wieder verlassen, denn zum vorgesehenen Gefangenenaustausch war es nicht gekommen. Stanislaw Dygat kehrte nach Warschau zurück, während seine Eltern auf Grund der Staatsangehörigkeit des Vaters die Übersiedlung nach Frankreich vorzogen.
Kurze Zeit nach der Ankunft in der Heimat begann der junge Schriftsteller mit der Niederschrift seines Romans „Jezioro Bodenski“. Er schloss ihn während des Krieges ab, 1946 erschien er in Warschau und wurde vom Vater des Autors ins Französische unter dem Titel „Le Lac Constance“ übersetzt. Schon bald galt er als Beispiel einer neuen polnischen Literatur gegen die „Bourgeosie“, ging es nicht zuletzt in Zeiten feindseliger Klischeevorstellungen um nationale Identitätssuche des Autors, dessen französischer Urgroßvater napoleonischer Offizier war, der sich nach der Heirat mit einer Polin in deren Heimat niedergelassen hatte.
Die frankophile Einstellung der Familie Dygat überdauerte mehrere Generationen. Ihr Patriotismus hatte sich – begleitet von wiederkehrenden Zweifeln – jedoch von Frankreich nach Polen verschoben, so Hans-Christian Trepte im Vorwort zur deutschen Erstauflage in der Übersetzung von Wolfgang Hartung-Gorre (Dygat, Bodensee – Roman über den polnisch-englisch-französischen Mikrokosmos während der Internierung in Konstanz 1940, aus dem Französischen von Wolfgang Hartung-Gorre, Konstanz 2022).
Es geht um die persönlichen Befindlichkeiten der Internierten
Anstoß für den Roman war der Zwangsaufenthalt unweit des Bodenseeufers. Über die Alltagsverhältnisse berichtet der Autor nur beiläufig, es geht eher um persönliche Befindlichkeiten der Internierten. Die geschichtliche Einordnung nimmt der Konstanzer Historiker Arnulf Moser im Nachwort vor. Dygat habe grenzenlose Langeweile in dieser Gefangenschaft empfunden.
„Wir irren durch die Flure, die Klassenzimmer, uns selbst überlistend, Versteck spielend mit der Gewissheit, dass nichts Unvorhergesehenes passiert“, schildert er die Gemütslage und die Erinnerung an den Geruch des gebohnerten Parketts und die Bildtafeln des Naturkundeunterrichts, die ihm damals als typisch deutsch vorkamen.
Aufgelöst wurde das Lager am 15. Okober 1940. Soweit sie nicht in ihre Heimat zurück reisen konnten, kamen die Internierten in das Arbeitserziehungslager Liebenau bei Tettnang. Dort war nach der Ermordnung von mehr als 500 Patienten Platz frei geworden.
Genfer Konventionsschutz
Während eines bewaffneten Konflikts können Staaten ohne Anklage die auf ihrem Gebiet anwesenden Zivilpersonen kriegsführender Staaten festnehmen. Die im Völkerrecht verankerte Möglichkeit der Isolierung in Internierungslagern ist nur dann gegeben, wenn die Sicherheitsinteressen des Landes bedroht sind. Die Genfer Konventionen schützen die Internierten vor Gewalt, Einschüchterung und Beleidigungen. Sie müssen freigelassen werden, sobald die Gründe für die Internierung wegfallen.